# taz.de -- Wie sich der IS finanziert: Die Geschäfte der Terroristen | |
> Die größte Einnahmequelle des IS sei der Ölschmuggel, heißt es. Das | |
> stimmt nicht: Steuern, Abgaben und konfiszierte Wertgegenstände bringen | |
> mehr. | |
Bild: IS-Werbung in Rakka, Syrien. | |
Istanbul taz | Kein Sonderrabatt, nicht ein paar Gramm extra, sondern | |
Preisaufschläge, die sich gewaschen haben. So hatte sich der britische | |
Dschihadist Omar Hussain das Leben im Islamischen Staat (IS) nicht | |
vorgestellt. Genervt beklagte er sich Ende August in einem Blog über die | |
syrischen Händler. „Wenn du einen Ladeninhaber nach dem Preis fragst, | |
überlegt er eine Weile und nennt dir dann einen höheren Preis“, schrieb | |
Hussain. Wo immer ein Kämpfer des Islamischen Staats (IS) auftauche, | |
versuchten die Ladeninhaber davon zu profitieren. Von wegen | |
„Willkommenskultur“ im Kalifat. | |
Und der britische Dschihadist nennt auch die Erklärung: „Hier in Syrien hat | |
der Staat den Ruf, reich zu sein.“ Der durchschnittliche Syrer betrachte | |
die IS-Kämpfer als lebende Bank. Diesen beinahe sagenhaften Reichtum sagen | |
auch viele westliche Experten den Extremisten nach. Auf zwei bis mehr als | |
vier Milliarden Dollar werden die Einkünfte der Extremisten geschätzt. Die | |
„reichste Terrorarmee der Welt“ wird der IS gern genannt. | |
Die wichtigste Finanzquelle, so die verbreitete Meinung, bilde mit bis zu | |
60 Prozent der Ölschmuggel. Luay al-Khatteeb, Gründer des Iraq Energy | |
Institute und Fellow am Brookings Doha Center, schätzte die IS-Einkünfte | |
aus dem Ölschmuggel auf 2,8 Millionen Dollar pro Tag, als der IS 2014 den | |
Westen des Irak überrannte und damit etliche Ölfelder unter seine Kontrolle | |
brachte. | |
Vor allem die Eroberung von Baidschi, der größten Ölraffinerie des Landes, | |
brachte den Extremisten Geld. Im kurdischen Erbil konnte man damals | |
Mittelsmänner treffen, die berichteten, dass sie das Öl zum halben Preis | |
kauften – eine gutes Geschäft für beide Seiten. | |
Die Öleinkünfte sind aber nur ein Teil der Gelder, die der IS kassiert. | |
Nach neuesten Erkenntnissen machen sie nicht einmal den Löwenanteil aus. | |
Auch die Gelder von reichen Spendern am Golf spielen keine große Rolle. Auf | |
50 Millionen Dollar schätzt sie die Rand Corporation in einem Bericht. | |
Das unterscheidet den IS vom Terrornetzwerk al-Qaida, mit dem sich der IS | |
einst überworfen hatte. Die IS-Vorgängerorganisation im Irak gab vor Jahren | |
die Devise aus: Die Organisation müsse finanziell unabhängig werden. Das | |
gelang ihr, indem sie in ihren Hochburgen von reichen Geschäftsleuten | |
Schutzgelder erpresste und an lukrativen Verträgen zum Wiederaufbau des | |
Landes mitverdiente. | |
Diese kriminellen Machenschaften gehen auch heute weiter. Nur sind sie | |
jetzt Teil der semistaatlichen Verwaltung des IS. Innerhalb des Kalifats | |
gibt es eine Abteilung für „kostbare Ressourcen“. Dazu zählen neben Erdö… | |
und Erdgas auch sämtliche anderen Bodenschätze sowie die archäologischen | |
Stätten. Darunter befinden sich beispielsweise eine Phosphatmine und eine | |
Produktionsanlage für Schwefelsäure im westirakischen Anbar sowie | |
Zementfabriken sowohl in Anbar wie im Osten von Syrien. | |
Bei einem Verkauf dieser Rohstoffe zum halben Marktpreis, wie es der IS | |
häufig tut, kämen die Extremisten auf jährliche Einnahmen von 329 Millionen | |
Dollar, heißt es in dem Bericht der Rand Corporation. Eine weitere wichtige | |
Einnahmequelle ist der Verkauf von Weizen und Mehl, vor allem in der Region | |
um Mossul, der laut Rand mit immerhin zehn Prozent der jährlichen Einnahmen | |
zu Buche schlägt. Der Anteil aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas beläuft | |
sich demnach nur auf 38 beziehungsweise 10 Prozent. | |
Die Plünderung der antiken Stätten nimmt der IS freilich nicht selber in | |
die Hand. Vielmehr vergeben die Extremisten so etwas wie Grabungslizenzen | |
und erheben „Steuern“. Das große Geld machen dabei die Schmuggler und die | |
internationalen Händler. Und weil der IS für sich in Anspruch nimmt, ein | |
Staat zu sein, gibt es überall in seinem Herrschaftsgebiet Ämter, die für | |
die Steuereintreibung und die Genehmigung von Geschäften zuständig sind. | |
## 66.433 Dollar pro Tag | |
So berichten Geschäftsleute aus Mossul, dass sie den IS-Bürokraten die | |
üblichen vollständigen Dokumente vorlegen müssen, um die Registrierung | |
ihrer Läden zu erneuern. Lastwagenfahrer müssen für ihre Transporte eine | |
Gebühr von 200 bis 500 Dollar abdrücken. Darüber hinaus müssen Angestellte, | |
die im Irak und in Syrien ihre Löhne von der Zentralregierung erhalten, | |
eine „Einkommensteuer“ entrichten. | |
Einblicke in die Bürokratie des Terrors gewähren die Recherchen des | |
britischen Forschers Aymenn al-Tamimi, der zahlreiche Dokumenten aus dem | |
Innern des Kalifats zusammengetragen hat. Dabei stieß Tamimi kürzlich auf | |
so etwas wie ein Budget der Extremisten aus Deir ez-Zor. | |
Die Provinz im Osten von Syrien wird seit eineinhalb Jahren weitgehend vom | |
IS beherrscht – von ein paar Enklaven abgesehen. Hier liegen auch die | |
wichtigsten Erdöl- und Erdgasfelder, die sich noch unter der IS-Kontrolle | |
befinden. Das Erdgas wird vor allem für die Stromversorgung in Syrien | |
benötigt. | |
Gemäß den Dokumenten des IS-„Finanzministeriums“ von Deir ez-Zor bilden d… | |
Einkünfte aus dem Öl- und Gas-Geschäft knapp 28 Prozent der | |
Gesamteinnahmen, die Steuereinnahmen belaufen sich auf knapp 24 Prozent. | |
Der weitaus größte Posten sind mit fast 45 Prozent die Einkünfte aus | |
konfiszierten Immobilien und anderen Wertgegenständen. Rechne man die | |
Öleinkünfte in Deir ez-Zor hoch, komme man auf durchschnittlich 66.433 | |
Dollar pro Tag. | |
## Realistischer Blick auf den Ölschmuggel | |
Auch die deutsche Bundesregierung geht davon aus, dass der Ölschmuggel eine | |
weitaus geringere Rolle spielt als bisher angenommen. Nach Einschätzung der | |
Bundesregierung betragen die IS-Einnahmen aus dem Ölgeschäft höchstens | |
200.000 Dollar pro Tag, heißt in der Antwort auf eine Anfrage im Bundestag. | |
Es sei an der Zeit, einen realistischen Blick auf den Ölschmuggel zu | |
werfen, fordert Tamimi. | |
Im Kampf gegen den Islamischen Staat haben die Amerikaner in jüngster Zeit | |
die Luftangriffe auf die von den Extremisten kontrollierten Öleinrichtungen | |
intensiviert. Dabei bombardierte die Luftwaffe in Deir ez-Zor nahe der | |
irakischen Grenze erstmals einen Konvoi von Öltankern. Mehr als 100 Tanker | |
sollen zerstört werden sein. Mit den Luftangriffen auf das | |
Distributionsnetz soll die Fähigkeit des IS, militärische Angriffe zu | |
finanzieren, eingeschränkt werden, sagte Colonel Steven H. Warren, Sprecher | |
der Anti-IS-Koalition in Bagdad. | |
Damit wird der IS zwar geschwächt. Ihrer Einnahmequellen werden die | |
Extremisten damit freilich nicht beraubt. Solange sie große Gebiete | |
beherrschen, werden sie auch weiterhin in der Lage sein, ihren Untertanen | |
Steuern und andere Abgaben abzupressen. | |
18 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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