# taz.de -- Klimawandel in der Architektur: "Glas ist nicht per se schlecht" | |
> Auf alte Bautraditionen zurückzugreifen ist richtig - reicht aber nicht, | |
> so der Architekt Stefan Behnisch. Häuser werden ihr Erscheinungsbild | |
> künftig den Jahreszeiten anpassen. | |
Bild: "Glas erreicht mittlerweile gute Dämmwerte", sagt Stefan Behnisch. | |
taz: Herr Behnisch, werden wir bei Wohnungsanzeigen künftig statt nach | |
"sonnendurchfluteten, hellen Räumen" nach "dunklen, kühlen Wohnungen" | |
suchen? | |
Stefan Behnisch: Das glaube ich nicht, auch wenn wir in einigen Regionen | |
extremere Sommer bekommen. | |
Wie werden wir dann wohnen, um mit dem Klimawandel zurechtzukommen? Wie im | |
Süden hinter weiß getünchten Mauern? | |
Vergessen Sie nicht, dass auch extremere Winter kommen werden. Aber | |
sicherlich müssen wir hellere Dächer machen, damit sich die Wohnungen nicht | |
so stark aufheizen. Auch rund um die Häuser brauchen wir helle Beläge statt | |
dunklem Asphalt. Zudem werden wir die Häuser im Sommer kühlen. | |
Durch Brunnen im Innenhof? | |
Eher durch solare Kühlsysteme. Das Sonnenlicht, das wir auf dem Dach | |
einfangen, können wir mittlerweile in Strom, Wärme oder Kälte umwandeln - | |
je nachdem, was wir gerade brauchen. | |
Dann muss ich im Winter nicht mit zwei dicken Pullovern in meiner Wohnung | |
sitzen? | |
Keine Sorge, unsere Häuser werden wandelfähig sein. Im Sommer werden die | |
Fassaden sehr hell und geschlossen sein, um die Hitze abzuschirmen. Im | |
Winter hingegen sollten sie dunkel und offener sein, um Tageslicht | |
reinzulassen sowie Sonnenwärme zu absorbieren und zu nutzen. | |
Wie ändert sich die Fassade? | |
In Ihrem Haus schieben Sie wie früher einfach die Läden vor. Bei | |
Verwaltungsgebäuden oder größeren Wohnhäusern wird das elektronisch | |
gesteuert. Da werden dann vor der ganzen Fassade Falt- oder Schiebeläden | |
aufgehängt, die sich gesteuert öffnen und schließen. So erscheinen sie je | |
nach Außenbedingungen wie fensterreiche oder wie eher geschlossene Gebäude. | |
Müssen wir Windräder hinsetzen, um genug Energie für diese Kühltechnik zu | |
haben? | |
Windräder auf Stadthäusern haben kaum Zukunft. Die Effizienz ist in Städten | |
zu gering. Sie machen Lärm, bringen Vibrationen. Wir werden die Sonne | |
nutzen, und zwar viel besser und effizienter, als wir uns heute vorstellen | |
können. | |
Jedes alte Haus hat dicke Außenwände, in Nordeuropa, am Mittelmeer, im | |
Orient. Warum besinnen sich Architekten nicht auf Bautraditionen? | |
Wir bauen wie im Mittelalter - und dann ist die Welt wieder in Ordnung? | |
Zum Beispiel. | |
Nein, das reicht nicht. Die dicken Außenwände sind richtig im Sommer, im | |
Winter sind sie es aber nicht. Wer kleine Fenster hat, braucht viel | |
Kunstlicht. Das ist das, was Prinz Charles immer einfordert, das geht aber | |
nicht so einfach. Außerdem hatte das Mittelalter Stein, Holz, Lehm und | |
Mörtel als Baumaterialien. Das schränkte die Möglichkeiten ein. Wir haben | |
heute eine viel größere Auswahl an Werkstoffen, auch an besseren. | |
Prinz Charles ärgert Sie doch nur, weil er den Architekturkritiker gibt und | |
sich gegen diese Glasbauten stemmt, die überall auf der Welt gleich | |
aussehen. | |
In der Vergangenheit sind Fehler gemacht worden. Architekten haben gedacht, | |
dass sie die Natur überwinden und Probleme durch Energie kompensieren | |
können. Das lag daran, dass Energie zu billig war. Ich gebe Prinz Charles | |
ja durchaus recht, dass wir wieder zu einem Bauen zurückkommen müssen, das | |
sich an den klimatischen und kulturellen Bedingungen der jeweiligen | |
Regionen orientiert. | |
Aber? | |
Das darf natürlich nicht zu einem stupiden Neokonservatismus in Kunst und | |
Architektur führen, wie die Gruppe um Prinz Charles ihn fordert. Glas wird | |
immer als Feind betrachtet. Es ist aber nicht per se schlecht. Die meiste | |
Wärme in Wohnungen oder Büros kommt von Computern, Druckern oder | |
Beleuchtung. Glas erreicht mittlerweile gute Dämmwerte, zumal wenn es mit | |
einem Sonnenschutz kombiniert wird. Und nur wer Glas nutzt, erreicht, dass | |
80 Prozent der Arbeitszeit bei Tageslicht stattfinden kann. | |
Klimaforscher warnen schon seit Jahrzehnten. Warum machen sich Architekten | |
erst jetzt klar, dass es heißer wird? | |
Ich will nicht unbedingt meinen Berufsstand in Schutz nehmen, aber es ist | |
schon eine geteilte Verantwortung. Die Spekulationsblase hat ein | |
Riesenproblem verursacht. Bauherren haben plötzlich nicht mehr für sich | |
selbst gebaut, sie wollten nur schnell wieder verkaufen. Denen war es | |
gleichgültig, wie viel Energie verbraten wird. Aber ich gebe zu, dass viele | |
Architekten auch die Augen verschlossen haben. Nur wenige beschäftigen sich | |
schon länger mit diesen Herausforderungen. | |
Hängt es damit zusammen, dass Architekten nur mit Solitärbauten berühmt | |
werden? | |
Das stimmt für unser Büro nur bedingt, denn einige unserer bekanntesten | |
Gebäude waren nachhaltige Pilotprojekte, die auch als solche gelten. | |
Sie haben das Ozeaneum in Stralsund gebaut, das nicht als besonders | |
effizient gilt. | |
Ein Aquarium ist per se nicht energieeffizient. Das Ozeaneum kommt aber | |
immerhin ohne Klimaanlage aus. In einem Aquarium muss man jedoch immer mit | |
Riesenpumpen Wasser aufbereiten. Da hat die Effizienz Grenzen. | |
Können wir uns die großen allein stehenden Bauten noch leisten? | |
Es kommt darauf an, wie wir sie bautechnisch machen. Das geht schon. Aber | |
schon weil wir einen Trend zur Reurbanisierung haben, wird der | |
Geschosswohnungsbau zurückkommen. Immer mehr Menschen wollen in die Städte. | |
Sie wollen wohnen, arbeiten, sich erholen, ihre Kinder erziehen, ohne dafür | |
lange Wege zurücklegen zu müssen. Sie wollen im Quartier leben. Am | |
effizientesten ist das Hochhaus mit 18 Geschossen. Alles, was höher geht, | |
braucht schon wieder zu viele Fahrstühle, zu viel Infrastruktur, zu viel | |
unsinnige Kernfläche. | |
Architekten wollen bauen, aber müssten sie nicht eher umbauen? | |
Die Bedürfnisse verändern sich, wir haben einen Zuwachs in der Bevölkerung. | |
Und mehr Platzanspruch. Außerdem sind viele alte Bauten nicht mehr nutzbar. | |
Also können und müssen wir weiter neu bauen. Aber natürlich müssen wir auch | |
die vorhandenen Gebäude energieeffizienter, umweltgerechter, lebenswerter | |
machen. | |
Wie? | |
Wir hatten hier in Stuttgart eine Anfrage von einer Bank. Die hat ein | |
Gebäude, das von meinem Vater in den Sechzigerjahren gebaut wurde: | |
vollklimatisiert, geschlossene Fassade. Sie kamen auf uns zu und sagten: | |
Passt auf, wir wollen ein Gebäude, das ähnlich aussieht. Aber wir wollen | |
keine Lüftung, keine Klimaanlage, gar nichts. Mancher Mitarbeiter klagt in | |
vollklimatisierten Räumen über Kopfschmerzen. Kriegt Ihr das hin? | |
Und was haben Sie gesagt? | |
Das kann ich euch machen. Aber ich kann nicht garantieren, dass Euer | |
Gebäude innen 26 Grad hat, wenn es draußen 35 sind. | |
Woher nehmen Sie Ihre Ideen? | |
Studieren Sie mal ein Schwarzwälder Bauernhaus. Der Dachüberstand | |
verschattet die Fenster in der Fassade, damit die hohe Sonne im Sommer | |
nicht so reinscheint. Das Wissen in Europa ist da. 80 Prozent sind gesunder | |
Menschenverstand. | |
Und der Rest? | |
Für den Neubau des Instituts für Forst- und Naturforschung im | |
niederländischen Wageningen haben wir zum Beispiel untersucht, wie die Oase | |
in Arabien funktioniert. Die haben Wasser, Bäume, Schatten und immer einen | |
leichten Wind. Also haben wir im inneren Atrium einen Teich mit Grün drum | |
herum angelegt und für eine anständige Querlüftung gesorgt. Plötzlich | |
hatten wir den Oaseneffekt. | |
Aber teurer? | |
Im Gegenteil. Man muss nur mehr gedankliche Energie investieren. In Bayern | |
haben wir zum Beispiel geplant, mit einer Wäscherei einen Vertrag zu | |
schließen, damit das Rathaus nebenan mit ihrer Abwärme gekühlt und beheizt | |
werden kann. | |
Nehmen Sie Abstriche bei der Ästhetik in Kauf? | |
Wenn ich mit einem fetten Stift die geniale Skizze male, die sogenannte | |
Stararchitektur mache, dann wird es schwierig. Denn dann muss ich | |
nachträglich Kompromisse eingehen - für das Wohlbefinden der Nutzer. Aber | |
wenn ich dies von vornherein bedenke, Architektur inhaltlich entwickle, | |
dann begegnet mir das Problem nicht. | |
Wie sehen 2030 unsere Häuser aus? | |
Die Häuser werden je nach Jahreszeit, Wetter und Tageszeit unterschiedlich | |
in Erscheinung treten. Wandlungsfähige Materialien und Konstruktionen | |
werden Häuser ähnlich wie in der Natur adaptiv machen. | |
Reicht die neue Architektur oder werden wir unser Leben ändern müssen? | |
Wir werden vielleicht ein südlicheres Leben führen, eine längere | |
Sommerpause haben. Und wir werden unseren Tagesrhythmus ändern, zum | |
Beispiel um sechs in der Frühe anfangen zu arbeiten, dann vier Stunden | |
Mittagspause machen und nachmittags nochmal drei oder vier Stunden | |
arbeiten. Ähnlich wie in den mediterranen Ländern, weshalb auch nicht. | |
Egal, wie gut und komfortabel unsere Häuser sind, im Freien sind wir nach | |
wie vor der Natur ausgesetzt. | |
6 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
## TAGS | |
Amsterdam | |
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