Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anpassung: Was schwimmt, bleibt oben
> Statt zu versuchen, den Klimawandel aufzuhalten, stellen sich die
> Niederlande lieber darauf ein. Schwimmende Behausungen sind dort längst
> Realität.
Bild: Häuser, die schwimmen, wenn das Wasser steigt: Im niederländischen Maas…
HAMBURG taz | „Wir müssen uns trauen, in großen Dimensionen zu denken, denn
die Fragen, vor denen wir stehen, sind auch groß.“ So wandte sich der
damalige niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende im Jahr 2008
auf einer Wassermanagement-Konferenz ans Publikum. Balkenende, eher
Realpolitiker denn ein Verfechter visionärer Konzepte, berief sich auf die
weltweite Reputation, die sich die Niederlande mit ihren Deichen, Poldern
und dem epochalen Sturmflutschutz-System namens „Deltawerke“ erworben
haben: „Groß zu denken, hat uns Vieles gebracht und auch wirtschaftlich
nicht geschadet.“
Der Aufruf fand durchaus Gehör. In jener Zeit nämlich geisterte ein Projekt
namens „Tulpeninsel“ durch die internationalen Medien: eine künstliche, vor
der Küste aufgeschüttete Insel aus Sand, PR-wirksam in der Form einer
Tulpe, die dem Küstenschutz sowie der Energiegewinnung dienen und dazu noch
die dichte Besiedlung im Westen des Landes entzerren könnte. Kurz zuvor
hatte ein niederländisches Unternehmen, der Bagger-Gigant Van Oord aus
Rotterdam, die „Palmeninseln“ vor Dubai angelegt. Die Tulpeninsel hätte da
ganz im Sinne des Ex- Premiers als Symbol einheimischer Wasserexpertise
stehen können.
Vielleicht spricht es für diese Expertise, gelegentlich auch von
vermeintlichen innovativen Meilensteinen abzulassen. Von der Tulpeninsel
ist in den letzten Jahren keine Rede mehr, nicht nur, seit aus Dubai
Berichte auftauchten, wonach die Palmeninseln langsam ins Wasser absinken.
Viel entscheidender ist, dass das Konzept dem steigenden Meeresspiegel
keine Rechnung trägt. Was aber bringt eine künstliche Insel, wenn diese am
Ende selbst vor Überflutung geschützt werden muss?
Stattdessen setzt sich in den Niederlanden die Einsicht durch, dass es
nachhaltiger sein könnte, sich dem Klimawandel anzupassen, als zu
versuchen, ihn zu verhindern. Die im Mai veröffentlichten Klima-Szenarien
des Meteorologischen Instituts KNMI sehen bis Ende des Jahrhunderts einen
Anstieg des Meeresspiegels zwischen 20 und 80 Zentimeter vor. Sollten
selbst die höchsten Deiche nicht mehr helfen, bleibt als Lösung nur eins:
„Adaption statt Mitigation“. Dieser Slogan beinhaltet ein spektakuläres
Konzept: Wohnen in schwimmenden Häusern, die mit dem jeweiligen Pegel
steigen und sinken.
Nun ist die niederländische Vorliebe für Wohnen auf dem Wasser legendär.
10.000 solcher Wohneinheiten gibt es im ganzen Land, sagt Willem Visser,
Technischer Direktor bei ABC, einem Unternehmen, das seit 15 Jahren
Hausboote und in zahlreichen Städten schwimmende Häuser, Büros und sogar
ein kleines Studentenwohnheim realisiert hat. Landesweit leben zwischen
30.000 bis 40.000 Menschen auf dem Wasser – „99 Prozent davon treibend“, …
Visser.
In der nahen Zukunft erwartet Willem Visser einen deutlichen Anstieg der
Nachfrage. Internationale Bekanntheit haben vor allem die 55
„Waterwoningen“ im neuen Amsterdamer Stadtteil Ijburg bekommen: elegante,
dreigeschossige Kästen zwischen 100 und 156 Quadratmetern Wohnfläche,
lichtgeflutet dank großzügiger Fensterfronten. Es gibt Eigentumsobjekte und
Mietwohnungen, die dank eines Fundaments aus Betonhohlkörpern und
Kunststoffschaum auf der Ij treiben. Auch in Utrecht, Almere, Den Haag sind
solche „floating villas“ geplant.
In Rotterdam verfolgt man gar ein städtebauliches Programm, das
verschiedene Projekte koordiniert und als Höhepunkt ein schwimmendes
Viertel im Hafen vorsieht. 2015 sollen die ersten Wohneinheiten entstehen,
die sich auch Infrastruktur auf dem Wasser bedienen werden. „Bislang waren
diese Häuser auf die Versorgung vom Ufer aus angewiesen. Wir sind dabei,
den Schritt von schwimmenden Häusern zu schwimmenden Vierteln zu machen“,
so Bart Roeffen, Kreativ-Direktor des Instituts Deltasync, das sich auf
Bauen auf dem Wasser spezialisiert und in diesem Projekt mit der Stadt
Rotterdam kooperiert.
All diese Projekte zeugen sowohl von einer innovativen Brillanz als von
einer Kultur des Pragmatismus. Gerade weil das Wasser den Niederlanden, die
zum Großteil unter dem Meeresspiegel liegen und mit einem gehörigen
Raumproblem kämpfen, manchmal sehr existenzielle Probleme bereitet, findet
sich auch deren Lösung oft am oder auf dem Wasser. In der Hauptstadt etwa
liegen Teile des Zentrums auf künstlich errichteten Inseln. Auch die knapp
3.000 Hausboote Amsterdams stehen keineswegs nur, wie Touristen das gerne
verklären, für den freien Geist ihrer Bewohner, sondern auch für die
Wohnungsnot in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Freilich findet man auch auf dem Wasser die Verhältnisse an Land wieder.
Bis vor einigen Jahren etwa nutzte das niederländische Justizministerium
Gefängnisboote zur Unterbringung von Abschiebehäftlingen, da sie
kostengünstig und räumlich flexibel waren – auch solche Blüten treibt der
niederländische Erfindergeist. Sicherheit und Zustände an Bord wurden lange
Zeit von Menschenrechtsgruppen kritisiert. Schließlich schaffte man die
Boote wieder ab.
Der Idee hingegen, dass oben schwimmen muss, wer sich dem Klimawandel
anpassen will, hat sich inzwischen ein kleines, aber durchaus erlesenes
Netzwerk verschrieben. Dazu gehören auf Wasserbau spezialisierte
Architekten wie Koen Olthuis und die Büros Van Bueren und Rohmer,
Stadtplaner sowie für den wissenschaftlichen Hintergrund die Experten der
renommierten Technischen Universität (TU) Delft oder des unabhängigen
Forschungsinstituts Deltares. In der „Platform Drijvend Bouwen“ haben sich
verschiedene Akteure zusammengetan, die sich mit schwimmenden Gebäuden
beschäftigen.
Bereits im Jahr 2007 hat die niederländische Regierung eine nationale
Adaptionsstrategie verabschiedet, um das Land auf die Folgen des
Klimawandels vorzubereiten. Dabei geht es nicht nur um die Frage wie,
sondern auch wo die Menschen zukünftig wohnen werden. Ein besonderes
Konzept hat man für das Gebiet der großen Flüsse Rhein, Lek, Waal und Maas
ausgearbeitet: „ruimte voor de rivier“ heißt es, „Raum für den Fluss“…
es bedeutet nichts anderes, als den ehemals angepassten Flussbetten im
Hochwasserfall flutbare Flächen zu überlassen – an 34 besonders gefährdeten
Stellen.
Eines dieser lokalen Projekte sorgt zur Zeit für einiges Aufsehen: am
Freitag dieser Woche begann man in der südlichen Provinz Brabant, einen
sechs Meter hohen Deich abzutragen. Dieser schützte bislang den Overdiepse
Polder vor der Maas. Künftig soll er nur noch zweieinhalb Meter hoch sein.
„Der Deich wird den Polder und seine Bauern nicht mehr beschützen, wie er
das viele Jahrzehnte lang getan hat“, heißt es dazu in einer
Presseerklärung. Das „freie Fluten“ könne einen möglichen hohen Wasserdr…
der Maas auffangen, deren Spiegel damit um 27 Zentimeter gesenkt werde.
Als Ergebnis wird die Stadt Den Bosch stromaufwärts trocken und sicher
gehalten. Einmal mehr ist es die Notwendigkeit, die zu innovativen
Maßnahmen drängt.
6 Jun 2014
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Küste
Klima
Architektur
Amsterdam
Klima
Küste
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alternative Stadtplanung: Die Verknüpfung der Elemente
Ein anderes Wohnen und Arbeiten: Auf dem Gelände einer ehemaligen
Schiffswerft in Amsterdam ist ein Experimentierfeld entstanden.
Deichbau und Größenwahn: Der Mythos vom Schimmelreiter
Der Husumer Theodor Storm schrieb mit dem „Schimmelreiter“ eine Deichbau-
und Gespensternovelle, die schnell zum friesischen Nationalepos verklärt
wurde.
Leben mit dem Klimawandel: Was tun, wenn das Wasser steigt?
Sind Sturmfluten und überlaufende Flüsse Zeichen der Klimakatastrophe -
oder einfach schlechtes Wetter? Klimaforscher empfehlen, mit dem Wasser zu
leben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.