| # taz.de -- Der sinkende Ölpreis: Freut euch nicht zu früh | |
| > Die Endlichkeit der Ressource ist eine Tatsache. Doch trotz Peak Oil kann | |
| > die Förderung noch lange anhalten. | |
| Bild: Die Frage ist, wann das Öl-Fördermaximum, das sogenannte Peak Oil, erre… | |
| Der Wind hat sich gedreht. Nicht mal die Bild-Zeitung mag mehr so richtig | |
| über den Kollaps des Ölpreises jubeln. Fast in Zeitlupe hat sich die | |
| Einsicht durchgesetzt, dass die beinahe absurd anmutenden Kurse von | |
| zeitweise unter 30 Dollar je Barrel schädlich, ja verheerend sein könnten: | |
| für die Erdölförderländer und die politische Stabilität, für Klima und | |
| Umwelt, für die Energiewende und den dringend notwendigen Abbau von der | |
| Ölabhängigkeit. Aber auch für die Börsen, deren Talfahrt seit Jahresbeginn | |
| immer öfter mit dem trudelnden Ölpreis begründet wird. Die schwachen | |
| Notierungen beim Öl werden inzwischen als Krisensymptom ernst genommen. | |
| Aber galt nicht ein niedriger Ölpreis stets als große weltweite | |
| Konjunkturspritze? Diese Sichtweise beherrschte das erste Jahr nach Beginn | |
| der Talfahrt ab Jahresmitte 2014. Der Ölpreis fiel und nicht nur die | |
| US-Medien applaudierten begeistert. Mit dem Fracking, dem Tiefenbohren in | |
| ölhaltigem Gestein, so hieß es, habe sich die geopolitische Lage komplett | |
| verschoben. Die USA würden nun zum großen Erdölexporteur aufsteigen, und | |
| das ganze Gequatsche von Peak Oil, dem Fördermaximum und von der | |
| Endlichkeit der Ressource sei obsolet. Fracking boomt, Öl ist billig und | |
| der Tiefergelegte brettert mit 250 PS fröhlich über den Highway. | |
| Vorbei! Die USA müssen immer noch riesige Mengen Erdöl importieren. Und in | |
| den großen Frackingregionen in Texas und North Dakota zeichnet sich eine | |
| gigantische Pleitewelle ab. Die Zahl der Frackingbohrstellen ist in den USA | |
| auf 458 gefallen, am 1. Januar 2015 waren es noch 1336. Bevor die stark | |
| reduzierte Bohraktivität in eine ebenfalls stark sinkende Ölfördermenge | |
| mündet, wird von Experten ein Timelag von bis zu einem Jahr veranschlagt. | |
| Aufgrund des extrem niedrigen Zinsniveaus und des eher zahnlosen | |
| Insolvenzrechts in den USA können die heftig überschuldeten Frackingfirmen | |
| mit neuen Krediten noch eine Zeit lang weiterwursteln. Doch sobald die | |
| Banken den Daumen senken, ist der Frackingboom in den USA vorbei – und der | |
| Ölpreis könnte allmählich wieder fliegen lernen. | |
| Aber was ist mit Peak Oil? Was ist dran an der neuen Sicht einer faktisch | |
| unbegrenzten Verfügbarkeit von Erdöl und an der Abqualifizierung von Peak | |
| Oil als krude Theorie von verrückten Vulgärapokalyptikern? Tatsächlich | |
| wurden der Preisrutsch und das Überangebot an Öl von vielen als Beleg dafür | |
| angeführt, dass das Gerede von Peak Oil immer schon Unsinn war. | |
| Diese Deutung wird auch deshalb gern verbreitet und geglaubt, weil sie ein | |
| Weitermachen wie bisher verspricht. Doch die Denunzierung von Peak Oil | |
| (“Peak Oil is dead“) konnte nur gelingen, weil man die Warnungen vor dem | |
| Erreichen des Fördermaximums mit Warnungen vor dem Ende des Erdölzeitalters | |
| gleichgesetzt hat. Eine komplett irrige Interpretation. Zugleich wurde die | |
| Diskussion in der Öffentlichkeit so geführt, als ob Peak Oil etwas seltsam | |
| Esoterisches oder ideologisch Besetztes sei. | |
| Doch Peak Oil ist nichts anderes als ein schlichtes Naturgesetz, das auch | |
| für alle anderen endlichen Ressourcen gilt. Es ist eine im Grunde | |
| vollkommen banale Einsicht: Jede Ölquelle erreicht irgendwann ihr | |
| Fördermaximum, dann geht die Ausbeute langsam zurück. Das gilt für einzelne | |
| Ölfelder, aber auch für einzelne Länder wie etwa Großbritannien, das 1999 | |
| seinen Peak erreichte. Und es gilt natürlich auch für die globale | |
| Erdölförderung. Die Frage ist lediglich, wann das Fördermaximum erreicht | |
| wird und ob der Peak eine Nadelspitze ist mit steilem Abstieg oder eher ein | |
| Plateau, das einige Jahre gehalten werden kann. | |
| Heute wissen wir aus der Rückschau: Die konventionelle, also die ganz | |
| „normale“ Erdölförderung – ohne Fracking, Tiefsee-Akrobatik und ohne die | |
| Förderung aus Ölsanden – hat 2005 ihren Peak erreicht; sie blieb dann lange | |
| auf etwa gleichem Niveau und geht laut World Energy Outlook der | |
| Internationalen Energieagentur inzwischen deutlich zurück. | |
| Die Entwicklung der letzten Jahre wird nun aber so erzählt, als habe der | |
| Fortschritt der Technik dazu geführt, dass die unkonventionellen | |
| Lagerstätten, insbesondere mithilfe von Fracking in den USA, den Peak Oil | |
| konterkariert hätten. | |
| Doch es war nicht die überlegene neue Technik, sondern reines | |
| Umweltdumping, das zum Frackingboom führte. Die Bush-Administration hat | |
| 2005 die Öl- und Erdgasindustrie von den Gesetzen für Wasserreinhaltung und | |
| Gesundheit befreit. Gleichzeitig war der Ölpreis wegen des sich | |
| abzeichnenden Peaks in der konventionellen Ölförderung gestiegen. So konnte | |
| Fracking auf Kosten der Umwelt in Schwung gebracht werden und war dann | |
| aufgrund des hohen Ölpreises einige Jahre halbwegs rentabel. | |
| ## Wie kam es zu dem Preisrutsch? | |
| Fracking war zugleich eine Notlösung, weil die normale Erdölförderung nicht | |
| mehr auszuweiten war und ist. Deshalb musste auch verstärkt in andere | |
| sündhaft teure unkonventionelle Fördertechniken investiert werden: in die | |
| riskante Exploration in arktischen Gewässern, in die zunehmend aufwändigere | |
| Tiefseeförderung in rauer See. | |
| Bleibt dennoch die Frage, wie es zu einem derart heftigen Preisrutsch auf | |
| den Ölmärkten kommen konnte. Zunächst einmal sollten wir zur Kenntnis | |
| nehmen, dass der gesamte Rohstoffsektor vom Preisverfall betroffen ist und | |
| dass Rohstoffmärkte extrem volatil sind. Beim Öl kommt offenbar ein | |
| Überangebot dazu. Und alle Förderländer pumpen am Limit, um die geringeren | |
| Einnahmen des Preisverfalls durch möglichst viel Menge auszugleichen. | |
| Verdient wird schon lange nichts mehr. Saudi-Arabien verzeichnete im | |
| letzten Staatshaushalt ein Minus von 90 Milliarden Euro. BP meldete 2015 | |
| einen Verlust von 6,5 Milliarden Dollar, den anderen Ölkonzernen ging es | |
| kaum besser. Die Ölunternehmen kürzten vergangenes Jahr weltweit ihre | |
| Investitionen um 200 Milliarden Dollar. 2016 setzt sich der Trend fort. | |
| China, der weltgrößte Ölimporteur, ist eine gesonderte Betrachtung wert. | |
| Die Ökonomen streiten sich darüber, ob die offiziellen chinesischen Angaben | |
| zum Wachstum korrekt sind oder ob sie nicht in Wahrheit deutlich niedriger | |
| liegen, vielleicht nur noch bei 2 oder 3 Prozent. Dies allein könnte schon | |
| als Ursache für den Preisverfall auf den Rohstoffmärkten ausreichen: | |
| Panikattacken der Ölmärkte, weil die bisher sehr starken Steigerungsraten | |
| abrupt zurückgehen. | |
| Der Begriff „Ölmärkte“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass es | |
| Märkte wären, wie sie in ökonomischen Lehrbüchern stehen: mit vollständiger | |
| Konkurrenz, einem freien, unregulierten Handel. Tatsächlich handelt es sich | |
| um ein politökonomisches und gleichzeitig hoch spekulatives Geschehen: | |
| Nachzügler wie China machen als Staat Ressourcenpolitik, um sich Quellen zu | |
| sichern, Russland hat eine ganz eigene Art der wirtschaftlichen Lenkung, | |
| die USA hatten bis vor Kurzem ein Ausfuhrverbot für Erdöl, die großen | |
| nationalen Förderfirmen sind in Staatsbesitz und vieles mehr. Und: Jedes | |
| Barrel Öl wird zwölfmal gehandelt, bevor es verbraucht wird. | |
| ## Die Förderung wird zurückgehen | |
| In diesem chaotischen System klassische monokausale ökonomische | |
| Erklärungsmuster zu identifizieren, ist fast unmöglich. Wir wissen: Derzeit | |
| scheinen Ölmarkt und Lagerbestände überversorgt zu sein. Die Preise | |
| überschießen nicht, sie unterschießen und sie decken teilweise nicht einmal | |
| die Hälfte der Selbstkosten der Förderung. Dass dies nicht dauerhaft so | |
| bleiben kann, ist evident. Ebenso klar ist, dass die Investitionen | |
| dramatisch zurückgehen und dass nach einem eher in Jahren bemessenen Verzug | |
| eine Unterversorgung von Öl die Folge sein wird. Dazu kommt der | |
| kontinuierliche Rückgang in den großen klassischen Ölfeldern. | |
| So ist die Endlichkeit der Ressource Öl eine Tatsache, die der gegenwärtige | |
| Ölpreiskollaps zwar verdeckt, die aber ihre eigene Gesetzmäßigkeit | |
| entfalten wird. Die Förderung wird zurückgehen, auch wenn sich das ein | |
| halbes Jahrhundert hinziehen wird. | |
| 14 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
| Jörg Schindler | |
| Martin Held | |
| ## TAGS | |
| Ölpreis | |
| Ölförderung | |
| Erdöl | |
| Ölpreis | |
| Ölpreis | |
| Ölpreis | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Sinkende Rohstoffpreise: Bankrott durch billiges Öl | |
| Der niedrige Ölpreis treibt Staaten an den Rand der Pleite. Weltbank und | |
| Währungsfonds springen mit Notkrediten ein. | |
| Schlechtes Geschäft mit Rohstoffen: Sturzflug der Ölmultis | |
| BP macht 2015 Verlust, Exxon deutlich weniger Gewinn. Die Konzerne jammern, | |
| es liege am niedrigen Ölpreis – doch das ist nur die halbe Wahrheit. | |
| Konzerne suchen Lager für Öl: Ab in den Tanker | |
| Weil der Lagerplatz knapp und teuer ist, parken Energiekonzerne immer mehr | |
| Öl auf Supertankern vor der Küste. Schon jetzt gibt es Staus. | |
| Preissturz auf dem Ölmarkt: Moskau ächzt unter Dumpingpreisen | |
| Mehr als die Hälfte der russischen Staatseinnahmen stammt aus dem Verkauf | |
| von Öl und Gas. Der aktuelle Wertverfall hat fatale Auswirkungen. |