# taz.de -- Olympische Sommerspiele in Rio: Golfplatz im Naturschutzgebiet | |
> In Brasilien kritisieren Aktivist*innen die Olympia-Vorbereitung. Neue | |
> Infrastruktur gibt es vor allem in Reichenvierteln, Arme werden geräumt. | |
Bild: Was wurde dafür in Kauf genommen? Bauarbeiten für Olympia | |
Rio de Janeiro taz | Vollmundig hat der Bürgermeister von Rio de Janeiro, | |
Eduardo Paes, „Jogos da Inclusão”, also eine Olympiade für alle oder | |
zumindest im Interesse der Allgemeinheit angekündigt. Nach der Protestwelle | |
im Vorfeld der Fußball-WM 2014 sind die Verantwortlichen in Brasilien auf | |
der Hut. Sie wollen nicht wieder als Geldverschwender dastehen, die | |
obendrein die sozialen Rechten der eigenen Stadtbevölkerung ignorieren. | |
Doch die Kritiker, insbesondere die Aktivistinnen und Aktivisten vom | |
„Volkskomitee WM und Olympia“, zeichnen ein anderes Bild der Spiele, die | |
zwischen dem 5. und 21. August 2016 unter dem Zuckerhut stattfinden werden. | |
Das vierte „Dossier zu Megaevents und Menschenrechtsverletzungen in Rio de | |
Janeiro“, das am Dienstag vorgestellt wurde, listet zahlreiche Verfehlungen | |
auf. Auch die taz-Leserinnen und -Leser haben mit ihren Spenden im Rahmen | |
der WM-Kampagne letztes Jahr dazu beigetragen, dass das über 200 Seiten | |
starke Dossier erscheinen konnte. | |
Eines der großen Themen des Berichts ist die sozial unausgewogene Politik | |
des öffentlichen Nahverkehrs: Milliardenbeträge werden investiert, um eine | |
U-Bahn-Linie in das Strandviertel Barra da Tijkuca zu bauen, wo die meisten | |
Olympia-Aktivitäten stattfinden werden. Hinzu kommen Schnellbuslinien und | |
eine Straßenbahn im Stadtzentrum. Das Dossier weist nach, dass die | |
Verbesserungen vor allem die Transportlage in den reicheren Stadtvierteln | |
betreffen, während zugleich Verbindungen zwischen armen und reichen | |
Vierteln eingestellt werden. | |
Obwohl just Fahrpreiserhöhungen Auslöser der Protestwelle 2013 waren, | |
werden die Busse und Bahnen immer teurer. Mittlerweile geben die | |
Brasilianer mit rund 20 Prozent ihres Geldes für Transport fast so viel aus | |
wie für ihre Ernährung. Einer Studie zufolge sind die Transportkosten für | |
arme Familien in den letzten sechs Jahren um 30 Prozent angestiegen, | |
während reiche Familien 15 Prozent weniger für ihre Mobilität ausgeben | |
müssen. | |
## Verlogene Gesetzesanwendung | |
Auch die behaupteten positiven Effekte der Sommerspiele auf den | |
Breitensport zweifeln die Verfasser des Dossiers an: „Viele der neu | |
gebauten Sportstätten, die eigentlich den Sport in Brasilien fördern | |
müssten, haben in Wirklichkeit lokal genutzte Trainingseinrichtungen | |
zerstört. Statt Breitensport zu ermöglichen, wird Sport im Zeichen von | |
Olympia vermarktet und elitisiert.“ | |
Die viel gepriesene ökologische Nachhaltigkeit der Spiele in Brasilien wird | |
ebenso hinterfragt. Die versprochene Säuberung der Gewässer für Ruderer und | |
Segler hat kaum stattgefunden. Stattdessen wurde ein neuer Golfplatz mitten | |
in einem Naturschutzgebiet gebaut. Und für den Bau der Schnellstraße Via | |
Transolímpica samt Schnellbustrasse wurden gar 200.000 Quadratmeter der | |
geschützten Urwaldvegetation Mata Atlántica abgeholzt. | |
Bitter verweisen die Olympiakritiker darauf, dass damit genau jene | |
Umweltgesetze verletzt wurden, die andernorts als Begründung für die | |
Teilräumung von Armenvierteln herangezogen wurden. Die Favelas siedeln oft | |
an schwer zugänglichen Berghängen mitten im Stadtgebiet, die noch nicht | |
versiegelt wurden. Um ihre Ausbreitung zu stoppen, wird kurzerhand das | |
„ökologische Interesse“ bemüht. | |
Über 4.000 Familien wurden in Rio de Janeiro im Zuge von WM und Olympischen | |
Spielen aus ihren Häusern vertrieben, rund 2.500 droht dieses Schicksal | |
noch zu ereilen. Fast immer wurde dort geräumt, wo Immobilienspekulation | |
mit im Spiel war, so die Analyse des Dossiers. Zumeist wurden die | |
Betroffenen umgesiedelt – und leben jetzt teils über 50 Kilometer von ihrer | |
einstigen Wohnstätte entfernt, meist mit miserablem Verkehrsanschluss. | |
## Selektive Razzien gegen Schwarze | |
Auch die Sicherheitspolitik steht in der Kritik. Die anfänglich gelobte | |
Besetzung von Armenviertel mit hoher Gewaltkriminalität durch eine | |
angeblich bürgernahe Polizei seit 2008 hat sich als ineffektiv erwiesen: | |
Die kriminellen Banden sind in den meisten Favelas zurück. Immer wieder | |
sterben Menschen gerade auch bei Polizeieinsätzen, die eigentlich | |
friedliche Verhältnisse schaffen sollten. Zugleich wird eine Politik der | |
sozialen Säuberung forciert. | |
Nicht nur Straßenverkäufer und Obdachlose werden von den Bürgersteigen | |
vertrieben – jetzt werden auch regelmäßig gewöhnliche Stadtbusse | |
durchsucht, die aus ärmeren Stadtvierteln zum Strand nach Copacabana oder | |
Ipanema fahren. Es sind meistens arme schwarze Jugendliche, die bei solchen | |
Razzien an der Weiterfahrt gehindert werden. | |
Das ganze Olympiaspektakel soll rund 10 Milliarden Euro kosten. Diese Last | |
sollen die Steuerzahler nur zu einem kleinen Teil schultern, so die | |
offizielle Darstellung. Konkrete Zahlen hat man bislang nicht genannt. Das | |
Dossier der Olympiakritiker hat errechnet, dass 62 Prozent der Kosten von | |
der öffentlichen Hand getragen werden. | |
9 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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