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# taz.de -- Prozessauftakt Mord an Hatun Sürücü: Der Hass einer Familie
> Die Familie der Getöteten Hatun Sürücü gibt sich selbstsicher. Die
> Beweislage ist kompliziert. Im April soll die entscheidende Zeugin
> aussagen.
Bild: Zeigen damals wie heute keine Reue: die drei Brüder Mutlu, Alpaslan und …
Istanbul taz | Sämtliche Besucher des Prozesses in Istanbul sind Vertreter
deutscher Medien oder Deutschtürken, für die der damalige Mord an Hatun
Sürücü eine große Bedeutung hat. In der türkischen Öffentlichkeit wird das
Verfahren dagegen kaum wahrgenommen. Bei statistisch gesehenen mehr als
zwei ermordeten Frauen pro Tag ist ein sogenannter „Ehrenmord“ in
Deutschland hier kein großer Aufreger mehr.
Deshalb dürfte Mutlu Sürücü nicht ganz unrecht haben, was den jetzt
begonnenen Prozess in Istanbul angeht. Ohne stetiges Drängen aus
Deutschland, ohne das anhaltende Interesse der deutschen Öffentlichkeit
hätte sich die türkische Justiz wohl nicht mehr bereit gefunden, ein
Verfahren gegen die beiden Brüder zu eröffnen.
Denn sie waren ja schon einmal, wie ihre Anwältin gestern wiederholt
betonte, von einem deutschen Gericht freigesprochen worden. Erst in einer
späteren Revisionsentscheidung hatte der Bundesgerichtshof wegen Mängeln in
der Beweiserhebung die Freisprüche aufgehoben. Zu einer erneuten
Verhandlung in Deutschland kam es dann nicht mehr, weil die Familie Sürücü
mittlerweile in die Türkei zurückgekehrt war.
Hier passierte denn auch erst einmal lange Zeit nichts. Die Brüder wähnten
sich in Sicherheit, Ayhan, der wegen Mordes an seiner Schwester verurteilt
worden war und nach Verbüßung der Haft ebenfalls in die Türkei abgeschoben
wurde, sagte sogar, er fühlte sich erst in der Türkei wieder richtig frei.
Nach Informationen des rbb lebt er seitdem im Haus seines älteren Bruders
Mutlu in Istanbul und betreibt einen Köfte-Imbiss.
## Brüder als Zeugen befragt
Warum die türkische Justiz nach den Aufforderungen der deutschen Behörden,
die beiden Brüder auszuliefern oder ihnen selbst den Prozess zu machen,
zunächst gar nicht reagierten und nun, fast sieben Jahre später, doch noch
ein Verfahren eröffnet hat, ist offiziell unklar. Man kann nur mutmaßen,
dass die Verbesserungen in den deutsch-türkischen Beziehungen dazu geführt
haben, dass sich Ende 2013 ein Staatsanwalt der deutschen Akten angenommen
hat und eine Anklage formulierte, die dann im Oktober 2015 vom Istanbuler
Gericht für schwere Straftaten akzeptiert wurde.
Viele der Prozessbesucher, die am Dienstag extra aus Deutschland angereist
waren, hatten befürchtet, der Prozesstag würde ausfallen, weil die beiden
Beschuldigten Mutlu und Alpaslan Sürücü erst gar nicht vor Gericht
erscheinen würden. Doch es kam anders. Als der Prozess mit einiger
Verspätung begann, saßen beide auf der Anklagebank. Und nicht nur sie. Auch
Ayhan Sürücü, der den Mord ausgeführt hatte, und der älteste Sürücü-Bru…
Emre waren anwesend und wurden als Zeugen befragt.
Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Sürücü-Brüdern Alpaslan und Mutlu
vor, einen nahen Verwandten (also die Schwester) vorsätzlich getötet zu
haben und fordert für beide lebenslange Haft. Beide sollen ihren jüngeren
Bruder Ayhan gedrängt haben, die Schwester zu töten, Mutlu soll die Pistole
beschafft haben, mit der Ayhan dann schoss. Wie schon in dem Prozess 2005
in Berlin streiten beide Brüder eine Beteiligung an dem Mord an ihrer
Schwester Hatun ab.
Der Zeuge Emre Sürücü, der zum Zeitpunkt des Mordes an seiner Schwester in
Berlin wegen eines Rauschgiftdelikts im Gefängnis saß, versuchte am
Dienstag den Eindruck zu erwecken, als hätte es für die Familie Sürücü auch
nie ein Mordmotiv gegeben. „Wir sind eine moderne Familie“, sagte er.
Gemeinschaftlich beschlossener Mord aus religiösen oder traditionellen
Gründen sei deshalb ausgeschlossen. Er selbst sei als Sunnit so offen, dass
er mit einer Alevitin verheiratet sei.
## Gericht hinterfragt Aussagen nicht
Auch Ayhan Sürücü gab sich sehr selbstsicher und machte nicht den Eindruck,
als bereue er den Mord an seiner Schwester. Die Familie habe damit nichts
zu tun gehabt. Nur ihn habe der Lebenswandel der Schwester gestört. Was ihm
leidtue, sei der Ärger, den seine Familie durch die deutschen Medien
bekommen hätte, sagte er.
Das Gericht tat am Dienstag relativ wenig, um die Aussagen der Zeugen und
der angeklagten Sürücü-Brüder zu hinterfragen. Zwar hakte der Staatsanwalt
einige Mal nach, doch dürfte das für eine Verurteilung kaum reichen.
Entscheidend wird sein, wie die nächste Zeugin auftritt. Für Ende April ist
Melek geladen, die Frau, die schon in Berlin als Kronzeugin der Anklage
auftrat. Melek war die Freundin von Ayhan Sürücü und berichtete im Berliner
Prozess, wie ihr Freund ihr vom Familienbeschluss, Hatun zu töten,
berichtet hatte.
Melek lebt seitdem in einem Zeugenschutzprogramm unter neuem Namen und in
einem anderen Land. Ob sie im April persönlich nach Istanbul kommt, um dort
gegen die Sürücü-Brüder auszusagen, ob sie per Video zugeschaltet wird oder
ob lediglich das Gericht sie an einem neutralen Ort vernehmen wird, blieb
unklar. Klar ist nur, dass von ihrer Aussage der Ausgang des Verfahrens
abhängen wird.
26 Jan 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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