# taz.de -- Jubiläumsbücher zu Frank Sinatras 100.: Der schmächtige Hahn Fra… | |
> Die Sänger- und Schauspielerlegende sorgte für die erste dokumentierte | |
> Musik-Massenekstase, wurde vom FBI observiert und soff bis zum Ende. | |
Bild: Sinatra (r) im Thriller „The first deadly sin“ von 1980. | |
Die Bobbysoxer sind schuld. Also jene etwa 30.000 weiblichen Teenager (auch | |
dieser Begriff war brandneu), die an einem Herbsttag des Jahres 1944, als | |
man weiße Söckchen („Sox“) zu Schnürschuhen trug, das Jugendmagazin | |
Seventeen erstmalig erschien und die meisten jungen Männer im Krieg und | |
damit weit weg waren, vor dem Paramount Theatre in New York derart laut | |
kreischten, dass es auf den Radiomitschnitten des Abends deutlich zu hören | |
war. | |
Zu hören ist darauf auch der Grund für die erste dokumentierte | |
Musik-Massenekstase: Frank Sinatra, damals fast 29 Jahre alt, 55 Kilogramm | |
leicht, leuchtend blaue Augen, schmales Kinn. | |
Sinatra, der „Swooner“ (“to swoon“ bedeutet: begeistert in Ohnmacht | |
fallen). „Swooner Crooner“ hieß ein animierter Kurzfilm von 1944, in dem | |
ein schmächtiger Hahn namens „Frankie“ (!) die Arbeitsmoral eines | |
Bauernhofs durch seine samtige Stimme durchschüttelt: Anstatt Eier zu | |
legen, schwinden den Hennen vor Sehnsucht die Sinne. Schließlich wird | |
Frankie ein „Crooner“, ein etwas kräftigerer Hahn, zur Seite gestellt, und | |
die Eierproduktion steigt ins Unermessliche – wohl vor Entzücken über den | |
Duettgesang. | |
Der zweite Hahn hieß zwar nicht „Bing“, sollte aber Sinatras segelohrigen | |
Konkurrenten darstellen: Swooner Sinatra gegen Crooner Crosby. | |
In dem zu Ehren des 100. Geburtstags Sinatras im Edel-Verlag erschienenen | |
Jubiläumsband „Sinatra 100“ findet man ein Zitat Crosbys, dem man trotz | |
Übersetzung und Zeitspanne noch das Unverständnis über den Erfolg des | |
dünnen Mannes aus Hoboken, New Jersey anhört: „Ich denke, es war eine Art | |
Exhibitionismus – alle wollten zeigen, dass sie besser in Ohnmacht fallen | |
und mehr Lärm machen können als die anderen“, räsoniert Crosby über die | |
verzückten Fans. Und irrt gewaltig. | |
## Seine zarte Jungenhaftigkeit | |
Denn Sinatras Erfolg bei jungen Mädchen hatte nichts mit einer Konkurrenz | |
zwischen Fans zu tun. Sondern damit, dass potenzielle Frauenschwärme vor | |
Sinatra, egal ob Valentino, Clark Gable oder Jean Gabin, von männlichen | |
Studiobossen für Frauen ausgesucht wurden, und zwar gemäß der gängigen | |
Klischees nach Größe, markantem Gesicht, Tatkraft. Sinatra wurde vor allem | |
wegen seiner zarten Jungenhaftigkeit geliebt – dass er später, in den | |
80ern, reell und musikhistorisch zum Schwergewicht mutierte und stark unter | |
dem Älterwerden litt, ändert daran nichts. | |
Zu Sinatras oft zitierter Legende, der in dem Buch „Sinatra 100“ außer | |
wunderschöner Bilder nicht viel hinzugefügt wird, gehört auch die | |
Geschichte über seinen traumatischen Start. Am 12.12.1915 gebar die | |
zierliche Dolly Sinatra, die sich unter dem Namen „Hatpin Dolly“ (Hutnadel | |
Dolly) als Engelmacherin und Hebamme durch New Jersey bewegte, ihr über | |
sechs Kilo schweres, einziges Baby. Frank musste mit der Zange aus ihr | |
herausgezogen werden – sodass die linke Wange daher eine Narbe bis zum Ohr | |
zierte, die Sinatra zeit seines Lebens zu verstecken suchte, wie der Autor | |
James Kaplan in der umfassenden Sinatra-Biografie „Frank – The Voice“ | |
behauptet. Der zweite Teil dieser Biografie „Sinatra – The Chairman“ | |
erscheint nun zum 100. Geburtstag und beschäftigt sich weiter intensiv und | |
leidenschaftlich mit dem Star. Und liefert säckeweise kompromittierendes | |
Hintergrundmaterial. | |
Die Narbe meint man nun auf manchen Fotos tatsächlich zu erkennen – | |
vielleicht ist sie der Grund, weswegen der Sänger sich meist von seiner | |
Schokoladenseite, der rechten, zeigt. Sogar den Kriegsdienst verhinderte | |
die Zangenhausgeburt: Das Trommelfell des Ohrs wurde bei der Geburt | |
zerstört. | |
## Süß wie Schokoladenguss | |
Der Legende nach erwärmte sich Frankie, der nie Noten lernte, von der | |
musikalischen Mutter unterstützt, schnell für Jazzmusik. 1939 machte er mit | |
dem Frank-Mane-Orchester seine erste Aufnahme – „Our love“, ein harmonisch | |
ungewöhnliches Stück, das Tschaikowskis Ouvertüre „Romeo und Julia“ | |
aufgreift und auf dem der damals 24-Jährige bereits jazzweich, sexy und | |
charakteristisch klingt. Bei dem ebenfalls 1939 entstandenen Song „From the | |
bottom of my heart“ mit dem Harry-James-Orchester haften ihm dagegen noch | |
stark die 30er mit ihrem tremololastigen, romantisch-hohen Balzgesang an. | |
Bei beiden Songs ist aber bereits hörbar, worauf sich Sinatras | |
Jahrhundertkarriere stützen sollte. Seine Stimme war von jeher emotional, | |
süß wie ein Schokoladenguss. Besonders stark oder durchdringend war sie | |
jedoch nie. Ohne die Hilfe elektronischer Verstärkung – Plattenaufnahmen, | |
Mikrofone und Lautsprecher – hätte man ihn außerhalb Hobokens nie gehört. | |
Dass Sinatra sich mutmaßlich mithilfe alter „Mobster“-Mafia-Kontakte aus | |
den ungeliebten Big-Band-Verträgen löste, um als Solokünstler | |
durchzustarten, brachte ihm nicht nur eine über 40-jährige FBI-Observierung | |
ein. Die leider kaum kommentierten Faksimiles zerfledderter FBI-Akten | |
stellen einen interessanten Teil des „Sinatra 100“-Buchs dar. Sie stießen | |
ihn aber auch an den Tiefpunkt seiner Karriere. | |
## Republikaner und Anti-Rassist | |
1951 wollten den umstrittenen Mobsterfreund nicht mal mehr die ehemals | |
kreischenden Teenager hören. Das Geld wurde knapp, die Ehe mit Nancy Senior | |
war gescheitert, die mit Ava Gardner hielt nur kurz, eine Fernsehshow | |
floppte. | |
Doch Sinatra hatte damals bereits Filmerfahrungen gesammelt – unter anderem | |
in dem 1945 entstandenen, mit einem Ehrenoscar prämierten Kurzfilm „The | |
house I live in“. Darin spielte er sich selbst: Während einer | |
Plattenaufnahme macht er im Hinterhof Zigarettenpause und wird dabei Zeuge, | |
wie ein Junge von einer Gruppe von Schülern gepiesackt wird – aus | |
Antisemitismus, wie er mitbekommt. Nach einer pädagogisch-patriotischen | |
Rede über die Gleichheit der Menschen im Krieg, besser gesagt: der | |
Amerikaner aller Rassen und Religionen – die „Japs“, wie er sie nennt, | |
gehören selbstverständlich nicht dazu – singt er „The house I live in“: | |
„What is America to me? A name, a map, the flag I see, a certain word | |
‚Democracy„. | |
Allerdings singt er es in einer anderen Version als das von Abel Meeropol | |
getextete Original, unter anderem ohne die Zeile „my neighbours white and | |
black“. Dennoch hat sich Wendehals Sinatra, Kennedy-Freund und -Campaigner | |
und späterer Reagan-Unterstützer, zumindest zum Thema Rassismus eindeutig | |
ausgesprochen. Unter anderem sang er für die Bürgerrechtsbewegung, für | |
Martin Luther King und weigerte sich stets, in „Whites only“-Hotels | |
abzusteigen. | |
1952 spielte Sinatra (für eine Praktikantengage von 8.000 US-Dollar) den | |
Private Angelo Maggio im Kriegsdrama „Verdammt in alle Ewigkeit“. Er wurde | |
dafür mit einem Oscar geehrt und war somit wieder zurück im Sattel. In den | |
50er und 60er Jahren bewegte sich das nun nicht mehr jungenhafte Hutmodel | |
selbstbewusst durch die Unterhaltungsbranche zwischen Las Vegas und dem | |
Fernsehen. Er soff mit den „Rat Pack“-Mitgliedern Dean Martin und Sammy | |
Davis jr., heiratete mit 51 die 30 Jahre jüngere Hippiebraut Mia Farrow, | |
ließ sich stante pede wieder scheiden, zog sich im Jahr 1971 zurück, kam | |
ein Jahr später wieder und bespielte in den 80er Jahren noch einmal mit | |
einer Rat-Pack-Neuauflage Las Vegas. | |
## Drei alte Männer | |
Auf den Aufnahmen sieht man drei alte Männer mit Whiskygläsern, die nicht | |
mehr cool, sondern traurig aussehen. Martin verließ nach wenigen Gigs die | |
Show – angeblich hatte ihn der Verlust seines Sohns ein Jahr zuvor zu sehr | |
mitgenommen. | |
Während seines 82 Jahre währenden Lebens wurden ihm Affären mit so ziemlich | |
allen Frauen der Welt angedichtet. Sinatra starb im Mai 1998 und hinterließ | |
offiziell drei Kinder. Gesoffen hat er immer und – als Arbeiterjunge – sich | |
geprügelt ohnehin. Legendär ist ein Spruch des Komikers Don Rickle, der | |
Sinatra bei einem Live-Auftritt im Publikum entdeckte und ihm zurief: „Make | |
yourself at home, Frank. Hit somebody“. | |
Sein Freund und Gesangspartner Dean Martin, ebenfalls Schmalz in Stimme und | |
Locke, ebenfalls lebergeschädigt, ebenfalls mit italienischen Wurzeln, ließ | |
einst die meistzitierte Wahrheit über den Sänger fallen: „It’s Frank’s | |
world. We’re all just livin’ in it.“ | |
12 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Frank Sinatra | |
Jazz | |
Bing Crosby | |
Frank Sinatra | |
Jazz | |
Reiseland USA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Herzstillstand bei Sinatras einzigem Sohn: Frank Sinatra Jr. gestorben | |
Er war Entertainer, stand aber sein Leben lang im Schatten des berühmten | |
Vaters: Sinatra Jr. erlitt einen Herzstillstand, als er sich gerade auf | |
Tour in Florida befand. | |
Tod von Soul-Sängerin Natalie Cole: „Unforgettable“ | |
Am 1. Januar starb Natalie Cole in Los Angeles. Die Tochter von | |
Jazz-Legende Nat „King“ Cole kämpfte schon lange mit Gesundheitsproblemen. | |
Sie wurde 65 Jahre alt. | |
Palm Springs: Tal der verblichenen Sternchen | |
Auf Celebrity-Tour zu den Villen von George Hamilton, Burt Reynolds, Liz | |
Taylor, Marilyn Monroe. |