# taz.de -- Tauchen für die Wissenschaft: Die nassen Helden von morgen | |
> Aus der Tiefe ans Tageslicht: Forschungstaucher helfen, die Meere zu | |
> erkunden und zu schützen. Unser Autor hat ihre Ausbildung mitgemacht. | |
Bild: „Mit genug Adrenalin geht alles“: der Autor im Kieler Hafenbecken | |
KIEL taz | Wer die Erde retten will, muss die Meere kennen. Um allerdings | |
im Auftrag eines deutschen Instituts als Forschungstaucher zu arbeiten, | |
benötigt man eine Ausbildung. Ich habe an einer teilgenommen. | |
Sonntag, den 13. September 2015: Im [1][Tauchlager] der | |
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel begrüßt der Ausbildungsleiter | |
Roland Wolfgang Friedrich, 56, die zehn TeilnehmerInnen (sechs davon | |
Frauen) mit den Worten: „Willkommen zur Metamorphose zum Berufstaucher“. | |
Friedrich bietet das Du an und macht klar, dass wir mit Mützen und warmer, | |
wasserfester Kleidung zur Arbeit erscheinen müssen, wenn wir nicht wegen | |
Krankheit ausfallen wollen. | |
„Wir werden zusammenwachsen“, prophezeit Friedrich. Er ist bekennender | |
Sozialdemokrat, Christ und Kapitänleutnant der Bundesmarine im Ruhestand. | |
Er war dort selbst Taucher und Tauchausbilder. Alles, was ihm nicht | |
gefällt, bezeichnet er als „Schafscheiße“. Mit seiner schroffen, aber | |
herzlichen Art wird er aus dem Stand zu einer Vaterfigur für alle | |
TeilnehmerInnen. Mit seinem trockenen Humor schafft er es, gute Laune zu | |
verbreiten. Auch an Tagen, an denen manche von uns auf dem Zahnfleisch | |
kriechen und kurz davor sind, aufzugeben. | |
## „Achtung, Luft!“ | |
Es ist Montag, die Ausbildung beginnt um 5.30 Uhr morgens im Tauchlager. | |
Wir suchen unsere Ausrüstungsgegenstände zusammen: die Vollgesichtsmasken, | |
Bleigurte, Tauchanzüge, Flossen, Handschuhe und Blaugurte, an denen wir | |
angeleint oder im Fall eines Unfalls geborgen werden können. | |
Die Atemluftgeräte müssen nach einer Einweisung mit dem Kompressor befüllt | |
werden. Dabei muss laut „Achtung, Luft!“ gerufen werden. Wegen des hohen | |
Drucks auf den Luftflaschen können durch Unachtsamkeit üble Unfälle | |
passieren, beispielsweise kann ein Atemregler, der nicht richtig festsitzt, | |
dem Taucher beim Aufdrehen der Flasche ins Gesicht schießen. | |
Die [2][Ausbildung zum „geprüften Forschungstaucher“] gibt es seit den | |
siebziger Jahren, weil es vorher zu mehreren [3][Unfällen] bei | |
Taucheinsätzen von Wissenschaftlern gekommen war. Ihr Hauptaugenmerk liegt | |
auf den Gefahren. Deshalb wurden die [4][Regeln für die Ausbildung] in | |
Zusammenarbeit mit der Berufsgenossenschaft Bau aufgestellt, die auch für | |
Berufstaucher zuständig ist. | |
Es ist Vorschrift, vor jedem Taucheinsatz eine Gefährdungsbewertung zu | |
schreiben, in der genau stehen muss, was passieren kann und was nicht. | |
Unter Wasser kann man sich zum Beispiel an spitzen Gegenständen oder an | |
unter Wasser entsorgter Munition aus dem Zweiten Weltkrieg verletzen. Davon | |
liegt in der Kieler Förde noch eine ganze Menge herum. | |
Unsere erste Aufgabe ist es, im Hafenbecken die Skizze und | |
Habitatsbeschreibung eines Unterwasserstützpfeilers (also dessen, was auf | |
ihm wächst und lebt) anzufertigen. Wir tauchen sieben Meter tief, als ich | |
mit den Knien auf den Boden schlage. Es wirbelt so viel Sediment auf, dass | |
ich weder meine Hand vor Augen noch meinen Tauchpartner Mathieu Camenzind | |
neben mir sehen kann. Der Grund ist so weich, dass wir nicht so genau | |
wissen, ob wir noch im Wasser tauchen oder schon im Schlamm. Zum Glück sind | |
wir durch eine Handleine am Arm miteinander verbunden. | |
Eine Tauchgruppe besteht aus einem oder zwei Einsatztauchern, einem | |
Signalmenschen, der seine Taucher und ihre Luftblasen immer im Auge | |
behalten muss, und einem Sicherungstaucher, der in voller, häufig | |
durchnässter Montur im kalten Oktoberwind für den Notfall bereitsteht. | |
Die Taucher sind untereinander und mit dem Signalmenschen durch Leinen | |
verbunden. Dieser hat uns mit Zugsignalen schnell zu unserem Pfeiler | |
gelotst, um den herum die Sicht wieder ganz klar ist. Camenzind, 36, aus | |
Zürich hat bereits 220 Tauchgänge hinter sich. Er arbeitet als Ökologe bei | |
einer Schweizer Firma, die Umweltverträglichkeitsgutachten im | |
gewässerökologischen Bereich erstellt. Privat möchte er mehr für den | |
Artenschutz unter Wasser tun. | |
Wieder im Tauchlager wird ausgeladen. Es bleibt nur Zeit für Kaffee und | |
eine Stulle, dann geht es in den Hörsaal. Zwischendurch sieht man immer | |
wieder jemanden mit einem roten Tampen die für die Prüfung notwendigen | |
Seemannsknoten üben. Wir müssen Referate halten und uns gegenseitig | |
unterrichten: in Tauchtechnik, Recht, Tauchphysik, dem Umgang mit | |
Unterwasserkameras, Unterwasserarchäologie, -biologie, -geologie und vor | |
allem Tauchmedizin, damit wir Unfälle, die etwa zu arteriellen Gasembolien | |
oder Barotraumen führen können, zu vermeiden lernen. | |
Zwischen acht und neun Uhr abends geht es endlich nach Hause. Wer dort | |
nicht sofort in Tiefschlaf fällt, erledigt Hausaufgaben. Über die nächsten | |
Tage breitet sich kollektiver Schlafmangel aus. Einer der Ausbildungshelfer | |
kommentiert das lapidar mit dem Satz: „Mit genug Adrenalin geht alles.“ | |
Damit soll er recht behalten. | |
Von der zweiten Woche an geht es aufs Schiff. Auf den [5][Forschungskutter | |
„Littorina“] des [6][Kieler Ozeanforschungsinstituts Geomar]. Die Enge des | |
Schiffs birgt neues Gefahrenpotenzial – Wellengang, Gischt und Wind werden | |
unsere neuen Begleiter. Die Zeit ist noch knapper, weil das Schiff | |
pünktlich im Hafen sein muss. Unter Friedrichs Rufen wie „Warum läuft der | |
Kompressor nicht?“ und „Warum ist noch kein Taucher im Wasser?“ rotieren | |
wir um unsere Einsatzpläne herum. | |
Jeder muss mal jeden Job machen. Am ersten Tag ist Scott Einsatzleiter. | |
Scott Tucker, 31, ist ehemaliger Polizist aus Maryland, USA. Er entschied | |
irgendwann, seine Leidenschaft, schwierige Fälle detektivisch zu lösen, | |
lieber in der Archäologie auszuleben. 2008 hat er an der Universität von | |
Southampton seinen Master für maritime Archäologie gemacht und seine | |
jetzige Frau, eine Deutsche, kennengelernt. Er zog nach Deutschland und hat | |
sich für die Ausbildung angemeldet, um auch für deutsche Institute unter | |
Wasser arbeiten zu können. | |
In der Ostsee ist es wärmer als an Deck der „Littorina“. Nur die | |
Tieftauchgänge auf bis zu 30 Meter sind kalt, dunkel und gefährlich, weil | |
bei ihnen das Risiko für Dekompressionsunfälle steigt. Täglich sind auch | |
sogenannte Badegäste mit an Bord, bereits fertig geprüfte | |
Forschungstaucher. Manche von ihnen stellen sich spontan unter Wasser tot, | |
und ihr Tauchpartner muss dann eine Rettungsaktion einleiten. | |
## Sieben bleiben übrig | |
Trotz der relativ starken Strömung nehmen wir Sedimentproben, bestimmen | |
Arten und fotografieren, vermessen Wracks und suchen nach archäologischen | |
Artefakten. Endlich können wir richtig arbeiten. Den größten Teil der | |
Artenbestimmung übernehmen Biologinnen wie Sarah Zauner, 30. Sie ist | |
Wienerin, in erster Linie Biologin, aber Ökologin mit dem Herzen. | |
Obwohl die Welt ihrer Meinung nach ohnehin dem Untergang geweiht ist, die | |
Politiker nicht handeln und die Emissionsgesetze eine Farce sind, möchte | |
sie die Zustände untersuchen und aufzeigen, in der Hoffnung, dass | |
irgendwann adäquat reagiert wird. | |
Am Ende der Ausbildung sind von den zehn Menschen, die sich angemeldet | |
hatten, noch sieben übrig, die alle die Prüfung bestehen. Die drei anderen | |
mussten aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Traditionell wird eine Party | |
organisiert und aus „Mr. Zylinder“ getrunken, einem zwei Meter langen | |
Stahlrohr, das für Bergungsübungen beim Tauchen diente. Die gemeinsam | |
durchlebten Strapazen und die gegenseitige Fürsorge haben enge Freunde aus | |
uns werden lassen, obwohl wir so unterschiedlich sind, dass wir uns unter | |
anderen Umständen wohl nie kennengelernt hätten. | |
Die frisch geprüften Forschungstaucher bedanken sich mit neuen | |
Akkuladegeräten bei Roland Wolfgang Friedrich und seinen Ausbildungshelfern | |
Fabian Schuster und Jan-Hans Laurenz. Die alten Ladegeräte waren nicht für | |
moderne Akkus geeignet. | |
Das Forschungstauchzentrum ist, obwohl Aushängeschild der Kieler Uni, mit | |
einem spartanischen Etat versehen. Friedrich selbst wird nur für die Zeiten | |
während der Ausbildung bezahlt, engagiert sich aber, um alles am Laufen zu | |
halten, auch außerhalb dieser Zeit. Die Mitarbeiter des | |
Forschungstauchzentrums wünschen sich für Friedrichs Nachfolge eine volle | |
Stelle. | |
24 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ifg.uni-kiel.de/364.html | |
[2] http://www.forschungstauchen-deutschland.de/ | |
[3] http://www.shz.de/schleswig-holstein/panorama/das-tragische-nachspiel-im-de… | |
[4] http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/r-2112.pdf | |
[5] http://www.geomar.de/zentrum/einrichtungen/wasser/f-k-littorina/ | |
[6] http://www.geomar.de/ | |
## AUTOREN | |
Ulf Schleth | |
## TAGS | |
Forschung | |
Tauchen | |
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Artenschutz | |
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