# taz.de -- Musikmanager über Terror in Paris: „Fight for your right to part… | |
> Der Musikmanager Morvan Boury über soziale Fragmentierung in Frankreich, | |
> das Klima der Angst und ermordete Freunde in Paris. | |
Bild: „Ich bin ein Moslem, der gegen Terrorismus ist“: Gedenken vor dem Bat… | |
taz: Morvan Boury, 1995 sorgte der Film „La Haine“ über drei HipHop-Kids in | |
der Banlieue für Aufsehen. Zeichnete er ein glaubwürdiges Bild der | |
französischen Gesellschaft jener Zeit? | |
Morvan Boury: Ja, er beleuchtete einen gesellschaftlichen Aspekt, der | |
damals kaum diskutiert wurde: Den Alltag der Banlieue, in der Menschen | |
unterschiedlicher Herkunft leben. Sie sind abgehängt, sei es, wegen ihrer | |
Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung oder schlechter infrastruktureller | |
Anbindung an die Stadt. „La Haine“ zeigte, wie schwierig die Verständigung | |
unterschiedlicher Schichten ist. Der Film porträtierte eine Gesellschaft im | |
„freien Fall“. Was damals nur in einigen Vierteln spürbar war, hat längst | |
größere Dimension. Heute stecken Menschen nicht nur in den grauen | |
Hochhaustürmen (grands ensembles) fest, sondern auch solche in den | |
vorstädtischen Einfamilienhäuschen (pavtars). Allgemein herrscht in | |
Frankreich ein Gefühl starker sozialer Fragmentierung und eine Verwirrung, | |
was Werte anbelangt. „La Haine“ war Vorbote dieser Konfusion. | |
Ist Frankreich multikulturell? | |
Frankreich war stets multikulturell geprägt. Historisch gesehen gab es von | |
der Regentschaft Louis XIV. bis zur Französischen Revolution, von der | |
Dritten Republik bis zu de Gaulle die Idee, dass eine Nation | |
unterschiedliche Kulturen überwindet, dass es Ideen gibt, die bedeutender | |
sind als lokale Traditionen, im Guten wie im Schlechten. Nehmen wir den | |
Algerienkrieg, er hat politische und kulturelle Nachwirkungen, die uns noch | |
beschäftigen. Ein positives Beispiel ist die multikulturelle | |
Nationalmannschaft, die 1998 die Fußball-WM gewann. Das hatte Symbolwert | |
und sorgte für Zusammenhalt. Damals wurde auch französischer HipHop im | |
Mainstreamradio gespielt und der Housesound aus Frankreich ging um die | |
Welt. | |
Aus deutscher Perspektive erschöpft sich französische Popmusik weniger im | |
Nationalen, sie ist weltoffener. | |
Ja, das stimmt. Schauen Sie, wer vergangene Woche in den Top Ten der Charts | |
platziert war: Kendji Girac, ein französischer Rom, der einen | |
Talentewettbewerb gewonnen hat, der Rapper Maître Gims, ein gebürtiger | |
Kongolese, und eine Sammlung korsischer Folksongs. Im Underground sorgen | |
zwei Künstler für Furore: die Rockband Fauve und ihre politischen Texte und | |
die HipHop-Crew PNL aus der Pariser Banlieue Les Tarterets. Gemeinsam ist | |
beiden, dass sie durch die sozialen Medien ein Bonding mit ihren Fans | |
geschaffen haben, wie damals Daft Punk. | |
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Religion, anders als 1995, in den | |
Vordergrund gerückt ist? Frankreich hat den Laizismus in der Verfassung | |
verankert, und doch taucht Antisemitismus selbst im HipHop auf. | |
Frankreich steckt seit Jahrzehnten in einer Wirtschaftskrise, leider kommt | |
das in allgemein-verständlichen politischen oder philosophischen Diskursen | |
nicht vor. An diese Stelle ist Religion gerückt. Nehmen Sie zum Beispiel | |
die frankozypriotische Rapperin Diam’s. Sie beendete ihre Karriere und | |
konvertierte zum Islam, das machte Eindruck bei ihren Fans. | |
Andererseits ist Säkularität fest im Alltag verankert. Laizität bedeutet, | |
dass der Staat sich zur Religion neutral verhält, dass Glaubensrichtungen | |
gleichberechtigt nebeneinander existieren. Neutralität darf gegenüber den | |
Extremisten nicht passiv sein. Antisemitismus existiert in Frankreich in | |
zwei Ausprägungen. Es gibt alte christliche Vorbehalte gegen Juden. Aus den | |
Auseinandersetzungen um Israel und Palästina leiten manche einen Hass auf | |
Juden ab. Wenn Sie jetzt Verschwörungstheorien dazu addieren, dann fließen | |
die beiden Extreme zusammen in Hassreden, die Politiker und Medien immer | |
offener beeinflussen. Das Echo findet sich auch im Pop. Mir persönlich sind | |
keine Künstler bekannt, die Kapital schlagen aus ihrem Antisemitismus, sei | |
es im HipHop oder in anderen Genres. | |
Driftet Frankreich nach rechts? | |
Das Charlie-Hebdo-Attentat und die Anschläge letzten Freitag erinnern | |
daran, dass Demokratie erkämpft werden muss, sie ist kein Naturrecht. Nach | |
beiden Katastrophen haben die Menschen für Freiheit, Gleichheit und | |
Brüderlichkeit demonstriert. Letzten Samstag haben Rechtsradikale in Lille | |
versucht, eine Solidaritätskundgebung mit antiislamischen Slogans zu | |
unterwandern. Sie wurden verjagt. Auf lange Sicht fürchte ich, aus Mangel | |
an Idealen und mit einer steigenden Anzahl von politikverdrossenen | |
Nichtwählern, werden die Rechten Boden gewinnen. Besonders dann, wenn die | |
anderen Parteien keine klare Aussagen treffen, etwa was die Migranten | |
anbelangt oder die Zukunft der Europäischen Union. | |
Was muss Popmusik nun anders machen, wo sie zum Anschlagsziel geworden ist? | |
Pop kann keine Terrorakte verhindern. Aber, wie haben die Beastie Boys | |
gerappt: „You gotta fight for your right to party.“ Das nehme ich wörtlich. | |
Man sollte jetzt erst recht auf Partys gehen und zu Konzerten. | |
Man kann nicht weitermachen, als wäre nichts geschehen. | |
Natürlich nicht. Gerade weil die Anschläge uns ins Mark getroffen haben, | |
dürfen wir keine Angst haben. Wir werden nicht nachlassen und anderen | |
Menschen gegenüber indifferent sein. Wir dürfen nicht aufhören, Dinge zu | |
tun, die uns wichtig sind. Freunde, die beim Anschlag im Bataclan ermordet | |
wurden, würden wahrscheinlich genauso denken. Das Leben ist nicht zum | |
Erliegen gekommen. Festivals wie Jazzycolors werden stattfinden. Am | |
Mittwoch waren alle meine Pariser Freunde beim Konzert von Hot Chip. Und | |
die Stimmung war großartig. Das nächste Mal treffen wir uns dann bei einer | |
Beerdigung. | |
22 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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