| # taz.de -- Der Glasnevin-Friedhof in Dublin: Ein Deutscher im irischen Heiligt… | |
| > Der Glasnevin-Cemetery zeugt vom Freiheitskampf und von Leichenräubern, | |
| > vor allem aber vom Leben in Irland – oft genug mit trauriger Pointe. | |
| Bild: Seit elf Jahren Sargträger und Totengräber auf dem Friedhof: Falko Behs… | |
| Dublin taz | Falko Behsen hat sich umgezogen. Zum Feierabend tauscht er | |
| seine gelbe Leuchtweste gegen eine Windjacke mit dem blauen Emblem des | |
| Glasnevin Trust. Das ist sein Arbeitgeber: Behsen arbeitet als Totengräber | |
| auf dem Friedhof von Glasnevin im Norden Dublins. Es ist Irlands | |
| Nationalfriedhof, offiziell heißt er „Prospect Cemetery“. | |
| Behsen ist 44 Jahre alt und fast einen Meter neunzig groß, hat einen | |
| Fünftagebart und kurze Haare. „Eigentlich bin Sargträger“, sagt er. „In… | |
| elf Jahren, in denen ich hier arbeite, habe ich nur hundert Gräber | |
| ausgehoben, aber bestimmt 5.000 Särge getragen und in die Erde gelassen.“ | |
| Darüber hinaus kümmert er sich um die Pflege der Anlagen und verkauft | |
| Grabstellen. „Wenn Leute kommen, um für einen verstorbenen Verwandten eine | |
| Stelle auszusuchen, zeige ich ihnen die Optionen“, sagt er. Die Gräber am | |
| Eingang oder neben einem berühmten Toten sind teurer. | |
| Sein Lieblingsgrab ist das von Daniel O’Connell. Es ist die Nachbildung | |
| eines historischen Rundturms und das Wahrzeichen des Friedhofs. „1971 | |
| legten nordirische Loyalisten eine Bombe in die Krypta“, erzählt Behsen. | |
| „Sie zerstörte aber nur die hölzerne Wendeltreppe, sodass man nicht mehr | |
| hinaufklettern kann.“ | |
| O’Connell, der mit friedlichen Mitteln für die Gleichberechtigung der | |
| Katholiken eintrat, hatte 1832 diesen Friedhof durchgesetzt. Damals wurde | |
| Katholiken nicht nur das Wahlrecht vorenthalten, sie bekamen auch kein | |
| ordentliches Begräbnis. Der Glasnevin-Friedhof steht aber nicht nur | |
| Katholiken, sondern allen Konfessionen und Nationalitäten zur Verfügung. | |
| Damals hatte er dreieinhalb Hektar, heute sind es mehr als fünfzig. | |
| „Die Anlage um den Rundturm ist das Prunkstück des Friedhofs“, sagt Behsen. | |
| O’Connell, Dublins erster katholischer Bürgermeister, starb 1847 mit 71 | |
| Jahren in Genua. Er war auf dem Weg nach Rom. Seine letzten Worte sind | |
| unter dem Turm eingraviert: „Mein Körper nach Irland, mein Herz nach Rom, | |
| meine Seele in den Himmel.“ Man nahm ihn beim Wort, schnitt ihm das Herz | |
| heraus und schickte es nach Rom zum Irish College. | |
| ## Ein Sargträger aus Holstein | |
| Behsen stammt aus dem holsteinischen Oldenburg. Dort arbeitete er als | |
| Gärtner, und er machte eine Kochlehre. „Eines Tages tauchte in meiner | |
| Stammkneipe eine Deutsche auf, die in Irland lebte und auf Heimaturlaub | |
| war“, erzählt er. „Wir kamen uns näher, doch nach einigen Wochen ging sie | |
| zurück.“ Sie telefonierten täglich drei bis vier Stunden. Schließlich ging | |
| Behsen für vier Wochen nach Dublin. „Es war eine Probezeit“, sagt er, „u… | |
| es funktionierte.“ Er kehrte nur noch zurück nach Oldenburg, um zu | |
| kündigen. | |
| In Dublin begab sich Behsen auf Jobsuche. Im Botanischen Garten gleich | |
| hinter dem Friedhof hatten sie keine Stelle. Auf dem Nachhauseweg gab er | |
| seinen Lebenslauf bei der Friedhofsverwaltung ab. Am selben Tag erhielt er | |
| die Zusage. Weil er sich in seinem Lebenslauf als Gärtner bezeichnet hatte, | |
| nahm er an, dass er bei der Pflege der Grünanlagen eingesetzt würde. „An | |
| meinem zweiten Arbeitstag waren zwei Totengräber krank, und ich musste | |
| einspringen.“ | |
| Wie schafft man das, täglich Menschen unter die Erde zu bringen? „Es ist | |
| ein Job, man darf ihn nach Feierabend nicht an sich heranlassen“, sagt er. | |
| „Nur wenn aus forensischen Gründen oder wegen einer Umbettung Leichen | |
| exhumiert werden müssen, ist das nicht schön. Das passiert aber nur ein bis | |
| zwei Mal im Jahr.“ | |
| ## Michael Collins‘ Verhängnis | |
| Das berühmteste Grab ist das von Michael Collins. Er hatte im irischen | |
| Unabhängigkeitskrieg 1920 mit seiner Guerilla-Taktik die britischen Truppen | |
| an den Rand der Niederlage gebracht. Er beschaffte Waffen, identifizierte | |
| britische Agenten und ließ sie von seinen Einheiten der | |
| Irisch-Republikanischen Armee (IRA) erschießen. Collins war | |
| Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen in London. Als er mit einem | |
| Vertrag zurückkam, der zwar dem Großteil Irlands die Unabhängigkeit | |
| brachte, aber die Hoffnungen vieler Iren auf vollständige Unabhängigkeit | |
| enttäuschte, ahnte Collins, dass er mit dem Abkommen auch sein Todesurteil | |
| unterschrieben hatte. | |
| Zwar ratifizierte das Dubliner Parlament den Vertrag, doch im | |
| darauffolgenden Bürgerkrieg wurde Collins von Landsleuten in einem | |
| Hinterhalt erschossen. Collins’ Grab wird von einem drei Meter hohen | |
| Steinkreuz mit gälischer Inschrift überragt. Auf dem Grab liegen frische | |
| Blumen, zum Valentinstag binden Besucherinnen Luftballons mit der | |
| Aufschrift „I love you“ ans Kreuz. Bei seinen Führungen sagte der | |
| Friedhofshistoriker Shane MacThomáis am Grab von Collins stets: „Um zum | |
| Helden zu werden, musst du fünf Eigenschaften haben: Du musst jung, | |
| charismatisch, gutaussehend und intelligent sein – und tot.“ Dann fügte er | |
| hinzu: „Ich habe vier davon.“ | |
| Collins’ Grab liegt nahe der vier Meter hohen Mauer, die den alten Teil des | |
| Friedhofs umgibt. Die Mauer mit ihren Wachtürmen sollte den Friedhof vor | |
| Grabräubern schützen. Frische Leichen brachten Mitte des 19. Jahrhunderts | |
| viel Geld ein, denn Anatomen benötigten für ihre Forschungen ständig | |
| Nachschub. | |
| ## Clevere Leichenräuber | |
| „Manchmal mischten sich die Leichenräuber unter die Trauergäste und ließen | |
| eine Flasche Whiskey kreisen, in die sie ein Betäubungsmittel gegeben | |
| hatten“, erzählte MacThomáis der taz. „Wenn die Gemeinde bewusstlos zu | |
| Boden sank, machten sie sich mit dem Toten davon. Um an den Wachtposten | |
| vorbeizukommen, hakten sie die Leiche unter und taten so, als sei es ein | |
| Betrunkener.“ | |
| „Der Friedhof ist ein demokratischer Ort“, sagte MacThomáis. Die Reichen | |
| liegen neben den Armen, die Berühmten neben den einfachen Leuten. „Edward | |
| Ennis und Patrick Dunne zum Beispiel sind 1916 gestorben, sie sind | |
| nebeneinander beerdigt“, sagte MacThomáis. „Der eine hat am Osteraufstand | |
| gegen die britische Armee gekämpft, der andere hat in der britischen Armee | |
| im Ersten Weltkrieg gekämpft.“ | |
| Anderthalb Millionen Verstorbene liegen hier – mehr als in Dublin | |
| herumlaufen. Michael Carey, ein Elfjähriger, war der erste, er wurde am 22. | |
| Februar 1832 bestattet. Fast jeder Ire hat irgendeinen Verwandten oder | |
| Bekannten auf dem Friedhof. „Man könnte die Geschichte Irlands anhand der | |
| Gräber erzählen“, meinte MacThomáis. Neben den Freiheitskämpfern, | |
| Regierungschefs und Präsidenten sind auch Musiker wie Luke Kelly von den | |
| Dubliners oder Schriftsteller wie Brendan Behan hier begraben. | |
| ## Kein Ort für Touristen | |
| MacThomáis hatte schon als 15-Jähriger ein Praktikum auf dem Friedhof | |
| gemacht. „Die Arbeit hier hebt dein Gemüt“, sagte er. „Nur der Teil der | |
| kleinen Engel ist tabu, dort bringen wir keine Touristen hin.“ Der abseits | |
| gelegene Platz ist totgeborenen Babys, Fehlgeburten und Säuglingen | |
| vorbehalten. „Früher hat man sie einfach im Garten verbuddelt“, erzählte | |
| MacThomáis. „Es ist ein trauriger Ort. Normalerweise brachte der Vater den | |
| toten Säugling am Abend, wenn niemand außer dem Friedhofswärter noch da | |
| war. Er übergab das Kind, und am nächsten Tag wurde es bestattet.“ | |
| MacThomáis sagte stets, er möchte neben seinem Vater, der ebenfalls | |
| Historiker und Fremdenführer war, begraben werden: „Mir gefällt die | |
| Vorstellung, dass du mit der Zeit zu Torf wirst und irgendwann vielleicht | |
| in einem Kamin endest.“ Am 20. März 2014 hat sich Shane MacThomáis auf dem | |
| Friedhof erhängt. Er war 46 Jahre alt. | |
| ## Guinness als Leichenschmaus | |
| „Ich respektiere seine Entscheidung“, sagt Behsen zu MacThomáis’ Suizid. | |
| „Es hat es aus freien Stücken getan, und deshalb muss man ihn gehen lassen. | |
| Erst im August haben wir einen anderen Freund beerdigt: Eugene Kavanagh, | |
| den Wirt vom Gravediggers Pub.“ Eigentlich heißt die Kneipe „Kavanagh’s�… | |
| und nicht Gravedigger, zu Deutsch: Totengräber. Den Pub gibt es fast | |
| genauso lange wie den Friedhof, Eugene war Wirt in fünfter Generation. Er | |
| verbannte Fernsehen, Radio, Telefon und Musik vom Band aus der Kneipe, um | |
| den historischen Charakter zu erhalten. | |
| Der Pub diente einigen Hollywoodfilmen als Kulisse. Dass es aber ein Loch | |
| in der Wand zum Friedhof gegeben haben soll, durch das die Totengräber ihre | |
| Schaufeln steckten, auf die der Wirt ein Glas Bier stellte, ist Legende. | |
| „Bei der Beerdigung des Wirts haben sie einen alten Dokumentarfilm | |
| gezeigt“, sagt Behsen. „Da sah man, wie die Totengräber mit ihren Schaufeln | |
| zwei Mal an die Wand klopfen. Kurz darauf erscheint Eugene mit zwei Pints | |
| und reicht sie durch den Zaun.“ | |
| Behsen ist oft im „Gravedigger“. In ganz Dublin gebe es kein besseres | |
| Guinness, schwört er. Will er selbst einmal in Glasnevin beerdigt werden? | |
| „Ich bleibe nicht für immer in Irland“, ist er sich sicher. Seine damalige | |
| Freundin ist seit 2010 auf Weltreise. Er will irgendwann zurück nach | |
| Oldenburg, erzählt er. Als Rentner in dem Haus seiner Eltern zu wohnen und | |
| jeden Tag zu angeln – „Ich stelle es mir schön vor“, sagt Behsen. „Abe… | |
| weiß ja nie.“ | |
| 22 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
| ## TAGS | |
| Dublin | |
| Irland | |
| Bestattung | |
| Irland | |
| Irland | |
| Irland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Schmutziger Ort des Grauens | |
| Am kommenden Donnerstag ist der Welttoilettentag. Für Iren ein willkommener | |
| Anlass, Schabernack zu treiben mit dem dunkelsten Winkel der Insel. | |
| Homo-Ehe in Irland: Jack und John trauen sich endlich | |
| Alle Parteien sind dafür: Die Iren stimmen in einem Referendum darüber ab, | |
| ob die gleichgeschlechtliche Ehe in der Verfassung festgeschrieben wird. | |
| Schlachterkurs in Irland: Frankfurter Würstchen selbst gemacht | |
| Die Kochschule Ballymaloe ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt: | |
| Ein Highlight dort sind die Schlachterkurse, in denen man auch lernt, Wurst | |
| zu machen. |