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# taz.de -- Kommentar Naidoo-Rückzug vom ESC: Selbstbestätigung des Gutseins
> Xavier Naidoo singt beim Eurovision Song Contest 2016 nicht für
> Deutschland. Die moderne Form der Inquisition hat gewonnen.
Bild: Hätte sein Auftritt beim ESC 2016 nicht ein interessantes, spannungsreic…
Sein Skalp wurde gefordert, und sie haben ihn bekommen. Kaum war er auf der
Lichtung zu sehen, kaum Minuten, nachdem der NDR-Chef seiner
TV-Unterhaltungsabteilung bekannt gegeben hatte, dass Xavier Naidoo der
deutsche Künstler beim Eurovision Song Contest am 14. Mai in Stockholm sein
würde, gab es ein politisch korrektes Signal: Ein Halali auf diesen Unhold!
Er musste weg, er sollte weg, Shitstorms an die Adresse des NDR, in
öffentlichen Foren generell, belegen das. Gar mit Unterschriftenlisten, als
ginge es um das rechte Strafmaß derer, die die Terrorattacken von Paris zu
verantworten haben. Ganz so, als stünde dieser – faktisch – erfolgreichste
Pop-Künstler seit 1998 für das Böse, das, ja auch, öffentlich-rechtlich
Unaushaltbare.
Man hört, dass es vor allem die politischen Redakteur*innen in den
TV-Häusern von NDR, RBB bis zum Bayerischen Rundfunk waren, die den
Aufstand wagten – und mit ihnen, abgesehen von der FAZ, so gut wie alle
Zeitungen: Gegen einen Sänger, der eine millionenköpfige Fanbase hat und
diese vor allem unter jungen Menschen, die migrantische Hintergründe haben.
Für sie – davon absehend, welche politischen Fehler ihm auch immer
nachgewiesen wurden – war und ist Xavier Naidoo ein Held, einer, der es
nach oben schaffte: ein dunkelhäutiger Künstler, der es auf den Gipfel des
sonst weißen Establishments gebracht hat.
Aber am erstaunlichsten an der Xavier-Naidoo-Debatte der vergangenen Jahre
war, dass sich alle Caffe-Latte-Milieus (Motto: Das Gute sind wir)
plötzlich Sorgen um die nationale Repräsentanz Deutschlands beim ESC
machten. Eine Idee des Überlegens hätte sein können: Naidoo? Ist das nicht
momentan das deutscheste, populärste, interessanteste, weil nicht
berechenbar-langweiligste Momentum, das in der öffentlichen Arena zu haben
ist? Ist der nicht so umstritten – Reichsbürgern nah! –, dass das gerade
Pop als Differenzkonstrukt belebt?
## Unterschiedlichkeit statt Monokultur
Pop ist ja eine ästhetische Disziplin, die erst in Abweichung zum
hierzulande immer „We are the world“-Mainstream zur Geltung kommt. Und
Xavier Naidoo war und ist einer, der nicht so plappert wie das juste
milieu, das argumentativ, mentalitär nur an sich heranlässt, womit es
einverstanden ist. Das so zu nennen heißt im Übrigen nicht, das, was dieser
Künstler sagt und sagte, gut zu finden. Im Gegenteil: Gerade die
Unterschiedlichkeit macht das demokratische Sprechen aus, nicht die
Übereinstimmung – die wäre nämlich weltanschaulich-eisige Monokultur.
Xavier Naidoo wurde als Person – und mit ihm die TV-Unterhaltungsabteilung
des NDR – nicht ins Fegefeuer der öffentlichen Auseinandersetzung
getrieben, sondenr in das Verhörzimmer der Inquisition. Man traute einem
demokratischen Prozess nicht. Man hätte sagen können: Naidoo bei diesem
schwulen Event ESC im Namen des merkelschen Deutschlands – wenn man es
schon so aufladen will, was ja die meisten tun –, das hätte ein
interessantes, spannungsreiches politisches Performen sein können. So aber
wurde Xavier Naidoo – nebenbei: mit dem der Autor dieser Zeilen in jeder
Hinsicht politisch different liegt – gejagt und nicht zur Debatte
eingeladen. Offenbar sind jene ängstlich, die doch so tun, als liebten sie
den Diskurs – weil sie fürchten, nur ihre Moral im Kampf gegen das „Böse�…
in Deutschland aufbringen zu können.
## Ein Aussätziger
Linke, Alternative und Liberale wollten immer Menschen, die einst
Seltsames, Falsches taten oder sprachen, resozialisieren. Das war ihr Wort.
In das Gesellschaftliche zurück integrieren. Jedem eine zweite bis dritte
Chance. Das hat sich als erfolgreiches Rezept erwiesen. Kein, wenn man so
will, Sünder soll ode darf auf ewig Buße tun müssen. Menschen können sich
ändern – das ist die Grundlage dieser Idee. Das galt nicht für Xavier
Naidoo. Er musste aus der Gemeinschaft der Anständigen herausgehalten
werden. Ein Aussätziger. Man kann dies so nennen: eine moderne Form der
Inquisition und der schwarzen Pädagogik, die vor allem ihren Träger*innen
selbst nützt. Zur Selbstbestätigung des eigenen Gutseins nämlich.
Diese Haltungen sind abstoßend – weil Furcht erregend. Die Gutgesinnten
sind immer jene, die eine perfekte, reinliche Welt wollen. Und die möchten,
dass alle so sind wie sie selbst. Das allerdings ist eine totalitäre
Vorstellung vom Zusammenleben aller. Dabei dachten doch Libertäre mal:
Dissidenz ist die Tugend, die uns von Moralhysterie unterscheidet.
Nun also ist Xavier Naidoo nicht mehr im Spiel. Sein Kopf sollte rollen.
Geschafft. Gewonnen. Aber was eigentlich wurde gewonnen? Und was ist dieser
Sieg wert – und wem nützt er?
22 Nov 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
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