# taz.de -- American Football in Europa: Jetlag und Grütze | |
> Die Gastspiele der NFL erfreuen sich in London wachsender Beliebtheit. | |
> Für die Liga sollen sie ein Sprungbrett sein – nicht nur nach Europa. | |
Bild: Dünnes Klopapier: Die NFL fühlt sich in London trotzdem wohl. | |
Irgendwann ging es dann auch mal um Klopapier. Die Amis fanden das | |
englische zu dünn. Und packten deshalb 350 Rollen in einen Container, um | |
sie über den Atlantik zu schippern. Die Engländer fanden das lustig. Und | |
schrieben deshalb ironische Kommentare über ach so harte, aber | |
offensichtlich doch zumindest am Hinterteil arg sensible | |
American-Football-Spieler. | |
Es war bislang die einzige größere Irritation einer erstaunlichen | |
Liebesbeziehung, die dieser Tage zu bestaunen ist. Am Sonntag werden sich – | |
zum dritten Mal in diesem Herbst – 84.000 Engländer im Londoner | |
Wembley-Stadion einfinden, um einem Football-Match beizuwohnen. Wohlgemerkt | |
nicht einem Spiel der urenglischen Form des Football, sondern der entfernt | |
verwandten, sehr amerikanischen Variante mit Lederei, Helm, dicken | |
Schulterpolstern und Cheerleadern. | |
Die Begegnung zwischen den Detroit Lions und den Kansas City Chiefs ist der | |
diesjährige Abschluss der sogenannten International Series der National | |
Football League (NFL). Die ist der seit 2007 laufende Versuch der NFL, neue | |
Absatzmärkte zu erschließen. In dieser Zeit ist die Zahl der Spiele in | |
London von eins auf mittlerweile drei gestiegen. In diesem Jahr sollten es | |
eigentlich schon vier sein, aber wegen der Rugby-WM in England gab es | |
Terminkollisionen. | |
2018 ist es aber dann soweit: insgesamt vier Spiele in London, die beiden | |
anderen im neuen Stadion des Premier-League-Clubs Tottenham Hotspur. Der | |
über zumindest zehn Jahre laufende Vertrag mit Tottenham ist das bislang | |
deutlichste Zeichen, dass die beiden Entertainmentgiganten Premier League | |
und NFL künftig enger kooperieren wollen. | |
Die Expansion der NFL beschränkt sich aber nicht auf England. London ist | |
nur ein Brückenkopf. Bereits 2016 könnten auch andere Länder zum Zug | |
kommen: Im Gespräch sind Mexiko City, wo 2005 schon einmal ein Spiel | |
stattfand, und Deutschland mit den Kandidaten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt | |
und Hamburg. Nicht nur auf lange Sicht, sondern mittelfristig will die NFL | |
aber den ganz großen Schritt wagen und eine Franchise in Übersee | |
etablieren: Ein in London stationierter Klub könnte schon ab 2020 am ganz | |
normalen Spielbetrieb teilnehmen. | |
## Testlauf der grauen Mäuse | |
Ein verwegener Plan, der allerdings immer wahrscheinlicher wird. Die NFL | |
ist mit dem Zuspruch in London sehr zufrieden. Nicht nur, weil die drei | |
Spiele schnell ausverkauft waren. Sondern vor allem, weil sie nicht eben | |
die attraktivsten Mannschaften in die Ferne geschickt hatte. Bei den ersten | |
Auflagen der 2007 ins Leben gerufenen International Series lockte die NFL | |
fachfremde Zuschauer mit namhaften Teams wie den Dallas Cowboys oder Stars | |
wie Tom Brady ins Wembley-Stadion. | |
Die diesjährige Besetzung wirkte dagegen fast wie ein Testlauf, ob das | |
Londoner Publikum auch graue Mäuse wie die Buffalo Bills oder die | |
Jacksonville Jaguars sehen will. Die englische Tageszeitung The Guardian | |
fragte sich denn auch verwundert, welche andere Sportart außer dem | |
allmächtigen Fußball wohl das Wembleystadion innerhalb von acht Tagen | |
zweimal ausverkaufen könnte. Und Londons Bürgermeister Boris Johnson | |
verkündete, man arbeite „intensiv an einem Deal“ und habe „große | |
Hoffnungen, dass schon in wenigen Jahren in Tottenham“ ein NFL-Team | |
beheimatet sein könnte. | |
Vor allem Jacksonville, eine Art Darmstadt 98 der NFL, fühlt sich in London | |
zu Hause. Der 34:31-Sieg gegen Buffalo am vergangenen Wochenende war | |
bereits der dritte Auftritt des Clubs aus Florida an der Themse innerhalb | |
von drei Jahren. Diesmal waren im Stadion bereits mehrheitlich | |
Jaguars-Trikots im Publikum zu sehen. | |
## Jaguars London? | |
Auch in den kommenden fünf Jahren werden die Jaguars jeweils für ein Spiel | |
nach Großbritannien reisen. Dazu hat sich Shahid Khan, der Besitzer des | |
Franchise, bereit erklärt. Dem Unternehmer gehört außerdem der englische | |
Fußballzweitligist FC Fulham. Sollte es tatsächlich jemals ein Londoner | |
NFL-Team geben, gelten die Jaguars, die sich seit 2007 nicht mehr für die | |
Playoffs haben qualifizieren können und mittlerweile Probleme haben, zu | |
Hause in Florida ihr Stadion zu füllen, als erster Kandidat für einen | |
Umzug. | |
Noch weiß aber niemand, wie die logistischen Probleme einer solchen | |
Konstruktion zu bewältigen wären. Der Wettbewerbsvorteil, dass die Londoner | |
Mannschaft bei ihren Heimspielen jeweils auf Jetlag-geplagte Gegner treffen | |
würde, scheint dabei noch am ehesten zu vernachlässigen. Schon jetzt | |
erinnern die Spiele in London an den Aufmarsch mittelgroßer Armeen. Jedes | |
Team reist mit einem Tross von etwa 220 Personen. Ein Großteil der Spieler | |
war noch niemals im Ausland, mehr als die Hälfte besitzt noch nicht einmal | |
einen Pass. | |
Ihren insgesamt gerade mal 65 Stunden dauernden Trip nach London planten | |
die New York Jets elf Monate lang. Sie verschifften bereits im August | |
insgesamt 5.000 verschiedene Gegenstände nach Europa, darunter Grillsaucen, | |
Cornflakes, Mullbinden, Autogrammkarten, Verlängerungskabel und eben auch | |
jene 350 Rollen Klopapier. Die Jets ließen sogar den Küchenchef ihres | |
Londoner Hotels einfliegen, damit der in New York die im Club üblichen | |
Ernährungsgewohnheiten studieren konnte. | |
Dabei legte der Spitzenkoch besonderes Augenmerk auf die korrekte | |
Zubereitung der bei aus dem Süden der USA stammenden Profis sehr beliebten | |
Hafergrütze. Diese bei unvorsichtigen USA-Touristen gefürchteten „grits“ | |
sollen, so berichtete eine NFL-Sprecherin vollkommen ironiefrei, | |
mittlerweile ihren Weg auf die reguläre Speisekarte des Londoner Hotels | |
gefunden haben. „Wir versuchen, alles genau so zu reproduzieren, wie wir es | |
von zu Hause kennen“, erklärte der bei den Jets für die Organisation des | |
Großbritannien-Abenteuers zuständige Mitarbeiter. | |
## NFL beim Frühstück | |
Der Fan zu Hause in den USA, der aber muss sich ein wenig umstellen. Die | |
Londoner Spiele werden im Osten der USA bereits um 9.30 Uhr übertragen. | |
Damit okkupiert die NFL den gesamten Sonntag von der Frühstückszeit bis in | |
den späten Abend. In Asien können die Übertragungen aus Wembley gar zur | |
Primetime laufen. Denn die NFL ist fest entschlossen, weiter zu | |
expandieren. | |
Obwohl man in der Vergangenheit zwiespältige Erfahrungen mit dem Export von | |
Football gemacht hat. Eine Art zweite Liga der NFL konnte trotz mehrfacher | |
Namenswechsel und fröhlich auf- und zumachender Klubs nicht Fuß fassen. | |
2007 wurde das zuletzt NFL Europa genannte Projekt nach 16 Jahren | |
eingestellt. Allerdings: Ihren europäischen Ableger musste die NFL zuletzt | |
mit 30 Millionen Dollar jährlich subventionieren. Mit den Events in London | |
dagegen macht die NFL sogar Gewinne. | |
Und darum geht es natürlich. Die NFL will nicht nur neue Märkte | |
erschließen, sie muss. Denn die umsatzstärkste Sportliga der Welt stößt in | |
den USA an ihre wirtschaftlichen Grenzen. Und hat Sorgen, eine Entwicklung | |
zu verschlafen. „Die Welt verändert sich, sie globalisiert sich“, sagt Mark | |
Waller, bei der NFL zuständig für die internationale Entwicklung. „Das | |
bedeutet, dass wir global relevanter werden müssen, wenn wir weiterhin der | |
Nummer-eins-Sport in den USA bleiben wollen.“ | |
Man kann für die empfindsamen NFL-Profis nur hoffen, dass bald auch die | |
Standards für Toilettenpapier globalisiert sind. | |
1 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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