| # taz.de -- Diskussion in der Berliner Volksbühne: Applaus für linke Masturba… | |
| > Gianis Varoufakis im Disput unter Linken: Gut gelaunt und kämpferisch | |
| > berichtet der Exfinanzminister Griechenlands von politischen Plänen. | |
| Bild: Will weiterkämpfen: Gianis Varoufakis | |
| Berlin taz | Der Name zieht, die Planer der Volksbühne in Berlin dürfen | |
| gewusst haben, dass ein tiefer politischer Fall wie der des griechischen | |
| Politikers Gianis Varoufakis dessen europäischer Popularität in den Zirkeln | |
| der Linken nichts anhaben kann. Im Gegenteil. | |
| Der Wirtschaftswissenschaftler [1][fiel aus dem Kabinett Alexis Tsipras‘], | |
| aber er reist nun durch Europa, hält Vorträge, sammelt Eindrücke – und dass | |
| er kommen würde, zog in Berlin diese leichte Zuschauerpanik nach sich, | |
| typisch für heiße Diskursware, ob man in den Großen Saal noch hineinkommen | |
| würde. | |
| Varoufakis jedenfalls bekam, kaum hinter dem Vorhang hervorgetreten, | |
| mächtigen Applaus. Mit ihm disputierten der in linken Kreisen wohlbekannte | |
| italienische Philosoph [2][Franco Bifo Berardi], sein kroatischer Kollege | |
| Srecko Horvath und Gastgeber Guillaume Paoli. Letzterer als Moderator, das | |
| heißt in seinem Fall als Stichwortgeber. | |
| Der Grieche, ausgesprochen gut gelaunt, konnte ausladend berichten, was das | |
| Publikum ohnehin wissen musste, flüchtiger Medienkonsum reichte für die | |
| goldenen Vokabeln, die Varoufakis aufzusagen hatte. Wie desinteressiert an | |
| wirklich politischen Lösungen die EU-Spitzenpolitiker waren, wie sehr die | |
| Eurogruppe das Machtzentrum der EU ist und wie enttäuschend war, dass | |
| selbst der Sozialdemokraten nahestehende oder angehörende Kader der EU die | |
| Linke im Stich ließ: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi etwa. | |
| ## Erst Syriza, dann Corbyn | |
| Bifo Berardi sekundierte mit bewundernswerter Routine. Für die Linke habe | |
| das alles keinen Sinn, es bestehe kein Anlass für Optimismus, gleichwohl er | |
| auch nicht in Pessismismus verfallen wolle, aber man [3][denke nur an TTIP] | |
| und andere schlimme politische Projekte auf der europäische Agenda, dann | |
| erkenne man, wie übel es um eine gute Politik bestellt ist. | |
| Srecko Horvath hingegen, der in gut zwei Stunden zu kaum mehr als | |
| vierprozentigem Redeanteil kam, landete anfangs einen hübschen Treffer mit | |
| der Beobachtung, er habe es satt, dass man immer den gleichen, gestrigen | |
| Modi anhänge als Linke – überschäumender Jubel über Syriza, jetzt die | |
| gleiche Begeisterung über den britischen [4][Labour-Chef Jeremy Corbyn]. | |
| Für ihn, den Mann aus Kroatien, sei das linke Masturbation – die | |
| Begeisterung über die eigene Begeisterung und dass sie absehbar nicht | |
| mehrheits- geschweige denn im europäischen Rahmen politikfähig sei. | |
| Varoufakis, weitschweifend, ging nicht weiter drauf ein. Für ihn hat sich | |
| bei den Verhandlungen mit Griechenland die Maschine, das Räderwerk | |
| schlechthin durchgesetzt – andere wollten ihm bei den Finanzministertreffen | |
| auf EU-Ebene kaum zuhören. Und dann auch wieder sein altes Lied, | |
| neoliberale Ökonomen hätten doch seinen Vorschlägen zugestimmt, auch | |
| IWF-Chefin Christine Lagarde… | |
| ## Der linke 3D-Drucker | |
| Der Grieche kam, neben den Anekdoten aus frisch vergangenen Zeiten auch mit | |
| Vorschlägen. Man müsse ein Netz aufbauen, der Kommunikation, mit | |
| Veranstaltungen wie solche in der Volksbühne – das sei jetzt alles mit | |
| Internet, mit Livestreaming möglich. Man müsse sehr viel miteinander reden, | |
| auf diese moderne Weise, man brauche keine Partei, keine Beitritte zu | |
| Organisationen, denn in Europa kündigten sich große Veränderungen an, auf | |
| Digitalisierung fußende. Worte wie 3D-Drucker fielen – und Berardi deutete | |
| sie im Sinne der Zwiespältigkeit: Die neue Techniken könnten Gutes | |
| bewirken, aber wahrscheinlich führten auch sie in die Irre, in die | |
| Machtlosigkeit. | |
| Man fragte sich unwillkürlich: Da schlägt ein politischer has been wie | |
| Yanis Varoufakis etwas von europäischer Vernetzung vor – aber wo ist die | |
| Basis für eine europäische Zusammenarbeit, die über | |
| Alles-wird-immer-schlimmer-Mittelschichtsmilieus hinaus geht? Ist das der | |
| selige [5][Multitude]-Glaube? Oder will er demokratische Verfahren | |
| einführen, an denen schon die Piraten mit ihren Dauerplena in punkto | |
| Einfluss zerbröselt sind? Es war nicht einmal zu erahnen. | |
| Sprechend blieb das Unausgesprochene: Weshalb waren die eisigsten Kritiker | |
| der griechischen Linken von Syriza gar nicht Merkel & Co., sondern die | |
| ökonomiebewussten EU-Mitglieder des Ostens? Weshalb ist Warschau mit | |
| neoliberalen Werkzeugen ein Hot Spot geworden – und Athen ist immer noch | |
| eine oligarchische Trümmerlandschaft? Und wenn das Europa der EU wirklich | |
| nichts anders als ein antidemokratisches Konstrukt ist – warum so viele | |
| hierher gelangen? | |
| ## Baden in den Niederlagen | |
| Anders notiert: Warum hat die Erbauungsrhetorik der linken Linken immer | |
| noch so eine Resonanz? Ist es die typische Melancholie (Walter Benjamin), | |
| wie Horvath anmerkte? Man badet in den eigenen Niederlagen, um zwar nichts | |
| für eine gute Welt mitrealisiert zu haben – aber Recht hat man immer, weil | |
| die anderen immer so gemein sind. | |
| Varoufakis bekam nach seinem letzten Statement eine Spur weniger zufrieden | |
| stimmenden Beifall. Sein „Plan B“ für Europa ist kaum kenntlich geworden: | |
| Oder kann es ihn gar nicht geben? Immerhin: Er plädiert nicht für | |
| Resignation, er will weiter kämpfen. | |
| Die Volksbühne war also die Tribüne „im Zentrum des Übels“ (wie auf dem | |
| Veranstaltungszettel stand). Alles offenbar Weltanschauung. Nebenan, im | |
| Karl-Liebknecht-Haus, brannte längst kein Licht mehr. | |
| 7 Oct 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kommentar-Ruecktritt-Jannis-Varoufakis/!5210406 | |
| [2] http://www.matthes-seitz-berlin.de/autor/franco-bifo-berardi.html | |
| [3] /Freihandelsabkommen-mit-USA/!5230603 | |
| [4] /Kommentar-Rede-von-Jeremy-Corbyn/!5237892 | |
| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Multitude | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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