# taz.de -- Neue Chefin der italienischen RAI: Die Hochseiljournalistin | |
> Monica Maggioni ist Präsidentin des Staatssenders. Die Journalistin ist | |
> ein bekanntes TV-Gesicht, doch der Öffentlichkeit gibt sie Rätsel auf. | |
Bild: Monica Maggioni soll den Staatssender RAI von Grund auf reformieren. | |
Rom taz | Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Rai: eine | |
Schlangengrube. Monica Maggioni: eine Ausnahmejournalistin, die in dieser | |
Schlangengrube nicht nur kometenhaft aufstieg, sondern sich darin seit 20 | |
Jahren zu behaupten weiß. Und die nun zu ihrem größten Karrieresprung | |
antritt, gewählt als „Presidente“, mit dem Plazet des Regierungschefs | |
Matteo Renzi und des Führers der Rechtsopposition, Silvio Berlusconi. | |
Überschwänglich war das Lob aus fast allen politischen Lagern, von der | |
stramm linken Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Laura Boldrini, und der | |
aus linken Gewerkschaftsreihen stammenden Vizepräsidentin des Senats, | |
Valeria Fedeli, bis zu zahlreichen Berlusconi-Gefolgsleuten. Der Tenor: | |
Endlich sei Italiens Staatsfernsehen und -rundfunk in guten, | |
professionellen Händen. | |
Nur Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung MoVimento5Stelle (M5S) hatte etwas | |
auszusetzen. Mit Maggioni sei die Unabhängigkeit der Rai „nicht | |
gewährleistet“ und, schlimmer noch, die Journalistin mit den langen roten | |
Haaren habe doch erst letztes Jahr an der Bilderberg-Konferenz | |
teilgenommen, hieß es auf Grillos Blog. | |
Die Skepsis gegenüber der neuen Chefin ist verständlich. Schließlich ist | |
Italien ein Land, in dem die Politik sich ungeniert – und ganz legal – die | |
Senderspitze des Staatsfernsehens aussucht. Das war schon immer so, seit | |
den 50er Jahren, als die Rai christdemokratisches Fernsehen im Sinne Giulio | |
Andreottis ausstrahlte. Spätestens 2004, mit Silvio Berlusconis | |
Mediengesetz, wurde die Vorherrschaft der Politik übers Staatsfernsehen in | |
eherne Form gegossen. | |
## Reporterin in Kriegsgebieten | |
In anderen Demokratien mögen die Bürger daran glauben, dass die Medien als | |
„vierte Gewalt“ die Politik kontrollieren – in Italien eher nicht. Dort i… | |
es andersherum, dort gibt es einen parlamentarischen Kontrollausschuss, der | |
über die Rai wacht, der sieben ihrer neun Verwaltungsräte wählt, strikt | |
nach Proporz, der dann mit Zweidrittelmehrheit den von der Regierung | |
vorgeschlagenen „Presidente“ absegnen muss. Monica Maggioni schaffte die | |
Hürde ohne Probleme. 29 der 40 Ausschussmitglieder stimmten mit Ja, 5 | |
enthielten sich, nur 4 votierten gegen sie. | |
Ihre Karriere begann Maggioni bei Euronews, 1996 dann kam sie zur Rai – und | |
überholte viele KollegInnen im Sprint. 1997 schon wurde sie zur Moderatorin | |
des Wochenmagazins der Ersten Welle berufen, von 2000 an verfolgte sie in | |
Israel die zweite Intifada, richtig bekannt wurde sie dann Anfang 2003. Als | |
der Irakkrieg losging, schaffte sie es – als einzige italienische | |
Journalistin – „embedded“ den Vorzug der US-Truppen auf Bagdad zu | |
begleiten. Wie das bei „eingebetteten“ Journalisten so ist, war der | |
Informationsgehalt ihrer Beiträge eher gering, doch jeden Abend stand sie | |
in Khaki bei Sandsturm vor der Kamera, sagte ihr Stück auf, sorgte dafür, | |
dass sich ihr Gesicht Millionen Italienern einprägte. | |
Böse Zungen lästern, ihren Erfolg habe sie ihren hervorragenden US-Kontaken | |
zu verdanken, schließlich wirkt sie seit Jahren in der „Stiftung Italien – | |
USA“ mit, die die Freundschaft zwischen beiden Ländern zu vertiefen sucht. | |
Doch Maggioni vermied es dabei immer, sich als Bush-Fanatikerin zu | |
positionieren. Ihre Devise: „Des einen Freund, ohne des anderen Feind | |
sein.“ 2007 wurde sie Anchorwoman der Rai1-Nachrichten um 20 Uhr – | |
gleichsam der Ritterschlag –, 2008 ging sie in die USA, um den | |
Obama-Wahlkampf zu verfolgen, mit dem Ergebnis, dass sie 2009 zur Chefin | |
der Rai1-Auslandsredaktion berufen wurde. | |
Wichtige Etappen ihres Aufstiegs fallen in jene Jahre – von 1996 bis 2001, | |
dann wieder 2006 bis 2008 –, in denen die Linke das Land (und die Rai) | |
regierte, doch zugleich setzte sich ihre Karriere ungebrochen fort, wann | |
immer Berlusconi, im Land genauso wie im Staatssender, an der Macht war. | |
## Links, ohne rechts anzuecken | |
Womöglich war es das wahre Talent Monica Maggionis, dass sie es schaffte, | |
auf einem linken Ticket zu reisen, ohne rechts anzuecken. Im Dezember 2012 | |
durfte sie, mit dem Einverständnis beider Konkurrenten, auf Rai1 die | |
Debatte zwischen Pierluigi Bersani, damals Parteichef der linken Partito | |
Democratico (PD), und seinem Herausforderer, dem jungen ungestümen Matteo | |
Renzi, im Vorwahlkampf um die Spitzenkandidatur der PD bei den 2013 | |
anstehenden Parlamentswahlen moderieren. 6,5 Millionen Italiener schalteten | |
ein, Kritiker lobten Maggionis „völlig unparteiischen“, geradezu | |
angelsächsischen Moderationsstil. | |
Schließlich kommt die Frau von links. Compagnissima, stramme Genossin, sei | |
sie früher gewesen, kein Wunder, ihr Vater war als Pirelli-Arbeiter | |
jahrzehntelang gewerkschaftlich aktiv. Eine Vergangenheit, die Maggioni | |
auch heute nicht verleugnet. Zugleich zeigt sie sich flexibler. | |
Als der stramme Berlusconi-Mann Augusto Minzolini, seinerzeit Chefredakteur | |
von „Telegiornale“, Italiens wichtigster Nachrichtensendung auf Rai1, von | |
Dutzenden KollegInnen wegen seiner tendenziösen Berichterstattung 2010 zum | |
Rücktritt aufgefordert wurde, unterzeichnete Maggioni zusammen mit 100 | |
anderen KollegInnen eine Solidaritätserklärung für den rechten Chef. | |
## Radikale Reformen | |
Servil wurde sie darüber dennoch nicht. Anfang 2013 zur Chefin des | |
Newschannel Rainews24 aufgestiegen, interviewte sie im Wahlkampf jenen | |
Jahres Silvio Berlusconi. Am Ende giftete dieser nach Maggionis Dankeschön, | |
er seinerseits können ihr „nicht danken, weil Sie mich nicht die Sachen | |
haben sagen lassen, die ich sagen wollte“. Ihrer Karriere tat das keinen | |
Abbruch. Zu geübt ist Maggioni auf dem Hochseil. | |
Doch jetzt soll sie, als Präsidentin des Verwaltungsrats, gemeinsam mit dem | |
Generaldirektor (der etwa dem deutschen Sender-Intendanten entspricht) die | |
Rai radikal reformieren. Schon die jetzt ausscheidende Spitze der Rai hat | |
die Reform angeschoben: Statt der drei Nachrichtenredaktionen für die drei | |
Rai-Vollprogramme plus der Redaktion von Rainews, die insgesamt 1.500 | |
Journalisten beschäftigen, soll es nur noch zwei „Newsrooms“ geben, die f�… | |
mehrere Wellen arbeiten. Auch so soll der Einfluss der Parteien auf den | |
Sender – jedes politische Lager durfte bisher eine Redaktion kontrollieren | |
– zurückgedrängt werden. | |
Wahrscheinlich aber steigt Maonica Maggioni wieder aufs Hochseil. Als sie | |
vor einigen Monaten vom Parlamentarischen Rai-Kontrollausschuss zur | |
Senderreform angehört wurde, gab sie jedenfalls preis, „ihre Reform“ sei | |
das nicht – und legte nach, sie sei dennoch dafür, denn „wenigstens bewegt | |
sich etwas“. | |
22 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Italien | |
Silvio Berlusconi | |
Journalismus | |
Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Italienische TV-Serien: Schatten am blauen Himmel | |
Aus Italien kommen im Moment die interessantesten TV-Serien. Mit | |
Geschichten, die unbequem und aufregend sind. Eine davon ist „1992“. | |
Erzwungener Senderwechsel Savianos: Exil im Privatfernsehen | |
Noch immer reicht Berlusconis Macht, um Roberto Saviano aus der RAI zu | |
kegeln. Das sagt nichts über die Publikumsgunst, viel aber über die | |
TV-Landschaft Italiens aus. | |
Das Ende der Ära Berlusconi: Politik als Dauerwerbesendung | |
Zweiklassenjustiz, Klientelpolitik, Medienmonopol – das Erbe des Cavaliere. | |
Was für ein Land hinterlässt Silvio Berlusconi nach beinahe 20 Jahren an | |
der Macht? |