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# taz.de -- Schwierige Umsetzung von Digitalhörfunk: Wie oft kaufen Sie ein ne…
> Längst sollte der digitale Empfang von Radiosendern deutschlandweit
> eingeführt werden. Doch die privaten Sender haben Angst vor der
> Konkurrenz.
Bild: Erinnern Sie sich noch? Das ist ein Radio
Na, heute schon Radio gehört? Auf Mittelwelle? Hört eh keiner mehr,
deswegen hat auch niemand mitbekommen, dass es seit Silvester keinen
deutschen Sender auf dem traditionsreichsten aller Verbreitungskanäle mehr
gibt. Als Letzte hatten Deutschlandradio und Saarländischer Rundfunk die
Mittelwellen-Ausstrahlung abgeschaltet.
Aber keine Sorge, UKW funktioniert ja noch. Obwohl der Bundestag im
Telekommunikationsgesetz von 2004 beschlossen hatte, dass Lizenzen für die
UKW-Nutzung „spätestens 2015 widerrufen“ werden sollten. Bis dahin sollten
alle Bundesbürger nämlich ihr Radioprogramm über DAB (Digital Audio
Broadcasting) empfangen. Doch der Bundestag hat diesen Passus 2011 wieder
aus dem Gesetz gestrichen, ebenso wie einige Landesparlamente, die ähnliche
Regelungen in ihren Mediengesetzen stehen hatten. Denn trotz aller
Bemühungen um die Einführung des Digitalempfangs stehen bis jetzt kaum
Geräte in den Haushalten – deshalb war eine UKW-Abschaltung bisher nicht zu
verantworten.
Inzwischen hat sich die Situation geändert. Nachdem zunächst der
verbesserte Standard DAB+ eingeführt worden war, gibt es in den Läden immer
mehr Radiogeräte mit DAB-Modul, sogar bei den Einsteigermodellen. Bei
Preisen von 40 Euro an aufwärts ist DAB nun kein Nischenprodukt mehr. Und
für die Hersteller gibt es eigentlich keinen Grund, ein Gerät ohne
Digitalempfang auf den Markt zu bringen. Für die Konsumenten könnte
allenfalls die Konkurrenz Internet-Radio noch die Entscheidung erschweren,
aber auch da ist der Preisunterschied zwischen Einzel- und Kombiempfängern
eher marginal.
Nur: Wie oft kaufen Sie ein neues Radio? Schätzungen gehen von einer Zahl
zwischen 240 und 300 Millionen Radioempfangsgeräten in den deutschen
Haushalten und Büros aus. Nahezu alle von ihnen verfügen über ein
UKW-Empfangsmodul. Und es besteht wenig Anlass für Neuanschaffungen, nicht
zuletzt, weil die meisten Hörer den Mehrwert von DAB+ gegenüber UKW kaum
nachvollziehen können.
## Private Radiosender zeigen kein Interesse
Aktuelle Zahlen besagen außerdem, dass nur etwa 30 Prozent aller
Radiogeräte, die im Laden verkauft werden, über ein DAB-Modul verfügen. Und
trotz Abschaltung der Sender haben viele Neugeräte in den Läden noch immer
ein AM-Modul für den Empfang der Mittelwelle und manchmal auch Kurzwelle.
Das andere große Hindernis sind die privaten Radioanbieter. Seit Jahren
zeigen sie kaum Interesse an DAB. Sie fürchten um ihre Pfründen, denn der
konsequente Umstieg auf dieses Verbreitungsverfahren bricht die
Marktstrukturen auf. Auf dem DAB-Frequenzband ist mehr Platz für
Konkurrenz, deswegen bremsen die alteingesessenen Radiosender die
Umstellung, wo sie nur können.
Noch im Dezember verteidigte Klaus Schunk, für den Hörfunk zuständiges
Vorstandsmitglied des Privatsenderverbandes vprt, die Ausstrahlungstechnik
UKW. Sie sei „für die Wertschöpfung der Veranstalter“ unverzichtbar. Er
forderte insbesondere von der Politik „keine Beeinträchtigung des
UKW-Geschäftsmodells“ durch eine Abschaltdebatte. Und die Politik ist
willfährig: Die Bereitschaft, nun endlich einen realistischen
Abschalttermin festzulegen, ist kaum noch zu erkennen. Aus vielen
Staatskanzleien ist zu hören, dass vor 2025 wohl kaum etwas machbar sei.
## Norwegen und Schweiz schalten ab
Immerhin wird von immer mehr Beteiligten erkannt, dass es in Europa eine
einheitliche Vorschrift zum Einbau von technologieneutralen Digitalchips
zur Decodierung verschiedener Technologien geben müsse. Selbst die
Staatssekretärin im zuständigen Ministerium für Verkehr und digitale
Infrastruktur, Dorothee Bär, setzt sich mittlerweile bei der EU dafür ein,
dass Brüssel den Mitgliedsstaaten eine Handhabe gibt, den Verkauf rein
analoger Radios – darunter auch Handys mit Radioempfang – zu verbieten.
Ohne diese EU-Direktive kann Deutschland nicht verordnen, dass nur noch
digitale Radios in den Läden stehen dürfen, eigentlich ein entscheidender
Schritt für den Marktdurchbruch der seit 20 Jahren am Markt verfügbaren
Technologie.
Doch ob sich Dorothee Bär bei ihrem Parteikollegen Günther Oettinger Gehör
verschaffen kann? In der Brüsseler Bürokratie hat sich bis heute noch nicht
die Erkenntnis breitgemacht, dass es im Spannungsverhältnis zwischen
Netztechnologien und Märkten manchmal sinnvoll ist, technische Standards zu
setzen, damit sich die Märkte überhaupt erst entwickeln können.
Die Schweiz und Norwegen machen vor, dass es durchaus anders geht und das,
obwohl beide Länder sehr viel später in die Technologie eingestiegen sind
als Deutschland. In Norwegen wird UKW ab 2017 stufenweise innerhalb eines
Jahres komplett abgeschaltet, in der Schweiz vermutlich ab 2020. Ansonsten
müssten nämlich laut Gesetz die UKW-Lizenzen für weitere zehn Jahre neu
vergeben werden. In der Schweiz löste 2008 die Umschaltung der beliebten,
landesweit ausgestrahlten „Musikwelle“ von Mittelwelle auf DAB einen Run
auf DAB-Empfänger aus, Grundlage einer raschen Marktdurchdringung mit
Digitalgeräten. In mehr als 40 Prozent der Schweizer Haushalte steht
inzwischen ein DAB-Radio.
## Drei Stunden Sendepause
Auch für den Privatfunk in der Schweiz war DAB attraktiv: Eine Reihe von
Privatradios haben so die Möglichkeit erhalten, über das Lokale und
Regionale hinaus im ganzen Land verbreitet zu werden.
Für Touristen, die dann im nächsten Jahrzehnt auf dem Weg nach Italien
durch die Schweiz fahren, wird das wahrscheinlich bedeuten: mindestens drei
Stunden Sendepause. Denn DAB-Empfänger für das Auto sind noch lange nicht
Standard. Die deutsche Automobilindustrie bietet derartige Geräte in der
Regel nur gegen gehörige Aufpreise an, obwohl man sich schon vor Jahren
dazu bereit erklärt hatte, die neue Empfangstechnik zügig in die Neuwagen
einzubauen.
Interessant wird es in diesem Frühjahr noch einmal für Deutschland. Bis
April wird der 20. Jahresbericht der „Kommission für die Ermittlung des
Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) erscheinen. Fachmedien wollen
erfahren haben, dass die KEF darin anstatt eines konkreten Abschaltdatums
nur noch die Benennung eines „Abschaltzeitraums“ für UKW verlangt. Also
auch hier eine Aufweichung der Position.
Dabei böte sich ein historisches Datum an: der 29. Oktober 2023. Das wäre
der Tag, an dem in Deutschland der 100. Jahrestag des Radios gefeiert wird.
2 Feb 2016
## AUTOREN
Jürgen Bischoff
## TAGS
Radio
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Selbsthilfe
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