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# taz.de -- Start-ups in Italien: Silicon Trentino
> Sie sind jung, gründen Start-ups und kombinieren Tradition und digitale
> Gegenwart. Und sie bleiben Italien treu. Das Erfolgsmodell von Trient.
Bild: Selbst Menschen lassen sich im 3-D-Drucker ausdrucken.
Trient taz | Die Fassade der gotischen Kathedrale, gleich neben ihr der
Palazzo Pretorio aus dem 13. Jahrhundert, zwei komplett mit Fresken bemalte
Patrizierhäuser, der Neptunbrunnen in der Mitte des Domplatzes – Trient
wirkt betulich.
Doch dieser Eindruck trügt. Die Cafétische draußen, rund um den Domplatz,
sind bis auf den letzten Platz besetzt, an dem lauen Nachmittag ist es Zeit
für den Aperitif, für Prosecco oder Spritz, und in den Seitenstraßen sucht
man vergebens nach leer stehenden Ladengeschäften. Stattdessen Boutiquen
und Delikatessenläden; anderswo mögen die Leute über den wirtschaftlichen
Niedergang jammern, doch im Trentino scheint die crisi keine Rolle zu
spielen.
„Kein Wunder“, sagt Riccardo Paolo Governale, Manager in der Firma HSL, die
im Industriegebiet nördlich des Zentrums ihren Sitz hat. Schließlich spiele
das Trentin bei Innovationstechnologien ganz vorne mit. HSL beispielsweise
fertigt seine Produkte ausschließlich an 3-D-Druckern. Der erst 25-jährige
Governale ist ein jugendlich wirkender Mann mit einem Kreuz wie ein
Rugbyspieler und einem wuscheligen schwarzen Haarschopf. „HSL“ steht für:
„Hic sunt leones“– „Hier sind die Löwen“. Das schrieben die antiken …
an jene Grenzen auf ihren Landkarten, hinter denen unbekanntes Neuland lag.
Neuland wie die 3-D-Drucker, die der HSL-Gründer Ignazio Pomini im Jahr
1989 aus den USA nach Trient importierte als Erster überhaupt in Italien.
In der Fertigungshalle steht eine ganze Batterie von ihnen, leise huschen
die Laserstrahlen über das Material, verfestigen das Nylonpulver zu den
gewünschten Objekten. Das war in der Vergangenheit vor allem Kfz-Zubehör,
produziert für kleine Spezialfirmen, die Luxusautos tunen, zum Beispiel
Halterungen für Heckleuchten.
## Handwerk und Hightech
Doch dann kam 2008 die Krise, „sie schlug bei uns richtig ein“ , sagt
Governale, „aber sie war für uns auch der Anstoß, anderes auszuprobieren“.
Die Firma reagierte, indem sie die Investitionen hochfuhr und auf neue
Produkte setzte. Designerlampen zum Beispiel, auch sie aus dem 3-D-Drucker.
Neue Teams kamen so zusammen, etwa für die große, weiße Adlerfeder, die in
einen quadratischen Rahmen montiert und von hinten illuminiert ist. An ihr
wirkten ein Biologe, ein Schreiner, ein Mathematiker und natürlich der
Designer mit, ein Holzschnitzer aus dem Grödnertal.
Auf solchen Wegen könne das Trentin zum „Artisan Valley“ werden, zu einem
Ort, in dem sich die Tradition italienischen Handwerks und Designs mit
Industrietechnologien der Zukunft trifft, glaubt Governale. Das gelte auch
für die neue Linie für Schmuck und Accessoires, Brillen, Halsketten,
Armbänder oder den Fingerring, der eine kleine Kapsel trägt, ein
Netzgitter, in dessen Innerem ein Kügelchen im Miniaturformat rollt.
Handwerk und Hightech.
Offener Hemdkragen, Business-Sprech, in dem es von Anglizismen wimmelt, ein
Ökonomiestudium mit Auslandsjahr in Schanghai: Governale könnte als
perfekter Vertreter der New Economy durchgehen. Doch er hütet sich vor
neoliberalen Lobgesängen auf starke Unternehmer in einem schwachen Staat.
Wenn das Trentino gut dastehe und die Unternehmen hier ein ideales Umfeld
vorfänden, dann liege das am „System Trentino“.
So sei der Anteil von Ausgaben für Forschung und Entwicklung binnen zehn
Jahren auf über zwei Prozent gestiegen. 2002 noch lag er bei einem Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Die Provinz bietet mit ihrer Hochschul- und
Forschungslandschaft, aber auch mit den aktiv eingreifenden Provinzbehörden
das ideale Umfeld. Geradezu eine Rarität in Italien ist zum Beispiel, dass
sich staatliche Behörden aktiv darum bemühen, Start-ups mit eingesessenen
Unternehmen zusammenzubringen.
Genauso sieht das Michele Barbera, Chef des Start-ups „Spazio Dati“. Der
30-Leute-Betrieb ist in Le Albere angesiedelt, einem erst 2013 eingeweihten
Wohn- und Arbeitskomplex, entworfen von Stararchitekt Renzo Piano.
Viel Glas und Holz, Solarpaneele auf den Dächern, ein Bach in der Mitte des
Fußgängerwegs, Hecken und Bäume: ökobewusste Nachhaltigkeit, die an
Kalifornien erinnert. Keiner kommt hier mit Krawatte zur Arbeit. Den
Dresscode gibt der Chef vor, er empfängt in lachsfarbenen Bermudas und
blauem Leinenhemd. Auf den Knien von Michele Barbera steht ein Laptop,
während er redet.
## Eine automatisierte Textanalyse made in Trient
Er stammt aus Pisa und zog vor ein paar Jahren nach Trient. „Das ist ein
Ort, wo man wegen der hohen Forschungsdichte die Talente findet“, meint er.
30 Personen arbeiten mittlerweile für die Ende 2012 gegründete
Internetfirma Spazio Dati, die sich auf Software zur automatisierten
Textanalyse spezialisierte. Das Flaggschiff aber ist ein Portal, das „das
produktive System Italiens völlig transparent machen soll“.
So hölzern das klingt, so einfach ist die Idee, und sie hat, ähnlich wie
bei HSL, ihren Ausgangspunkt in dem Willen, italienische Traditionen mit
der Ökonomie des Internetzeitalters zusammenzubringen. In Italien
existieren sechs Millionen kleine und kleinste Firmen. Unübersichtlich und
zum Nachteil von Kunden genauso wie von Lieferanten, erklärt Barbera.
Deshalb bietet Spazio Dati eine Software an, die er „Firmen-Google“ nennt.
Auf dem Portal können Winzer, die Barolo keltern, genauso wie
Mechatronik-Produzenten oder andere Zweige systematisch recherchiert
werden. Mit 36 Jahren ist der Unternehmer der älteste im Team. Auch dies
erstaunt angesichts der hohen Jugendarbeitslosenquote im Land.
Ohne die Anschubfinanzierung der Provinz wäre es gar nicht losgegangen:
230.000 Euro investierte der öffentliche Partner zu Beginn. Barbera fand
dann private Investoren und kaufte die Kapitalanteile, die die Provinz
Trient hielt, zurück. Genauso wichtig sei das „Ökosystem, das man in
anderen Teilen Italiens so nicht findet“. Er meint das Zusammenspiel von
Unternehmen und Staat, von guter Ausbildung, Spitzenforschung und
Anschubfinanzierungen. „Genauso wie im Silicon Valley, wo die staatliche
Seite eine Schlüsselrolle spielt“.
„Wäre nicht Trient gewesen, dann wäre ich wohl der Versuchung erlegen, die
Firma im Ausland aufzumachen.“
Dort, in Irland oder sonst wo, hätte er womöglich Luca Cornali getroffen;
stattdessen sitzt Cornali – auch er mit kariertem Hemd, Vollbart und betont
wuscheligem Haar – jetzt auf dem Domplatz, um von seiner Firma zu
berichten.
## Überleben im 21. Jahrhundert
Der 31-Jährige ist in Trient geblieben und hat dort ein Internetunternehmen
aufgezogen, das sich allerdings nicht an Unternehmen, sondern an
Privatkunden wendet. Cornali hat seinen Ausgangspunkt bei der in
Jahrhunderten gewachsenen Tradition des Handwerks und des Designs gesucht.
Genauso wie die beiden anderen will er Lösungen anbieten, die dem
gewachsenen System erlauben, im 21. Jahrhundert zu überleben. Seine Antwort
heißt „Reputeka“, ein in diesem Jahr gegründetes Start-up.
„Kleine Handwerker und Künstler haben heute von vornherein ein
Vermarktungsproblem, nicht mal ein Prozent der 340.000 Kunsthandwerker
Italiens verkauft online“, konstatiert er. Da soll Reputeka aushelfen, als
Verkaufsplattform, mit der Holzschnitzer oder Schmuckdesigner ihre Produkte
global vermarkten können. Echt italienisches Handwerk muss es sein. 80
Prozent der Anfragen lehnt Reputeka ab, auf die Plattform kommt nur, wer
wirklich in Italien fertigt, wer nachweisen kann, dass die Fertigung
überwiegend in Handarbeit erfolgt. „Um auf unserer Plattform präsent zu
sein, müssen die Handwerker nichts bezahlen, wir übersetzen ihre Infos, wir
übernehmen die Vermarktung, den Versand, das Inkasso, und nur wenn Produkte
verkauft werden, verlangen wir eine anteilige Gebühr“, erläutert Cornali
das Geschäftsmodell.
Auch seine Firma konnte nur deshalb starten, weil die Provinz nachhalf.
„Ein ganzes Jahr haben wir am Anfang mit der Suche nach privaten Investoren
verloren“, berichtet er. „Dann hat uns die Provinz mit einer Finanzierung
aus EU-Töpfen geholfen; die kommen hier wirklich bei denen an, die neue
Unternehmen in Gang bringen wollen – anders als in anderen italienischen
Regionen“.
1 Nov 2015
## AUTOREN
Michael Braun
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