# taz.de -- Zeit messen: „Das hat schon etwas Paradoxes“ | |
> Ekkehard Peik hat in Braunschweig kürzlich die weltweit genaueste | |
> optische Atom-Uhr entwickelt. Der 29. Februar ist für die kein Problem. | |
Bild: Die Uhr der Marienkirche in Rostock. | |
taz: Herr Peik, was tut Ihre hypergenaue Atom-Uhr am 29. Februar? Fügen Sie | |
von Hand einen Tag ein oder ist das Schaltjahr programmiert? | |
Ekkehard Peik: Ein Schaltjahr hat da keine so große Bewandtnis. Denn die | |
Atomuhr zeigt zwar die Zeit an, ist aber kein Kalender. Sie läuft also am | |
29. ganz normal weiter und zählt die Tage. | |
Aber manchmal gibt es ja auch Schaltsekunden. Was machen Sie dann mit Ihrer | |
Uhr? | |
Die müssen tatsächlich von Hand eingefügt werden. Denn eine Schaltsekunde | |
entsteht durch Unregelmäßigkeiten der Erdrotation und wird – basierend auf | |
astronomischen Messungen – etwa ein halbes Jahr im Voraus vereinbart. Das | |
heißt, dass wir in die Zeitskala der Atomuhr dann am 30. Juni oder 31. | |
Dezember eine zusätzliche Schaltsekunde einfügen. | |
Wohingegen ein Schalttag langfristig alle vier Jahre in den Kalender | |
eingerechnet wird. Warum ist das nötig? | |
Weil das Kalenderjahr 365 Tage hat, die Erde aber 365,24 Tage braucht, um | |
sich einmal um die Sonne zu drehen. Um das auszugleichen, fügt man alle | |
vier Jahre einen Tag ein. Sonst würden Sonnenstand und Kalender immer | |
weiter auseinander driften und der Winter auf der Nordhalbkugel irgendwann | |
im Juli liegen. Da ein ganzer eingefügter Tag aber eigentlich zu viel ist – | |
viermal 0,24 Tage ergeben keinen ganzen Tag –, fällt der Schalttag in allen | |
durch 100 teilbaren „Säkularjahren“ aus. Weil das immer noch ungenau ist, | |
sind die durch 400 teilbaren aber doch Schaltjahre. | |
Seit wann gibt es Schaltjahre? | |
Das Schaltjahr hatten schon die alten Römer in ihrem Julianischen Kalender | |
verankert. Da sie aber die Ungenauigkeit der Erdrotation nicht | |
einrechneten, waren bis zum Jahr 1582 zehn Tage Überhang aufgelaufen. Die | |
hat Papst Gregor im Zuge seiner Kalenderreform weggenommen und die erwähnte | |
400-Jahr-Regel eingeführt. Russland und Griechenland übernahmen den | |
gregorianischen Kalender aber erst im 20. Jahrhundert. Denn infolge der | |
Kirchenspaltung erkannten die orthodoxen Christen den Papst nicht an. Bis | |
heute zeugt das Weihnachtsdatum von diesem Streit: Die orthodoxe Weihnacht | |
wird am 6. Januar gefeiert. | |
Inzwischen sind Sie selbst Hüter der Zeitmessung. Wie funktioniert Ihre | |
Cäsium-Atomuhr? | |
Allgemein bedeutet Zeitmessung, dass man einen sich wiederholenden Vorgang | |
zählt – Tage zum Beispiel. Für eine Uhr braucht man etwas, das schneller | |
vergeht als ein Tag. Anfangs verwandte man Pendel, später Federn, die den | |
Tag in Segmente teilten. Bei den Cäsium-Atomuhren sind es Schwingungen der | |
Elektronen im Atom. Sie eignen sich gut, weil sie recht schnell schwingen | |
und Zeit sehr fein unterteilen können. Außerdem schwingen sie gleichmäßig | |
und reagieren nur sehr wenig auf äußere Störungen wie etwa | |
Temperaturschwankungen. | |
Vor Kurzem haben Sie eine noch präzisere Uhr gebaut – die optische Atomuhr. | |
Was kann sie besser? | |
Sie schwingt noch schneller als die Cäsium-Uhr. Während dort die | |
Schwingungsfrequenz im Bereich von Mikrowellen liegt, verwendet man bei der | |
optischen Uhr sichtbares Laserlicht, das ein einzelnes Ion – ein elektrisch | |
geladenes Atom – anregt. Wir hier in Braunschweig nutzen Ytterbium, ein | |
Metall der „seltenen Erden“. Andere Forschergruppen testen derzeit | |
Aluminium, Quecksilber oder Strontium. Welches Element sich durchsetzen | |
wird, ist noch nicht entschieden. | |
Kann man die Schwingungen der optischen Uhr sehen? | |
Ja, man sieht das Licht, das das Ion anregt und von diesem gestreut wird. | |
Wenn man mit einem Mikroskop da reinschaut, sieht man im Vakuum dieses | |
einzelne schwingende Ion. Beim Ytterbium leuchtet das aquamarinblau. | |
Halten Sie jetzt einen Weltrekord? | |
Für diesen Typ von Uhren mit gespeicherten Ionen haben wir zurzeit die | |
weltweit genaueste. Vielleicht auch diejenige, die am praktischsten im | |
Betrieb ist. Denn die Technik, die man dafür braucht, ist relativ robust. | |
Sie haben einmal gesagt, dass man aufgrund der optischen Uhr die Sekunde | |
neu definieren müsse. | |
Ja, aber da geht es nicht um Philosophie, sondern um Physik. Bisher lautet | |
die Definition: Eine Sekunde hat etwa neun Milliarden Schwingungen – die | |
des bislang genutzten Cäsium-Atoms. Künftig wird da eine andere Zahl | |
stehen. | |
Welche? | |
Das hängt davon ab, auf welches chemische Element man sich international | |
einigt. Unser Ytterbium-Ion zum Beispiel schwingt etwa 100.000 Mal | |
schneller als die Elektronen der Cäsium-Uhr. | |
Heißt das, eine Sekunde vergeht künftig schneller? | |
Sie wird in eine höhere Zahl von Schwingungsperioden geteilt. Aber die neue | |
Definition wird sicher so gemacht, dass sich die Dauer der Sekunde nicht | |
ändert und man den Unterschied im Alltag nicht spürt. | |
Was gewinnt man eigentlich, wenn man immer genauere Uhren baut, um die Zeit | |
dingfest zu machen? Jagt man nicht ein Phantom? | |
Darin steckt sicherlich etwas Paradoxes. Von allen physikalischen Größen | |
ist die Zeit die mit Abstand am genauesten messbare, und deshalb erforscht | |
man sie so intensiv. Dennoch können auch Physiker sehr schwer sagen, was | |
Zeit eigentlich ist. | |
Hat die Uhr irgendetwas mit dem Takt der Natur gemein? | |
Für mich als Physiker zählt auch das Cäsium-Atom zur Natur – zur | |
unbelebten. Aber biologische Systeme sind natürlich viel komplexer und | |
schwingen nicht so gleichmäßig. | |
Auch die Gezeiten dauern unpraktischerweise nicht genau acht Stunden. Das | |
Cäsium, das Ytterbium mögen natürlich sein. Die Atom-Uhr ist es nicht. | |
Sicher: Die Uhr ist ein technisches Gebilde, das so konstruiert ist, dass | |
es gleichmäßig und störungsfrei arbeitet. Bei den Gezeiten dagegen spielen | |
der Mond und andere Faktoren eine Rolle. Letztlich sind auch diese Zyklen | |
gleichmäßig – aber nicht so sehr, wie man es idealisiert mit einer Atomuhr | |
darstellen kann. Das ja ist der Vorteil dieser atomaren bzw. | |
Quantensysteme: dass sie stabiler sind als etwa das Zusammenspiel der | |
Planeten. | |
Auch die Quantenphysik kennt den Zufall. Woher wollen Sie wissen, dass das | |
Atom in der Uhr für immer gleichmäßig schwingen wird? | |
Das tut es schon jetzt nicht. Man kann kein einzelnes Messergebnis präzise | |
vorhersagen, auch nicht die Schwingungen der Atomuhr; das nennt man | |
„Unschärfe“. Ganz konkret errechnen wir für die Uhr den Mittelwert vieler | |
Messungen. Der ist dann wieder sehr stabil und gleichmäßig. | |
Aber wie verhält es sich im All? Kürzlich maß man Gravitationswellen, die | |
eine Zeit-Raum-Krümmung erzeugen können. | |
Ja, die durch das Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher erzeugten | |
Gravitationswellen können Zeit und Raum verbiegen, das heißt: Zeit und | |
Entfernungen dehnen oder verkürzen. Einen ähnlichen Effekt können wir | |
übrigens hier auf der Erde beobachten: Der Gang einer Uhr hängt davon ab, | |
wie hoch sie steht. Je näher am Erdmittelpunkt, desto langsamer geht sie, | |
weil sie von der Schwerkraft beeinflusst wird. | |
Wie genau kann Ihre Atomuhr dann sein? Müssen Sie dann nicht immer zwei | |
aufstellen und den Mittelwert errechnen? | |
Laut internationaler Übereinkunft wird für die weltweit gültigen Zeitskalen | |
eine Korrektur auf Meeresniveau angebracht. Das heißt, bei jeder Uhr wird | |
genau gemessen, wie hoch sie steht. Dann rechnet man den Höhenunterschied | |
zum Meeresspiegel in eine Korrektur der Uhr ein. Der Wert, der herauskommt, | |
kann dann als weltweit koordinierte Atomzeit verwendet werden. | |
Das Universum operiert in Lichtjahren. Wie zukunftsweisend ist es, wenn wir | |
hier auf der Erde Sekunden zählen? | |
Das sind zwei verschiedene Systeme. Die kosmologischen Skalen basieren auf | |
Licht- bzw. Milliarden von Jahren. Die Zeitskala unseres täglichen Lebens | |
dagegen besteht aus Jahren, Stunden, Sekunden. In Kommunikation und | |
Navigation gelten noch viel kürzere Zeiten, und für die meisten technischen | |
Anwendungen ist die präzise Messung kleinster Zeiteinheiten nötig. Zum | |
Beispiel, um Frequenzen in Kommunikationssystemen abzustimmen. Die | |
wichtigste praktische Anwendung präziser Atomuhren ist die | |
Satelliten-Navigation. Da schließt man aus Zeitmessungen auf Positionen, | |
und das erfordert sehr präzise Uhren. | |
Wer finanziert solche Forschungen? Die Kriegswirtschaft? | |
Zum Teil. Wir hier in Braunschweig sind eine dem Wirtschaftsministerium | |
zugeordnete Behörde und bekommen den Großteil unseres Etats von dort. Aber | |
weltweit gibt es – etwa in den USA und Russland – wichtige militärische | |
Anwendungen präziser Zeitmessung, etwa für Kommunikations- und | |
Satelliten-Navigationssysteme. | |
28 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Zeit | |
Braunschweig | |
Umweltschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Umweltschutz: Für einen Zeit-Wohlstand | |
Über Umweltschutz wird neu diskutiert – und dabei auch die Verbindung | |
hergestellt zwischen Burnout und der Ausbeutung der Erde. | |
die wahrheit: Stoppt die Uhren! Silvester gibt es eine Sekunde Zeit gratis | |
Die gute alte Rumpelerde ist etwas aus dem Takt geraten. Das teilte gestern | |
die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig mit. Offenbar | |
geht der betagten... | |
Nicht vergessen: Die Sommerzeit geht vorbei! | |
Die Uhr wird wieder zurückgestellt auf Winterzeit. Am Sonntag gibt es | |
deshalb zweimal 2 Uhr früh, wir dürfen also eine Stunde länger schlafen. | |
Dafür wird es künftig gruslig früh dunkel. |