# taz.de -- Neue Kundenkarten: Fast anonyme Einkäufer | |
> Datenschutz ist in, Firmen wittern ein Geschäftsmodell: Kundenkarten ohne | |
> Adressinformationen. Mit Anonymität hat das wenig zu tun. | |
Bild: Kann mehr oder weniger Daten enthalten, anonym aber ist sie nicht: Kunden… | |
Berlin taz | Es klingt nach der Quadratur des Kreises: Kundenkarten, die | |
ihren Nutzern Rabatte verschaffen, gleichzeitig aber die Privatsphäre | |
wahren sollen. „Vollkommen anonym nutzbar“, wirbt etwa das Hamburger | |
Start-up Gerabo, das derzeit noch mit einem Förderprogramm der EU | |
unterstützt wird, für seine Kundenkarte. Die Supermarktkette Kaiser’s | |
Tengelmann versichert, dass die eigene Karte „ohne die Nennung persönlicher | |
Daten“ auskommt. Verbraucherschützer schauen jedoch skeptisch auf das neue | |
Geschäftsmodell. | |
Mehr als die Hälfte der Deutschen nutzt laut einer Umfrage des | |
Marktforschungsinstituts Emnid eine Kundenkarte. Allein 42 Prozent | |
verwenden eine Karte des Marktführers Payback. Die meisten Karten haben | |
eines gemeinsam: Wer sie nutzen will, muss eine Reihe persönlicher Daten – | |
etwa Name, Adresse, Geburtsdatum – angeben. Diese werden dann mit der | |
Kaufhistorie verknüpft. Kunden zahlen also mit ihrer Privatsphäre für die | |
erhofften Rabatte. Und es sind nicht nur Konzerne und große Handelsketten, | |
die Kundenkarten ausgeben. Die Bandbreite reicht von einzelnen Apotheken | |
bis zu Kinos oder Biosupermärkten. | |
Doch Nutzer legen zunehmend Wert auf Datenschutz, und erste Anbieter | |
reagieren darauf. Mit Erfolg: Gerabo hat vor einem halben Jahr die erste | |
Karte ausgegeben, mittlerweile sind laut Geschäftsführer Daniel Sonnet | |
25.000 Kundenkarten im Umlauf, jeden Monat komme ein Drittel dazu. 70 | |
Prozent der ausgegebenen Karten würden regelmäßig eingesetzt. | |
Partnerunternehmen sind etwa die Onlineshops von Karstadt und Saturn. | |
Das Unternehmen betont, dass man maximal eine E-Mail-Adresse von den Kunden | |
erfasse. Und die auch nur, um im Falle eines Kartenverlusts die gesammelten | |
Punkte übertragen zu können. Anders lautende Formulierungen in den | |
Allgemeinen Geschäftsbedingungen, denen zufolge die Karte „auch zur | |
Erfassung von Kundendaten, insbesondere zur Erfassung von Kaufverhalten“ | |
verwenden könnte, hat das Gerabo nach der taz-Anfrage gestrichen. | |
Doch ganz ohne Kundendaten kommt auch diese Karte nicht aus. Laut Sonnet | |
speichern die Händler zwar nicht die Einkäufe im Detail. Doch welche Karte | |
zu welchem Zeitpunkt bei welchem Händler im Einsatz war, werde schon | |
aufgezeichnet. Ebenso wie die Summe des Einkaufs. | |
## Steigende Umsätze | |
„Je mehr Einzeldaten ich habe, desto einfacher wird es, daraus ein Profil | |
zu erstellen“, sagt Lenz Queckenstedt vom Verbraucherzentrale Bundesverband | |
(vzbv). Einzeldaten, das können auch sein: eine Reihe von Zeitpunkten und | |
Geschäften, bei denen ein Kunde eingekauft hat. Kommen Produkte oder | |
Warengruppen dazu, wird der Einblick noch tiefer. „Es können nicht zwei | |
Personen über Monate dasselbe Kaufverhalten an den Tag legen, daher ist so | |
etwas höchstens pseudonym.“ Das heißt: Auch wenn ein Kunde keine | |
persönlichen Daten wie Geburtsdatum oder Adresse angibt, lässt eine | |
Kaufhistorie Rückschlüsse auf die Person zu. Vergleichbar anonym wie | |
Pappkarten, auf der beim Einkauf nur ein Feld abgestempelt wird, sind die | |
neuen Angebote nicht. | |
Auch Kaiser’s Tengelmann wirbt mit einer Kundenkarte, bei der Kunden ohne | |
die Angabe persönlicher Daten auskommen. Gescannt werden allerdings die | |
Einkäufe. Und zahlt der Kunde nicht bar, sondern mit Karte, ist der Händler | |
in der Lage zu verknüpfen, wer hier einkauft – auch wenn die Handelskette | |
angibt, das nicht zu praktizieren. Ähnlich sieht es bei bonvito aus, einer | |
Firma, die mehrere Arten von Kundenkarten anbietet. Teilweise können Kunden | |
wählen, ob sie sich registrieren und damit persönliche Daten angeben wollen | |
– doch ohne Registrierung gibt es je nach Karte keine Rabatte. | |
Für die Händler müssen sich die Kundenkarten in steigenden Umsätzen | |
bemerkbar machen – schließlich zahlen sie dafür. Gerabo arbeitet etwa für | |
Supermärkte mit folgender Rechnung: Der Händler könne durch den Einsatz der | |
Karte seinen Umsatz um 5 Prozent jährlich steigern. Die Karte motiviere | |
ihre Inhaber dazu, bei den teilnehmenden Händlern einzukaufen, Kunden kämen | |
regelmäßiger. Händler zahlen, je nach Leistung, zwischen 129 und 159 Euro – | |
pro Monat und pro Kasse, an der die Karte eingesetzt werden kann. | |
„Verbraucher geben Macht ab an den Handel, der mit ihnen spielt“, | |
kritisiert daher Rena Tangens vom Verein Digitalcourage das Prinzip | |
Kundenkarte – egal ob einigermaßen anonym oder nicht. | |
## Geringer finanzieller Anreiz | |
Doch das etwas Mehr an Anonymität, das diese Karten bieten, wird in Zukunft | |
noch stärker zum Alleinstellungsmerkmal werden. Denn der nächste Schritt | |
sind digitale Kundenkarten. Käufer reichen dann keine Plastikkarte mehr | |
über die Kasse, sondern lassen einen Code auf dem Handy scannen. Mit der | |
Technik lassen sich Kunden schon beim Betreten des Ladens identifizieren, | |
im Geschäft präzise orten und Gutscheine oder Rabattaktionen direkt aufs | |
Handy schicken. | |
Bislang ist diese Art von Rabatt-Apps vor allem für US-Kunden erhältlich. | |
In Deutschland ist im vergangenen Herbst die App Shopkick, ebenfalls ein | |
US-Unternehmen, gestartet. Hier bekommen Kunden etwa Punkte, wenn sie einen | |
Laden betreten – das Senden des Standorts ist also Voraussetzung. Die Firma | |
hinter Shopkick finanziert sich ebenfalls über Zahlungen der Händler, die | |
einen Prozentsatz ihres Umsatzes weitergeben, wenn ein Kunde nach der | |
App-Nutzung einen Kauf tätigt. | |
Für Verbraucher lohnt sich laut einer Berechnung der Verbraucherzentrale | |
Nordrhein-Westfalen eine Kundenkarte finanziell kaum. Die zu erzielenden | |
Einsparungen seien mit einem halben bis drei Prozent in der Regel minimal. | |
Gerade bei größeren Investitionen lasse sich durch Handeln mehr erreichen. | |
Dazu komme, dass Inhaber von Kundenkarten – ganz im Sinne der Händler – | |
tatsächlich dazu tendierten, bei Partnerunternehmen der Karte einzukaufen, | |
um Punkte nicht verfallen zu lassen. Auch dann, wenn das Partnerunternehmen | |
für das Produkt einen höheren Preis verlangt als die Konkurrenz. | |
10 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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