# taz.de -- Wissenschaftler zum Klimaentwurf: Note Fünf, setzen! | |
> Fünf Klimaexperten nehmen den vorläufigen Vertrag unter die Lupe. Das | |
> Fazit: Schöne Ziele, aber es wird zu wenig für ihr Erreichen getan. | |
Bild: Das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas bleibt weiter möglich. Wissenschaf… | |
PARIS taz | Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen nur ein paar Seiten. | |
Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für | |
Klimafolgenforschung, sitzt auf dem Weltklimagipfel, zusammen mit vier | |
Kollegen, in einem total überfüllten Konferenzraum. Er beginnt mit einer | |
guten Nachricht an die versammelte Weltpresse. Die will hören, ob der | |
bisher vorgelegte Entwurf zu einem globalen Klimaschutzabkommen ausreichend | |
ist, um die Erderwärmung in Grenzen zu halten. | |
Man wolle mit den Bemühungen fortfahren, die globale Erwärmung auf | |
durchschnittlich maximal 1,5 Grad zu begrenzen, heißt es in Artikel 2 des | |
Vertragsentwurfs von Donnerstagabend. „Das ist eine gute Formulierung“, | |
sagt Schellnhuber. Bisher galt in sämtlichen Formulierungen der Vereinten | |
Nationen zum Klimaschutz stets das sogenannte 2-Grad-Ziel. Höher sollen die | |
globalen Temperaturen im Schnitt nicht ansteigen, im Vergleich zu den | |
Werten vor der Industrialisierung. Hört sich abstrakt an, gilt aber | |
wissenschaftlich als wichtige Grenze: Sollte es noch wärmer werden, wäre | |
der Untergang diverser Inselstaaten besiegelt, ganze Küstenabschnitte | |
könnten unbewohnbar werden. Der Klimawandel könnte sich selbst verstärken. | |
Die Folgen wären unabsehbar. | |
Nun also das 1,5-Grad-Ziel, allerdings: Es scheint eine hohle Formulierung | |
zu sein. „Man muss fragen, ob der restliche Text dafür sorgt, dass diese | |
Ambitionen auch umgesetzt werden“, sagt Schellnhuber und ergänzt sofort: | |
„Nicht ausreichend.“ In Schulnoten übersetzt wäre das eine glatte Fünf. | |
Sein Kollege Kevin Anderson wird wesentlich drastischer. Er höre oft, das | |
Abkommen werde ein Manifest des grünen Wachstums, eine Win-Win-Situation. | |
„Aber für wen? Für die reichen Staaten der nördlichen Hemisphäre, die vie… | |
Klimagase emittieren. Für die armen, nicht-weißen Menschen in der südlichen | |
Hemisphäre ist der momentane Text irgendwo zwischen gefährlich und | |
tödlich“, sagte Anderson, stellvertretender Direktor des Tyndall Centre for | |
climate change research in Manchester. Für ihn ist das bisherige Abkommen | |
sogar schlechter als das von Kopenhagen von 2009, das als gescheitert galt. | |
Anderson bezog das vor allem darauf, dass die Rolle der Wissenschaft | |
geschwächt worden sei und Flugverkehr und Schifffahrt nicht mehr erwähnt | |
werden. | |
## Verbrennung von Kohle, Öl und Gas weiter möglich | |
Dieser drastischen Einschätzung folgen die anderen vier Wissenschaftler | |
nicht. Einig sind sie sich darin, dass die bisher angebotenen | |
Emissionsminderungen der 195 Staaten kaum ausreichen. Sie würden eine | |
Klimaerwärmung von 2,7 bis 3,5 Grad bedeuten. Entsprechend folgenlos bleibt | |
der Wunsch nach einem 1,5-Grad-Ziel. Um das zu erreichen müsste die Welt | |
„am Montag damit beginnen, ihre Emissionen zu verringern“, sagt Steffen | |
Kallbekken, Direktor des Centre for International Climate and Energy Policy | |
in Norwegen und ergänzt: Das jetzige Abkommen trete bekanntlich erst 2020 | |
in Kraft. „Bis dahin haben wir schon so viel CO2 emittiert, dass das | |
1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreicht werden kann“, so Kallbekken. | |
Was aber ist ein Abkommen wert, dessen oberstes Ziel wahrscheinlich | |
gerissen wird, noch bevor es überhaupt in Kraft tritt? Der aktuelle Entwurf | |
enthält auch andere durchaus bedeutende Ziele, etwa Maßnahmen zur Anpassung | |
an den Klimawandel, Finanzhilfen für ärmere Länder und die Formulierung, | |
die Menschheit möge in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts | |
„emissionsneutral“ wirtschaften. | |
Das bedeutet: Die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ist dann noch möglich. | |
Allerdings muss das CO2 dann wieder raus aus der Atmosphäre. Durch mehr | |
Wälder oder Techniken, um das Klimagas aus den Abgasen abzuscheiden und | |
unterirdisch zu speichern. Andersen ist skeptisch, ob das gehen kann, | |
Schellnhuber hält es für durchaus möglich und macht trotz der schlechten | |
Schulnote Hoffnung: „Wenn die Transformation der Wirtschaft erst einmal | |
einsetzt, dann wird der Umbau schnell gehen“, diktiert Schellnhuber er nach | |
der Pressekonferenz in die Kameras. | |
Der bekannte britische Ökonom Nicholas Stern glaubt, dass die | |
Klimakonferenz dafür ein starkes Signal liefert: „Paris ist bereits ein | |
Erfolg“, [1][sagte er dem französischem Fernsehsender France 24]. | |
Wahrscheinlich werden die Verhandler noch bis Sonntag weiter um die | |
Formulierungen ringen – dann müssen sie das Abkommen einstimmig | |
beschließen. Dass der Text bis dahin besser wird, glaubt Schellnhuber | |
nicht. „Meiner Erfahrung nach ist der vorletzte Entwurf immer der Beste. | |
Das Schlussdokument wird dann noch mal verwässert.“ Das war jetzt der | |
vorletzte Entwurf. | |
11 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=2QMWw8Jb0I4 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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