# taz.de -- Kultur vor Ort: Orpheus, der Geiger | |
> Das Gerhard-Marcks-Haus präsentiert „urban myth. Geschichten um Orpheus“ | |
> im Gröpelinger Atelierhaus Roter Hahn. | |
Bild: Orpheus im Gemüse | |
Bremen taz | „Geschlossen, aber nicht weg!“ steht am Baustellenzaun an der | |
Kulturmeile. Die Verantwortlichen des Gerhard-Marcks-Hauses müssen | |
improvisieren. Sie nutzen die Zeit der Umbaumaßnahmen bis Oktober 2016 und | |
geben der Stadt, was des Bildhauermuseums ist: Skulpturen. | |
Stolzgerade Haltung. Kopf leicht nach vorn geneigt. Körper antik betucht. | |
Künstlerwild wallende Haare sind aus dem Antlitz geflochten. Geigenbogen in | |
Hab-acht-Stellung, das Instrument lässig an die Schulter gelehnt. Stille | |
Konzentration? Oder schon eingenickt? Keine Leier, nirgends, als | |
Identifikationsaccessoire. Aber „Orpheus“ ist der Bronzeguss betitelt. | |
Mit diesem Wissen darf, muss, wird der Betrachter die Figur ganz anders | |
sehen – und Möglichkeiten des Unmöglichen mitdenken: die Wunder wirkende | |
Kraft der Musik. Orpheus: Symbol des Musischen, geradezu Sinnbild der | |
Kunst. Mitten in Gröpelingen. Im Atelierhaus Roter Hahn. Ein echter Marcks. | |
Wenn auch lediglich der Abguss eines kleinen Gipsmodells von 1956. Das | |
Original ist 2,50 Meter hoch. Eine der acht davon existierenden Exemplare | |
sinniert nur drei Kilometer entfernt, in der Vorhalle der BLG-Forums der | |
Überseestadt. | |
Auch wenn das Gerhard-Marcks-Haus gar nicht so sanierungsbedürftig anumutet | |
wie die Weserburg, wird das klassizistische Giebelgebäude durchrenoviert. | |
„Unzugänglich waren unsere Ausstellungen für alle, die nicht gut zu Fuß | |
sind“, erklärt Kuratorin Yvette Deseyve. Also werden fürs Siegel | |
„barrierefrei“ nun Treppen eliminiert, Absätze eingeebnet sowie ein Lift | |
eingebaut. Und wenn schon mal die Handwerker im Haus sind, sollen sie es | |
auch gleich noch energetisch aufrüsten. Deseyve: „Wie Hechtsuppe zieht es | |
durch die gläserne Rückfront zum Wall, die wird erneuert.“ Des Weiteren das | |
Obergeschoss komplett für Ausstellungen erschlossen. Und der bisher an der | |
Seite platzierte Eingang kommt historisch korrekt zurück auf die | |
Mittelachse des Baus. Als Klimaschleuse wird im Portikus ein Glasfoyer | |
hergerichtet. So dass jedem Passanten deutlich werden soll: Das ist nicht | |
nur ein Zollhaus von anno dunnemals, sondern ein schnieker Ort der modernen | |
Kunst. | |
Stolz sind die Marcksisten, all das komplett ohne Gelder der Stadt und des | |
Landes Bremen realisieren zu können. Die Waldemar-Koch-Stiftung finanziert | |
den Umbau mit zwei Millionen Euro, andere Stiftungen spendieren unter | |
anderem eine neues LED-Lichtdesign. Das von der Putzfrau bis zum Direktor | |
12-köpfige Marcks-Team wird während der Museumsschließung weiter | |
beschäftigt. Deseyve: „Wir erfassen unsere 15.000 Marcks-Grafiken. Sie | |
müssen hochauflösend abfotografiert und mit allen Informationen in eine | |
Datenbank eingepflegt werden, die nach und nach online zugänglich wird.“ | |
Außerdem schwärmen die Museumsmacher mit Marcks-Werken aus, stellen sie in | |
Böttcherstraße Kulturkirche sowie in der Bürgerschaft auf und docken an | |
Stadtteilprojekten an - vor allem dort, wo Bremen am jüngsten | |
(Altersdurchschnitt) und am ärmsten (Einkommensdurchschnitt) ist: In | |
Gröpelingen. | |
Dort bastelten Bremer Master-Studentinnen der Kulturvermittlung – wie für | |
Hollywoodstars – aus dem Abbild von Marcks‘ „Orpheus“ einen Pappaufstel… | |
Platzierten ihn im Waschsalon, Park, vor einem Imbiss, an der Weser, ließen | |
ihn auf einem Spielplatz rutschen und auch Straßenbahn fahren. Als | |
„Feldforschung“ bezeichnet Deseyve das: „Die Gröpelinger begegneten dem | |
Fremdkörper mit großer Neugier. Durch Kunst wurden so Sprechanlässe | |
kreiert.“ Und die angezettelten Plaudereien aufgezeichnet. Nachzulauschen | |
per Kopfhörer im Atelierhaus. | |
Erfrischend schlicht im Flur des Quartierzentrums Morgenland sind zudem | |
Marcks‘ Holzschnitte zur Orpheus-Sage präsentiert. Die von der Bilderfolge | |
nur rudimentär wiedergegeben wird. Weswegen die Schau „Orpheus – ein | |
Comicstrip mit Lücken“ betitelt ist. Gerahmte, weiße Bildgründe laden dazu | |
ein, mit Eding die Lücken selbst künstlerisch zu füllen - oder die | |
verglasten Originale mit Sprechblasen zu bekleben. „Deine Musik ist so | |
schön, spiel weiter“, spricht nun Eurydike. Eine Ode in | |
Krickelkrackelschrift an: Orpheus, Superstar. | |
3 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
## TAGS | |
Theater Bremen | |
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