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# taz.de -- Ausstellungsexperiment in Berlin: „Von dicken Schalen uberlegt“
> Die Ausstellung „Double Vision“ mit Druckgrafiken von Albrecht Dürer und
> William Kentridge handelt von den Möglichkeiten der Ausstellung selbst.
Bild: Ausschnitt aus William Kentridge, Parcours d‘Atelier, 2007. Collage, Fe…
Albrecht Dürer selbst hat das indische Panzernashorn nie gesehen. Er kannte
nur eine briefliche Beschreibung. „Es hat ein farb wie ein gespreckelte
Schildkrot. Und ist von dicken Schalen uberlegt fast fest“, hieß es über
das exotische Tier, das unter großem Aufsehen am 20. Mai 1515 als Geschenk
des Sultans von Gujarat in Portugal eintraf. Dennoch wurde Dürers
Holzschnitt bis ins 18. Jahrhundert in zahlreichen naturwissenschaftlichen
Abhandlung abgebildet und prägte das europäische Bild vom Nashorn.
Unverkennbar hat sich William Kentridge für seine Serie „Drei Rhinozerosse“
von 2005 den Holzschnitt Dürers zum Vorbild genommen. Die Darstellung im
Profil, die Proportionen, der hochstechende Nackenknochen. Doch das
mächtige Tier des südafrikanischen Künstlers folgt anderen Regeln: Es macht
Sitz wie ein Hund und springt an den oberen Bildrand.
Da ist das ikonenhafte Rhinozerosbild des deutschen Renaissancekünstlers
und da ist seine Verfremdung durch den südafrikanischen Gegenwartskünstler.
„Double Vision“ heißt die Ausstellung im Berliner Kulturforum, die 120
Arbeiten beider Künstler zusammenbringt. 500 Jahre liegen zwischen Dürer
und Kentridge, doch die Ausstellung ist keine historische
Gegenüberstellung. Die beiden Kuratoren Andreas Schalhorn vom
Kupferstichkabinett und Elke Anna Werner, Kunsthistorikerin an der Freien
Universität Berlin, streifen vielmehr frei durch die Bildwissenschaft und
machen zwischen den beiden Künstlern die unterschiedlichsten Verbindungen
auf, mal in der Psychoanalyse, mal in der Geometrie.
Dabei verfolgen sie einen Ansatz, der vom Kooperationspartner der
Ausstellung, der Forschergruppe BildEvidenz in Dahlem, theoretisch
vorangetrieben wird: „Double Vision“ soll zwei künstlerischen Visionen eine
gemeinsam Präsenz geben.
## Dürer brachte die Druckgrafik zur Perfektion
Unmittelbar einleuchtend, eben evident ist, dass beide Künstler das
schwarz-weiße Bild nutzen. Dürer, den Erasmus von Rotterdam einmal in einem
Vergleich mit dem antiken Maler als „Apelles des Schwarz-Weiß“ bezeichnet
haben soll, brachte die Druckgrafik zur Perfektion und erhob sie um 1500 zu
einem eigenständigen Medium.
Kentridge seinerseits lotet die Möglichkeiten des schwarz-weißen Bildes
vielseitig aus: Zeichnung, Druck, Collage, und selbst – obwohl nicht in der
Ausstellung zu sehen – Film und Theater sind bei ihm ins schwarz-weiße Bild
gesetzt.
Zeichnerisch kann er virtuos ins Detail gehen, in seinen Collagen hingegen
reduziert er aufs Markante: Nur in groben Zügen setzt Kentridge seine
Schattenfiguren in der Arbeit „Portage“ aus Papierfetzen zusammen, doch
deutlich kommt die Tragik aus der vier Meter langen Prozession Gebeugter,
von Krüppeln und Lasttragenden hervor – Kentridge, der Sohn eines bekannten
Anwalts, der auch Nelson Mandela vertreten haben soll, setzt sich in seiner
Kunst viel mit der Postapartheid seines Herkunftslandes auseinander.
Gemeinsam ist den zwei Künstlern auch ihre Auseinandersetzung mit der
Technik und dem Handwerk der Zeichnung. Nahezu wissenschaftlich setzen sich
beide mit der Konstruktion des Raumes im Bild auseinander, mit dem Verlauf
seiner Fluchtlinien und schließlich der Schaffung einer Perspektive, die
den Betrachter intensiv in das Bildgeschehen holt.
Dieser wird dann in der Sprache der Kuratoren zum „Akteur innerhalb eines
Evidenzverfahrens“, etwa wenn Dürers verfeinerte Zentralperspektive auf dem
Blatt der Beschneidung Jesu aus dem Marienleben-Zyklus den Blick derart
konzentriert zum tapferen Jesusknaben lenkt, als würde man den Ritus hinter
der Türe durch ein Schlüsselloch beobachten.
## Kentridge zitiert Dürer direkt
Den Schlüssellochblick hat Dürer in seinem Lehrbuch „Underweysung der
Messung“ von 1525 ausführlich theoretisiert. Kentridge zitiert Dürer
direkt. Er verfremdet die Illustrationen des Lehrbuchs, macht aus Dürers
weiblichem Akt ein rundliches Weib, das der Nana von Niki de Saint-Phalle
ähnelt.
Kentridges stereoskopische Apparaturen simulieren die Gucklochtechnik und
lassen den Blick des Betrachters auf eine 3-D-Adaption der berühmten
„Melencolia I“ Dürers fallen, deren symbolisches Inventar – darunter der
schlafende Hund – in die Bildersprache des Südafrikaners übersetzt wird,
der nun das Skelett eines Rinds neben die allegorische Engelsfigur legt.
Erneut wirft Kentridge einen kritischen Blick auf die westliche
Kunstgeschichte und verwickelt sie mit den Konflikten seines eigenen
afrikanischen Herkunftslands.
Die Ausstellung soll unorthodox sein. Kein White Cube, keine starre und
durchanalysierte Gegenüberstellung von Renaissance- und Gegenwartskünstler.
Die Kuratoren präsentieren ihre Bilder in unterschiedlichsten Spielarten
der Hängung und Rahmung entlang eines Parcours aus warmroten und
cremegrauen Wänden.
Um die Wechselbeziehungen zwischen Bild und Betrachter soll es in dieser
Ausstellung gehen, um den diffusen Raum zwischen dem „Erfahrungsinhalt“ und
dem „Erfahrungserlebnis“ des Bildes, wie es Autor Klaus Krüger im Katalog
zur Ausstellung benennt. Der Besucher ist in die Ausstellungsarchitektur
integriert, deswegen ihre Sinnlichkeit, deswegen auch ein Sitzpodest zum
Entspannen und ein breiter Spiegel auf Augenhöhe im Zentrum des Saals.
Das räumliche Arrangement ist freilich zu gewollt, wie auch manch
inhaltliche Verknüpfung zwischen den beiden Künstlern zu konstruiert ist.
Für eine Denk- oder besser Sehwerkstatt ist aber die Verbindung von Dürer
und Kentridge fruchtbar, schon weil es sich um zwei herausragende Künstler
handelt.
25 Jan 2016
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Kunst
Hannover
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