# taz.de -- Reisen und Gutes tun: Nur Gringo-Spinnereien? | |
> Englischunterricht in der Dorfschule ohne Bezahlung: Ist sozial | |
> engagiertes Globetrotten eine Hilfe oder eine neokoloniale | |
> Selbstbefriedigung? | |
Bild: Kühe füttern auf dem Bio-Bauernhof. Angebote für Freiwilligendienste g… | |
Der Raum vibriert von gefühlten 100 Dezibel. Vor mir sitzen 25 fröhlich | |
schwatzende Schulkinder. „Good morning, students!“, rufe ich in den Lärm | |
hinein. „Good morning, teacher!“, schallt es zurück. Ich habe ihre | |
Aufmerksamkeit, erster Sieg. Jetzt den Ball in der Luft halten, kleine | |
Sätze mit Früchten bauen, die ich auf Bildern in den Raum recke. „I love | |
bananas.“ Wiederholen lassen, im Chor und einzeln, Aussprache korrigieren, | |
Verneinung und Frage einführen, damit kleine Konversationen entzünden, | |
Neugier halten, Störungen unterbinden, überall gleichzeitig sein: Fühlt | |
sich an wie Dompteur sein. | |
Englischunterricht an der Dorfschule von Los Cedros in den Zentralanden | |
Kolumbiens. Nach einer Schulstunde bin ich fix und alle. Die Rektorin kommt | |
herein. „Muchas gracias“, lächelt Maria Eugenia und reicht mir aufmunternd | |
einen frischen Lulusaft. Sie ist dankbar für die Unterstützung. Bis zum | |
Jahr 2020 will das Land zweisprachig sein. Die meisten Bewohner samt Lehrer | |
stehen mit Englisch auf Kriegsfuß. Ist noch ein mühseliger Weg. Dabei | |
erfährt die Dorfschule Unterstützung vom Hostel la Finca. Das ist eine | |
Herberge für Backpacker und Globetrotter, eine halbe Stunde bergabwärts in | |
dieser unwegsamen Kordillerenwelt. | |
Ich bin im Hostel einer der Gäste, der sich sozial engagieren möchte. | |
Volontäre heißen diese Ehrenämtler auf der Finca. Sechs Wochen lang | |
unterrichte ich, jeden Morgen um acht Uhr, die Campesinokinder in der | |
sperrigen Fremdsprache. Das Hostel, das ist ein Fleckchen Paradies, steil | |
am Berg klebend, mit vielen Mangobäumen, Palmen rund um den Pool, Kolibris | |
und Kakadus in den Kronen, auf 1.300 Höhenmetern in der angenehm gemäßigten | |
Klimazone gelegen. Zu den Karibikstränden im Norden sind es 16 Busstunden, | |
zum Amazonas im Süden zwei Flugstunden. | |
In diesem Umfeld betreibt der Deutschkolumbianer Alexis mit seiner | |
Partnerin Mathilde seit vier Jahren das Hostel. Es hat den Beinamen | |
Cultures United, in des Gründers Definition: „Wo Kulturen einander | |
begegnen, wachsen Geist und Seele.“ Die fünf Zimmer im rustikalen Landstil | |
nehmen bis zu 25 Traveller auf. Gekocht wird in einer offenen | |
Gemeinschaftsküche. Viele kommen zum Chillen am Pool. Gäste können Hand | |
anlegen, bei der Hostelreinigung, Instandhaltung, Gartenarbeit. Dafür winkt | |
freie Logis. | |
Dies ist das Grundpaket des Freiwilligeneinsatzes. Ergänzend dazu die | |
Schulpartnerschaft. Oft übernehmen Muttersprachler aus den USA, Kanada, | |
Großbritannien, Australien den Englischunterricht. Für die didaktische | |
Begleitung wurden dank der Spende eines deutschen Verlags moderne | |
Lehrmittel angeschafft. Zusätzlich veranstaltet das Hostel ein Training für | |
Englischlehrer der Region. | |
## Freiwilligenarbeit ist Experimentieren | |
Ich erlebe, wie der Seminarraum sich in eine quirlige Bühne verwandelt. | |
Eine pädagogisch versierte Freiwillige arbeitet mit Storytelling, Sketchen, | |
Speed-Dating. Das hilft den Lehrkräften, vom landestypischen | |
Frontalunterricht in den interaktiven Lehrmodus umzuschalten. Sie erfahren, | |
wie lustvoll der spielerische Umgang mit Sprache ist – motivierender als | |
eintrichternder Kathederstil. | |
Im Hostel darf ich aus vielen Perspektiven eine neue Urlaubsform kennen | |
lernen: den Volontourismus. Reisende erbringen oft im Rahmen einer Herberge | |
oder angeleitet von einer Organisation einen privaten Freiwilligendienst. | |
Damit senken sie ihre Reisekosten. Gleichzeitig leisten sie im Gastland | |
einen sozialen Dienst. Letztlich haben sie selbst etwas davon. So stressig | |
mein Englischeinsatz in Los Cedros war: Ich fühle mich seither mit 1.000 | |
Feuern gehärtet. Bei meinem Kommunikationstraining an der Münchner | |
Volkshochschule kann mir Keiner mehr was! | |
Freiwilligenarbeit ist Experimentieren. Während meines Aufenthalts lebt im | |
Hostel auch Julian aus dem Salzburger Land. Er lehrt Campesinos | |
nachhaltiges Landwirtschaften: die Permakultur. Die arbeitet unter anderem | |
mit von der Sonne optimal ausgeleuchteten Spiralbeeten. | |
„Gringo-Spinnereien“ schmunzeln die Nachbarn. „Selbst mit unserem eigenen | |
Gärtner tun wir uns schwer“, berichtet Mathilde. Isaias ist aus lokalem | |
Schrot und Korn. Er weiß von klein auf: Unkraut und Ungeziefer gehören mit | |
der Chemiekeule ausgerottet. „Fast unmöglich, das aus ihm | |
herauszubekommen“, sagt Mathilde. „Ist doch fix und bequem“, ist sein | |
schlagendes Argument. | |
Im Austausch der Kulturen liegt eine Dose mit hässlichen Würmern verborgen. | |
Internationale Freiwilligeneinsätze sind seit den 1960er Jahren, als | |
Kennedy das Peace Corps aus der Taufe hob, umstritten. Wenn junge Menschen | |
in Länder des Südens ziehen, um dort Gutes zu tun, fragt sich: Wirken sie | |
in ihrem Idealismus nicht auch ideologisch, indem sie durch ihre | |
PersoFreiwilligenarbeit ist Experimentierenn unsere | |
kapitalistisch-konsumgetriebene Lebensform verbreiten helfen? Brenzlig | |
hängt der Vorwurf des Neokolonialismus in der Luft. | |
## Freiwilligendienste sind beliebt wie nie zuvor | |
Diese Kritik macht vor Deutschland keinen Halt. Internationale | |
Freiwilligendienste sind beliebt wie nie zuvor, auch wegen der staatlichen | |
Förderung (Infokasten). In den Medien ist von „Egotrips“, „Piraterie“, | |
unkontrollierter „Schwarzmarkthilfe“ die Rede. Jörn Fischer, einer der | |
kenntnisreichsten Experten der Freiwilligenszene weiß: Die | |
wissenschaftlichen Erkenntnisse sind zu dürftig, um Sinn und Unsinn zu | |
ermitteln. Die Freiwilligendienste-Zeitschrift Voluntaris, mit | |
herausgegeben von Fischer, der am Lehrstuhl für Vergleichende | |
Politikwissenschaft der Universität Köln forscht, diskutiert notwendige | |
Qualitätsstandards. | |
Klar ist: Kooperationen dieser Art sind immer eine Zweibahnstraße, ein | |
Geben und Nehmen, auf Augenhöhe, ein Aushandeln von Wünschen und | |
Bedürfnissen. Das erfordert allseitig viel Zuhören, Kommunikation, | |
Moderation. Alte, überholte Denkmuster verschwinden nur durch Vorleben | |
neuer, positiver Modelle. | |
Klar ist auch: Die meisten Volontäre sind aus dem kolumbianischen Hochland | |
mit Gewinn heimgekehrt. Hannes kennt nun sieben Recyclingtricks, wofür ein | |
alter Fahrradschlauch sich weiterverwenden lässt. | |
„Freiwilligenarbeit gibt deinem Leben neue Perspektiven“, resümiert Cat, | |
„hilft auch daheim sich zu engagieren. „Lebensverändernd, das war es für | |
Jonathan. In seiner Bewerbung verwies er auf den Freiwilligendienst und | |
sein Hostel-Zeugnis. Damit gelang ihm der Sprung aus der Arbeitslosigkeit | |
zurück in seinen Beruf. | |
5 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Goede | |
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