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# taz.de -- Samstag ist Kassetten-Tag: Tape it or leave it
> Erst die Kassette machte irgendwelche Musik zur wirklich eigenen Musik.
> Zwischendurch fast vergessen, feiert sie einen Neustart, am Samstag beim
> Kassette-Tag.
Bild: Ob da ein guter alter Walkman dranhängt?
Es gibt Alltagsgegenstände, die – ganz unabsichtlich – perfekt zueinander
passen. Ein solches Paar waren der Fineliner von Stabilo und die
Musikkassette. Der sechskantige Filzstift rettete bei Bandsalat das extra
zusammengestellte Mixtape. Mit seinen Ecken passte er genau zwischen die
sechs kleinen Stifte an den Zahnrädchen in den Kassettenlöchern. Damit
konnte man die Spulen drehen, und so ließ sich das Band transportieren,
entwirren, spannen und wieder aufwickeln.
Konnte? Stimmt ja gar nicht. Der Stift passt immer noch, nur die Kassette
als Musikmedium konnte er nicht retten. In den späten neunziger Jahren
verschwand sie, auch sie wurde verdrängt von der CD. Die Stabilos waren
wieder nur noch zum Schreiben da. Und das, obwohl Kassetten ziemlich robust
sind. Selbst die Finger der kleinen Geschwister konnten die beschichteten
Plastikbänder, auf denen Töne, Geräusche und Musik elektromagnetisch
gespeichert werden, nicht so leicht zerstören.
Wasser und Staub waren eher für den Kassettenrekorder ein Problem als für
die Kassetten. Selbst wenn ein Band tatsächlich mal riss, half ein bisschen
Tesafilm.
Mit Kassetten wurde es leicht, Songs aus dem Radio aufzunehmen und seine
eigene Hitliste zusammenstellen. Dazu gehörte dann auch der Ärger, wenn die
Radiomoderatoren in die Songs reinquatschten und damit das Intro
zerstörten. Man musste sich Übergänge überlegen und wie man von einem Song
zum anderen kommt, das Tempo, die Abfolge. So wurde auf Kassetten
irgendwelche Musik zur eigenen Musik. Mit einem Mixtape konnte jeder
zeigen: Das mag ich, das bin ich, und das will ich (dir) sagen.
Als Zeitspanne hatte man dafür meist zweimal 45 Minuten, wenig überraschend
entsprach eine Kassettenseite der üblichen Länge einer LP, die man sich
aneignen und selbst gestalten durfte – und weitergeben. Die beschenkte
Person verbrachte diesen Zeitraum dann idealerweise vielleicht auch ein
bisschen damit, an einen zu denken.
Mindestens so dauerhaft wie das Medium selbst bleibt einem dann die
Reihenfolge der Songs von so einem Mixtape im Kopf. Sie liefen so durch,
wie die Freundin oder die heimlich in einen verliebte Person sie
zusammengestellt hatte. Denn einzelne Lieder ließen sich nicht so einfach
überspringen. Beim Spiel mit der Vor- und Rückspultaste traf man die kleine
Leerpause zwischen den Liedern ohnehin nie.
So folgt für mich auf Tocotronics „Unten am Kanal“ zwei Sekunden Stille,
dann setzen Slime mit „Können Schweine schwimmen“ ein, nach „Tonight,
Tonight“ von den Smashing Pumpkins höre ich den Anfang von Björks „Army of
Me“. Und genau so gehören diese Songs zusammen in meinem Musikgedächtnis,
weil sie mir in genau dieser Zusammenstellung eine Zeit lang wichtig waren
– auch wenn die Mixtapes längst in einem Umzugskarton verschwunden sind.
## Was für den Ghettoblaster
Auf Kassetten kam die Musik auch nach draußen. Für sich ganz allein, wenn
man mit dem Walkman durch die Straßen ging, für die anderen als in die Welt
geblasene Attitüde, wenn man mit einem Ghettoblaster um die Häuser zog.
Die Kassette ist ein unkompliziertes, demokratisches Medium, mit dem sich
zum Beispiel auch Tim Renner beschäftigte, Anfang der Achtziger, als der
heutige Kulturstaatssekretär sein Kassettenfanzine Festival der guten Taten
herausgab. Zur Hochzeit der Neuen Deutschen Welle, als die Kassette vom
Status her fast der Schallplatte ebenbürtig war. Eigentlich hatte damals
fast jedes Dorf ein eigenes Kassettenlabel.
Die Bedeutung der Kassette zeigte sich schon darin, dass es sie an jeder
Supermarktkasse zu kaufen gab. Bis sie dort von den bespielbaren CDs
abgelöst wurde. Immerhin überwinterte die Kassette als T-Shirt-Motiv – und
als Hörspielkassette im Kinderzimmer.
Ganz verschwunden aber ist sie nie: Leerkassetten gibt es weiterhin zu
kaufen, auch wenn man dafür nun ins Elektrofachgeschäft muss. In den
Subszenen von Punk oder Hardcore produzieren Musiker ihre Demotapes auf
Kassette.
Seit etwa fünf Jahren gibt es sogar wieder vermehrt dezidierte Tape-Labels.
Ein Dutzend solcher Labels kümmern sich in Berlin um die Kassette.
Greatberry Tapes, benannt nach der Großbeerenstraße in Kreuzberg,
überspielt ältere Alben von Jeans Team auf Kassette. TrimTabTapes, von der
Band On On On gegründet, hat auch Musik vom Folk-Thrasher Freddy Fudd
Pucker und Interviews mit Stereo Total im Programm. Späti Palace machen
Pop. Die Labels Mustard Mustache, Tape or Die und Colossus Tapes bringen
Hardcore und Punk heraus, Econore und Kitchenleg Tapes konzentrieren sich
auf Noise und Experimentelles.
Einige dieser Labels treffen sich am Samstag zum ersten deutschen
Kassettentag im Acud. Das ist dann wohl beides: Sie pflegen Nostalgie und
Erinnerungen, behaupten aber auch einen Neubeginn. Die Kassette ist
griffiger als ein Downloadcode auf Pappe und noch immer günstiger zu
produzieren als eine CD. Mit ihr kann man von einem Konzert etwas
Besonderes mit nach Hause nehmen. Oder sich wirklich noch mal daransetzen,
gegenwärtigen Weltschmerz und Lebensfreude auf einem gleichzeitig
schlichten und etwas umständlich handhabbaren Medium zu speichern.
16 Oct 2015
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Musik
Analog-Hipster
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