| # taz.de -- Die Wahrheit: Nageln wie nie | |
| > Ein zunächst misstrauisch beäugter Neuzugang im Werkzeugkeller führt | |
| > schließlich zur Erkenntnis: Integration ist einfach der Hammer. | |
| Bild: Die Alten im Werkzeugkeller hatten Angst vor dem neuen Multifunktionswerk… | |
| „Seht mal alle her“, rief der alte deutsche Hammer aufgebracht, nachdem der | |
| Chef des Hauses die Tür zum Keller geschlossen hatte und wieder | |
| verschwunden war. Die Blicke der Werkzeugkellerbewohner wanderten zu einer | |
| leeren Pappschachtel, die ganz neu zwischen den Altkartons lag. | |
| „Was ist das?“, fragte eine verunsicherte Mutter. „Diese Verpackung, liebe | |
| Mitbewohner, gehört zu einem Multifunktionswerkzeug“, schnaufte der Hammer | |
| verärgert. „Ein Multiwas?“, erkundigte sich die Stylo-Schraube überrascht. | |
| Sie war stets gut angezogen und zugleich äußert schreckhaft. Eine | |
| Schreckschraube eben. „Ja, ein Multifunktionswerkzeug. Dieses Teil kann | |
| einfach alles, es nimmt uns ganz sicher unsere Arbeit weg. Es wird uns alle | |
| überflüssig machen!“ | |
| ## Das Raunen der alten Werkzeuge | |
| Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge der versammelten | |
| Old-School-Werkzeuge. Alle hatten Angst und sorgten sich. Einzig der | |
| alkoholisierte Verdünner musste beim Wort „überflüssig“ kichern. „Übe… | |
| übel“, rief der kleine Dübel (und verschwand in der Wand). | |
| „Das können wir nicht zulassen, wir müssen uns wehren“, sagte das nicht | |
| besonders zurückhaltende Ventil. Es war in Dresden produziert worden und | |
| verschaffte seinem Ärger gern lauthals Luft. | |
| „Ganz ruhig, Brauner. Da hast doch nur Angst vor Veränderung“, sagte die | |
| Deckenlampe besserwisserisch von oben herab. „Pfff!“, antwortete das Ventil | |
| verächtlich. „Stromfresse, du Energiesparschlampe“, sagte der Hammer. Er | |
| konnte die rote Lampe nicht leiden, denn sie war nicht die hellste. „Watt? | |
| Das ist ja unerhört!“, erwiderte die Lampe. Fassungslos. | |
| Sie war für Zuwanderung und seit Kurzem mit einer neuen Birne zusammen. | |
| Ihre alte war einfach durchgebrannt und ihre neue hatte einen | |
| Migrationshintergrund. Sie stammte aus dem Osramischen Reich. | |
| „Haltet ein, spaltet euch nicht“, unterbrach sie das weise Kant-Holz. | |
| „Handelt nur nach derjenigen Maxime, von der ihr zugleich wollen könnt, | |
| dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ | |
| „Hä? Das verstehe ich nicht!“, sagte der alte Schwamm irritiert. Er war | |
| nicht besonders aufnahmefähig. Man nannte ihn auch den Horst Seehofer unter | |
| den Kellerbewohnern. Dann ertönte eine bislang unbekannte Stimme. | |
| ## In der Transitzone für neue Werkzeuge | |
| „Entschuldigt bitte, aber ich will wirklich niemandem etwas wegnehmen“, | |
| sagte sie. Es war die Stimme von MuFu, dem Multifunktionswerkzeug, über das | |
| sie die ganze Zeit gesprochen hatten. Es versteckte sich auf der anderen | |
| Seite des Raums im Billy-Regal, in der Transitzone für neue Werkzeuge. | |
| „Geh dahin zurück, wo du herkommst, wir wollen dich hier nicht haben!“, | |
| brüllte der Hammer mit hochrotem Dickkopf. „Aber ich will doch nur eine | |
| Zukunft haben. Meine Heimat, den Baumarkt, gibt es nicht mehr“, erklärte | |
| MuFu traurig. | |
| „Ich habe eine Idee“, sagte nun der Pinsel, dick auftragend. „Warum freuen | |
| wir uns nicht einfach, dass jemand Neues da ist?“ – „Wie meinst du das?�… | |
| bohrte die Bosch nach. | |
| „Nun, wir alle leben seit Jahren zusammen in diesem Werkzeugkeller. Immer | |
| wieder kam jemand Neues hinzu. Und hat es uns geschadet? Nein! | |
| Veränderungen machen das Leben bunter. Hammer, du bist ein Thor, wenn du | |
| sagst, dass hier kein Platz für jemand Neues ist.“ | |
| „Pinsel hat recht. Vielleicht sollten wir alle zusammen was unternehmen. | |
| Wir brauchen ein gemeinsames Projekt“, sagte eine überdrehte Schraube, | |
| relativ locker. | |
| „Ich glaube, ich habe gute Neuigkeiten für euch“, sagte MuFu vorsichtig. | |
| „Morgen will unser Besitzer ein Gartenhaus bauen. Und dafür, ob ihr es | |
| glaubt oder nicht, braucht er uns alle. Denn ich kann zwar vieles, aber | |
| eben nicht alles.“ | |
| ## Grenzenloser Jubel bricht aus | |
| Kurze Zeit herrschte Stille, dann brach grenzenloser Jubel aus. „Voll | |
| scharf“, rief das Cutter. Stumpf. | |
| „Lasst uns zusammenhalten“, rief der Mehrkomponenten-Kleber. Offen. Der | |
| Hammer überlegte kurz, dann nickte er. „Na, wenn das so ist, dann werde ich | |
| ab sofort so tief und fest nageln wie nie zuvor.“ | |
| Im selben Moment begann im Hintergrund der Swingschleifer damit, Musik zu | |
| machen. Wobei er vom Schnellspanner heimlich beobachtet wurde. Zusammen | |
| stimmten sie ihre Hymne an: Schleif ist Schleif. | |
| Aber das ist eine andere Geschichte. Diese ist nun zu Ende, und wir alle | |
| haben gelernt: Man sollte nicht jedes fremde Werkzeug gleich in eine | |
| Schublade stecken. | |
| 23 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Stickling | |
| ## TAGS | |
| Integration | |
| Religion | |
| Börsengang | |
| Krimi | |
| Markus Lanz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Dschingis Krans Gebet | |
| Das Wahrheit-Märchen: Wie der Berliner Flughafen durch ein Wunder von oben | |
| eines Tages doch noch fertiggestellt wurde. | |
| Die Wahrheit: Der liquide Papst | |
| Der Vatikan stürmt an die Börse und wird jetzt voll kreativ. Die Losung | |
| heißt: Anteilsschein statt Heiligenschein. | |
| Die Wahrheit: Mord im Zahntasialand | |
| Der Wahrheit-Krimi frei nach Colgate Christie spielt in der dentalen Welt | |
| von Chefermittler Corega, der einen Mord im Mundmilieu aufklären soll. | |
| Die Wahrheit: Lanz schlägt zurück! | |
| Das ZDF operiert erfolgreich am offenen Quotenherzen: Die Wunderwaffe „Dr. | |
| Markus – der Martial Arzt“ ist unheimlich scharf. |