# taz.de -- Alternative Stadtplanung: Die Verknüpfung der Elemente | |
> Ein anderes Wohnen und Arbeiten: Auf dem Gelände einer ehemaligen | |
> Schiffswerft in Amsterdam ist ein Experimentierfeld entstanden. | |
Bild: Das Café de Ceuvel nutzt eine ehemalige Rettungsschwimmerstation für de… | |
Amsterdam taz | Da ruhen sie, die siebzehn alten Hausboote, die mit | |
Fantasie und moderner Technik aufgemöbelt wurden. Teilweise skurril | |
verbaute Schiffe, die in einem See aus Grün da liegen. Verbunden durch | |
einen Steg, der in 80 Zentimeter Höhe durch wildes Pflanzenreich führt. | |
Heute sind das Ateliers, Büros, Werkstätten und Tagungsräume. | |
Auf dem Steg, mit Blick auf das Wasser eines Kanals, steht ein der Länge | |
nach durchgesägtes kleines Boot, das als Sitzbank dient. Auf einem | |
Holzschild steht dort: „küssen“. | |
Willkommen auf dem Cleantech Spielplatz De Ceuvel. So nennen junge | |
Pioniere, die meisten Anfang 30, ihren Brutplatz für Experimente. Sascha | |
Glasl vom Architekturbüro space&matter, ist einer davon. | |
„Im Kern geht es hier um alternative Stadtentwicklung“, erklärt Glasl, | |
Jahrgang 1977, kurzes Haar, blaues T-Shirt. „Es geht darum, für relativ | |
wenig Geld ein so nachhaltiges Projekt wie möglich zu realisieren, an dem | |
sehr viele Leute mitwirken und das mittlerweile einen Spin-off-Effekt für | |
das ganze Gebiet hat.“ | |
## Verunreinigtes Gelände | |
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Die Finanzkrise ab 2008 brachte in | |
Amsterdam-Noord einen Stadtentwicklungsplan zum Stillstand. Es war ein | |
Masterplan für das Gebiet am Nordufer des IJ, also des Flussufers, das der | |
historischen Innenstadt gegenüber liegt. | |
Auf der im Jahr 2000 stillgelegten Schiffswerft Ceuvel-Volharding tat sich | |
eh nichts mehr. 4.600 Quadratkilometer ist das Terrain groß. 2012 schrieb | |
die Stadt Amsterdam kurzerhand einen Wettbewerb aus, der ein | |
Sanierungskonzept für das mit Schwermetallen und Ölen verunreinigte | |
Werftgelände verlangte. Auch ein tragfähiger Geschäftsplan sollte her, | |
einschließlich der zukünftigen Mieter für die vorgesehenen tausend | |
Quadratmeter Atelierfläche. Garantiert wurde im Gegenzug eine | |
Zwischennutzung von zehn Jahren. | |
Es meldeten sich schließlich nur „zwei leicht wahnsinnige Gruppen“, | |
berichtet Glasl mit trockenem Humor. Weil die Aufgabe komplex war, bildeten | |
er und seine Mitarbeiter ein Team mit weiteren Architekten. Hinzu kamen der | |
belgische Landschaftsarchitekt Steven Delva, ein Fachmann für | |
Bodensanierung mittels Einsatz von Pflanzen, sowie später die Firma | |
Metabolic, spezialisiert auf Nachhaltigkeit und saubere Technologie. | |
## Die Idee mit den alten Hausbooten | |
Zusammen brüteten sie die Ceuvel-Idee aus. Glasl, ein Deutscher, den es | |
nach dem Studium ins Nachbarland zog, hat die Elemente verknüpft. | |
„Ich hatte den Einfall mit den Booten“, erzählt er gutgelaunt. „Wir müs… | |
ja mobil sein, deshalb nutzen wir Boote. Unsere Infrastruktur ist unter dem | |
Steg angelegt und autark von der Stadtversorgung. So können wir in zehn | |
Jahren die Boote einfach wieder wegnehmen und das Projekt irgendwo anders | |
wiederholen.“ | |
Ein kluger Schachzug. „Jeweils ein Euro haben die Boote gekostet, sie waren | |
problemlos zu bekommen: via Marktplaats“ – einer Internetbörse. | |
Space&matter nutzt ein Boot als Tagungsraum. Durch eine hohe Glasfront ist | |
der zentrale Platz zu sehen, wo reges Treiben herrscht. „Die ehemaligen | |
Besitzer waren froh, die Hausboote loszuwerden“, berichtet Glasl. Sie | |
verschrotten zu lassen, kostet viel Geld. Auch Mieter und engagierte | |
Mitstreiter für den Ausbau der Ateliers fanden sich im Nu. „Innerhalb von 2 | |
Wochen hatten wir die tausend Quadratmeter vermietet.“ | |
## So nachhaltig und günstig wie möglich | |
Das wiederum ist kein Wunder angesichts der Mietpreise in Amsterdam. Nur | |
400 Euro Miete pro Monat kostet laut Glasl ein Atelier. Künstler, sozial | |
engagierte Selbständige, die Architekten haben die Arbeitsräume gemietet. | |
Sie haben viel Zeit investiert, um die Ateliers flott zu machen. „Die Boote | |
mussten isoliert werden. Damit haben wir Firmen beauftragt“, erzählt Glasl, | |
„ebenso für den Einbau der erforderlichen Installationen.“ | |
Solartechnik wandelt hier Sonnenenergie in Wärme und Strom um. Regenwasser | |
wird aufgefangen, gefiltert und als Trinkwasser benutzt. Abwasser reinigen | |
Biofilter. Zudem benutzen die Leute Komposttoiletten. Über einen Zeitraum | |
von zehn Jahren wird ein Kredit von 200.000 Euro durch die Mieteinnahmen | |
getilgt. Und die kommunale Förderung von 250 Euro pro Quadratmeter | |
Arbeitsraum, immerhin 250.000 Euro, braucht De Ceuvel nicht zurückzahlen. | |
Zwei Jahre hat die Truppe emsig gewerkelt, viele Freiwillige halfen. | |
„Menschen mit viel Erfahrung, mit einem enormen Wissen, auch darauf konnten | |
wir bauen“, resümiert Glasl und seine Augen leuchten. | |
„Es herrschte eine wahre Goldgräberstimmung. Viele Leute hatten den Ehrgeiz | |
zu beweisen, wie etwas nachhaltig sein kann, ohne viel Geld auszugeben.“ | |
Jenen Tag im Dezember 2013, als die Boote auf ihren Platz gehievt wurden, | |
hat der Architekt als „magisch“ in Erinnerung. | |
Die Natur hilft hier auch mit: verschiedene Gräser, Fingerhut, Klee, | |
Tausendblatt, Weidenröschen, Weiden, die Pappeln – sie wachsen hier und | |
reinigen den Boden. Glasl unterstreicht, dass die Methode funktioniert. Die | |
Universität Gent in Belgien untersucht und begleitet den Prozess. | |
## Im Café | |
De Ceuvel ist heute ein hipper Ort, mit vielen Besuchern auch aus dem | |
Ausland. „Jung, alt, chic, reich, arm – alle kommen sie hier her. Als | |
einmal ein Minister zu Besuch war, schwammen Gäste nackt im Wasser. Jeder | |
unterhält sich hier mit jedem. Das ist fantastisch.“ Glasl schaut zufrieden | |
auf den Vorplatz hinaus. | |
An diesem Tag läuft niemand nackt herum. Teenager in Badehosen springen ins | |
kühle Nass. Im schwimmenden Garten wachsen Rote Bete, Sellerie, Kohl, | |
diverse Salatsorten, Kräuter. Vis à vis verfällt eine riesige Halle. Auf | |
der Terrasse vom Café De Ceuvel sitzen Kristina Mirova und George Dechev. | |
Sie wohnt am anderen Ufer, er zur Zeit in Berlin. Beide sind Filmemacher, | |
stammen aus Bulgarien und sind heute zum ersten Mal hier. | |
„Ich bin schon öfter vorbei geradelt, ich wollte endlich mal schauen, was | |
hier los ist“, erzählt Mirova, bildschön, elegant mit Hut. De Ceuvel | |
erinnert Dechev an Berliner Zwischennutzungen. Die Methode hat sich in den | |
Niederlanden wie ein Virus verbreitet, nicht nur in Amsterdam, sondern in | |
vielen niederländischen Städten. | |
Rau, kreativ, fantasievoll: Café De Ceuvel ist eine ehemalige | |
Rettungsschwimmer-Station, die früher am Strand von Scheveningen stand. Als | |
tragende Säulen für einen Anbau dienen 80 Jahre alte, massive Anlegepfähle | |
aus dem Amsterdamer Hafen. | |
## Kreisläufe schließen | |
Upcycling nennt sich das. „Das Café ist gebaut aus Restmaterialen“, erklä… | |
Esmee Jishoot. Die 24-Jährige betreibt das Café mit zwei Freunden. Die | |
Fenster stammen aus einer alten Fabrik in Rotterdam, der Fußboden lag mal | |
in einer Schule. „Die Lampen hier, das sind alte Limonadenflaschen“, | |
erzählt sie. Mit LED-Licht betrieben leuchten sie nun Gästen und Kellnern | |
den Weg. | |
„Wir versuchen so gut wie möglich, Kreisläufe zu schließen“, sagt Jishoo… | |
„Wir haben ein wasserloses WC, fangen Urin auf und filtern den Phosphor | |
heraus. Phosphor wird weltweit knapper. Wir düngen damit den schwimmenden | |
Garten.“ Die Café-Betreiber arbeiten bevorzugt mit lokalen Erzeugnissen, | |
die in biologischen Gärten in Amsterdam angebaut werden. | |
„Wir verkaufen keine Fanta oder Cola. Wir zapfen Amsterdamer Leitungswasser | |
und geben CO2 hinzu. In der Nähe stellt jemand Fliederbeeren- und | |
Rhabarberlimonade her und bringt das Konzentrat per „Bakfiets“ hierher. | |
Unsere Limonade ist ein schönes Beispiel“, sagt Jishoot überzeugt. „Wir | |
sind stolz darauf!“ Das größte Problem sei der Fleischverzehr. „Wir | |
servieren kein Fleisch, sondern ersetzen es durch Pilze. So schauen wir | |
überall, wie wir alternative Lösungen finden können.“ | |
## Crowdfunding für Biogasboot | |
Aktuell sind die jungen Selbständigen vom Café De Ceuvel mit einer | |
Crowdfunding-Kampagne für ein Biogasboot beschäftigt. Die Küchenabfälle | |
sollen auf dem Boot gesammelt werden, durch eine bakterielle Reaktion, | |
einen Gärprozess, werde dann Methan-Gas erzeugt. „Kochen auf eigenem | |
Abfall, damit hätten wir noch ein Kreislauf geschlossen“, sagt Jishoot. | |
Was sie antreibt? Ernährung, Umwelt, der eigene Einfluss auf den Lauf der | |
Dinge beschäftigt die Pionierin schon ihr Leben lang. Sie ist aufgewachsen | |
in einer Gemeinschaft mit einem großen Permakultur-Garten. „Ich bin es | |
gewohnt, aus dem eigenen Garten zu essen.“ In positiver Weise aufzeigen, | |
dass Dinge anders gelöst werden können, lautet ihre Mission. | |
„Die größte Herausforderung ist jetzt die Klimaveränderung. Wir müssen | |
überlegen, wie wir das gemeinsam lösen können.“ Und mit diesem „wir“, … | |
Esmee Jishoot jetzt nicht De Ceuvel, sondern Menschen rund um den Globus. | |
Dann steht sie auf, umarmt den Gast einfach, drückt ihm einen Kuss auf die | |
Wange und wirbelt davon. | |
23 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Gunda Schwantje | |
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