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# taz.de -- Halb-lustiger Klo-Film: Hinter abschließbaren Türen
> Satire schwankender Qualität: Ab heute läuft der Episodenfilm „Toilet
> Stories“ von den Oldenburger Filmemachern Sören Hüper und Christian
> Prettin.
Bild: Lebemann Manfred Kasunke (Rudolf Waldemar Brem) zeigt versteckte Talente.
Ganz falsch liegen die Regisseure nicht: Als „Kammerspiel“ verstehen Sören
Hüper und Christian Prettin ihren Film, definiert als „Schauspiel im
intimen Rahmen“. Bloß zeigen die beiden nicht, was in Schlafgemächern
passiert, sondern – in Toiletten. Abgesehen vom Prolog, in dem auffällig
viel gegessen wird, und einem Epilog haben die beiden den Film komplett in
(nachgebauten) Klos gedreht.
Dabei dient das Örtchen auch als Metapher: Dort kommen unschöne Dinge ans
Licht. „Fehlentwicklungen der Gesellschaft“ wollen Hüper und Prettin
satirisch darstellen, und das in fünf Episoden, die erst im Nachspiel
zusammengeführt werden, ein wenig bemüht allerdings. In den fünf Kurzdramen
geht es um Selbstjustiz, Gewaltexzesse, Altenpflege, Insolvenzbetrug,
Doping. Gerade da, wo die satirische Überhöhung am schwächsten ausfällt,
funktioniert der Film am besten.
Der Leistungsschwimmerin Loni etwa, die so mit illegalen Medikamenten
vollgepumpt ist, dass heftiger Ausschlag auf ihrem Gesicht sprießt, droht
eine Doping-Kontrolle. Und die Gegenmaßnahmen, die der gewiefte
Mannschaftsarzt in der Toilette des Schwimmbads an ihr vornimmt, dürften
tatsächlich so ähnlich auch praktiziert werden: das Einführen eines mit
Fremdurin gefüllten Analkatheders. Dass der Mediziner, während seine
Patientin vor der Kloschüssel gebückt leidet, seelenruhig seinen
Filterkaffee trinkt, ist eines von den bösen und mit gutem Timing gesetzten
Details, die absichtsvoll die Ekelgrenze überschreiten.
Enttäuschend harmlos ist dagegen die Episode, die auf einer Damentoilette
bei einer Charity-Veranstaltung spielt: Dorkas Kiefer gibt eine reiche
Zicke, die im Gespräch mit einer alten Schulfreundin ein zynisches, äußerst
egozentrisches Weltbild offenbart. Hier ist die Toilette kaum mehr als eine
austauschbare Kulisse.
Auf der Mitarbeitertoilette eines Baumarkts wird ein junger Verkäufer
ungewollt zum Seelsorger, als in der Nebenkabine ein Fremder unbedingt eine
Beichte ablegen will. Dieser Monolog folgt einer effektiven
Steigerungsdramaturgie und handelt davon, wie sich der Vater eines
Mordopfers am vermeintlichen Täter rächt. Auch wenn die Pointe ein wenig
vorhersehbar ist, liefert sie die vielleicht einzige idyllische Szene des
ganzen Films und einen der gut gesetzten Widerhaken von „Toilet Stories“.
Es gibt darin keinen echten Sympathieträger, und so hält sich auch das
Mitleid mit der Rentnerin in Grenzen, deren Mann einen schweren
Schlaganfall hatte, und der ein Vertreter ein behindertengerechtes WC
aufschwatzen will, für das sie ihr Sparbuch plündern soll. Die Frau wird
als Pfennigfuchserin eingeführt, und die Regisseur spekulieren erkennbar
auf die Schadenfreude des Publikums, wenn sie, plötzlich sehr naiv, alles
unterschreibt, was der ölige Verkäufer ihr unter die Nase hält.
Ähnlich zwiespältig ist die Figurenzeichnung im vielleicht provokantesten
Teil des Films: In einer dreckigen öffentlichen Toilette wird da ein
älterer Mann von zwei jungen Gewalttätern angegriffen. Rudolf Waldemar Brem
spielt das vermeintliche Opfer als Lebemann, der aufsteht, als wäre nichts
geschehen, sich vor dem Spiegel herrichtet und – noch so ein Detail – an
der Rose in seinem Knopfloch schnuppert. Danach greift er die beiden Täter
an, fesselt sie und beginnt sie seinerseits zu foltern: Als ehemaliger
Fremdenlegionär ist er darin Profi und ein Sadist, der seine Quälereien als
„Haute Cuisine“ bezeichnet – verglichen mit dem „Fastfood“ der beiden
jugendlichen Angreifer.
Hüper und Prettin sind hier sehr drastisch, verunsichern aber vor allem
dadurch, dass die Rollen von Täter und Opfer gänzlich verschwimmen. „Satire
muss wehtun“, sagt Hüper. Aber werden die Zuschauer hier nicht vor allem zu
Voyeuren eines Gewaltexzesses?
Für die beiden Regisseure, in Oldenburg geboren, ist „Toilet Stories“ das
Spielfilmdebüt. Beide hatten mit dem Kurzfilm „Die Klärung eines
Sachverhalts“ über einen jungen Bürger der DDR, der von einem
Stasi-Offizier verhört wird, eine mehrfach ausgezeichnete Talentprobe
abgeliefert. Darin zeigten sie auch schon ihre Vorliebe für enge,
klaustrophobisch wirkende Drehorte. Ihr Debüt wollten sie nun völlig
unabhängig verwirklichen, also ohne die sonst üblichen Fördergelder. So
arbeiteten Schauspieler und Crew „auf Rückstellung“, werden also erst
ausgezahlt, wenn der Film an den Kinokassen Erfolg hat. Das Budget betrug
schmale 35.000 Euro, für die Nachproduktion wurden per Crowdfunding noch
mal 8.000 Euro gesammelt.
Bei der Premiere im Hamburger Abaton-Kino gab es viel Beifall, aber es
meldete sich auch eine Zuschauerin zu Wort mit einem in der Wortwahl
perfekten Kommentar: „Ich bin absolut scheiße draufgekommen!“
13 Aug 2015
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Filmemacher
Episodenfilm
Alten- und Pflegeheime
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Blog
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