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# taz.de -- Roma-Diskriminierung in Ungarn: In der ultrarechten Denkfabrik
> Der Bürgermeister von Ózd will die Roma aus seiner Stadt vertreiben. Die
> ultrarechte Partei Jobbik nutzt die Stadt als Labor fürs Regieren.
Bild: In Ózd experimentiert Jobbik angesichts landesweit wachsender Popularit�…
Ózd ap | Sie stehen mitten in der Nacht auf und gehen kilometerweit zu Fuß,
damit sie um sechs Uhr morgens an ihrem Arbeitsplatz sind. Stundenlang
hacken und harken sie, es gibt kaum eine Chance, sich mal wenigstens kurz
auszuruhen. Und bald dürfte es noch härter werden: Dann sollen
Überwachungskameras jede Bewegung von ihnen beobachten.
Die Arbeiter – Männer und Frauen – sind überwiegend Roma, und ihr Chef ist
der neue Bürgermeister von Ózd, David Janiczak. Er gehört der ultrarechten
Partei Jobbik an, die häufig die Roma als Feinde darstellt. Und so bemüht
sich auch Janiczak anscheinend, ihnen das Leben in seiner Stadt möglichst
schwer zu machen. Sein Vorgehen ist ein Hinweis darauf, was drohen könnte,
sollte Jobbik die konservative Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán,
Fidesz, bei der Parlamentswahl 2018 ausbooten.
Jobbik regiert derzeit in einem Dutzend ungarischer Städte und besetzt
zwölf Prozent der Sitze im nationalen Parlament. Es ist die beliebteste
Partei bei jungen Wählern. Fidesz verliert an Popularität. Hält dieser
Trend an, könnte sie es 2018 mit einer ernsten Konkurrenz zu tun haben.
Etwa ein Drittel der 34.000 Einwohner von Ózd sind Roma. Viele von ihnen
arbeiten auf städtischem Ackerland oder sind bei anderen öffentlichen
Projekten beschäftigt. Seit Janiczak im vergangenen Jahr an die Macht kam,
sind ihre Arbeitsbedingungen viel härter geworden. Mehr Stunden, weniger
Pausen – und bald die Überwachungskameras, damit auch niemand auf die Idee
kommt, mal auszuschnaufen.
## Ózd als „Labor fürs Regieren“
Der 28-jährige Janiczak hat angedeutet, dass die Maßnahmen zumindest zum
Teil darauf abzielen, die Roma zu vertreiben. „Jeder, der in Ózd lebt, hat
zwei Optionen – entweder lebt er ordnungsgemäß und integer und baut an der
Stadt mit – oder er zerstört sie“, sagte der Bürgermeister der
Nachrichtenagentur AP. „Die Mehrheit dieser destruktiven Leute sind
Zigeuner, ohne die ...es für die Stadt leichter wäre, sich zu entwickeln.“
Mit weniger Roma, sagt Janiczek, hätte die Stadt weniger Sozialausgaben,
und die Menschen würden sich sicherer fühlen. Jobbik benutzt oft den
Begriff „Zigeuner-Verbrechen“ in Bezug auf kleinere Diebstähle und andere
Delikte, denen die Polizei nur selten nachgeht. Wenn Bemühungen
scheiterten, die „Zerstörer“ zu integrieren“, so Janiczek weiter, „wer…
die Behörden die volle Macht der Gesetze anwenden“.
Jobbik nutze Ózd als „Labor fürs Regieren“, experimentierte angesichts
landesweit wachsender Popularität auf städtischer Ebene mit politischen
Maßnahmen und Ideen, sagt Peter Kreko von der Denkfabrik Political Capital
in Budapest. Die Einrichtung verfolgt die Entwicklung der Partei seit
Jahren. Zwar habe Jobbik bei Wahlkampagnen im vergangenen Jahr Kandidaten
gutbürgerlich mit ihren Familien und Haustieren präsentiert, ihre radikalen
Sichtweisen heruntergespielt, sagt Kreko. Aber die Vorgänge in Ózd zeigten,
dass sich unter der Oberfläche nichts wirklich geändert habe.
## Trinkwassermangel und Videoaufzeichnungen
Während der kommunistischen Ära gab es in Ózd, das 150 Kilometer
nordöstlich der ungarischen Hauptstadt Budapest liegt, ein Stahlwerk mit
rund 14.000 Beschäftigten. Es schloss in den 1990er Jahren, und zugleich
machte auch eine Kohlebergwerk dicht. Die Arbeitslosenrate stieg auf über
20 Prozent, und ungelernte Roma gehörten zu den am stärksten Betroffenen.
Angehörige dieser Volksgruppe machen den größten Teil der 1.300 Einwohner
von Ózd aus, die an einem öffentlichen Beschäftigungsprogramm teilnehmen,
das Ende 2013 von der Orbán-Regierung landesweit eingeführt wurde. Die
Nettobezahlung für ungelernte Arbeiter liegt bei umgerechnet 165 Euro im
Monat, Geld, das viele dringend benötigen, da die Regierung die
Arbeitslosenhilfen stark gekürzt hat. Zahlreiche Roma in Ózd leben in
bitterer Armut, in Elendsquartieren ohne fließendes Wasser und ohne
Müllabfuhr.
Janiczek wendet die Regeln des Beschäftigungsprogrammes nicht nur strikter
an, sondern hat auch neue hinzugefügt. So beginnt die Arbeit auf dem
Ackerland bis zu zwei Stunden früher als vor seinem Amtsantritt. Weil um
diese Zeit nur wenige öffentliche Transportmittel zur Verfügung stehen,
sind viele Beschäftigte zu einem langen Fußmarsch gezwungen. Es gibt Klagen
über mangelndes Trinkwasser, zu wenige Toiletten und darüber, dass pro
Stunde nur fünf Minuten Pausieren erlaubt ist. Am größten ist die
Entrüstung aber über eine neue Vertragsklausel, die den Offiziellen
Videoaufzeichnungen und Fotoaufnahmen erlaubt.
## Überwachung als Gewöhnungssache
„Es geht nur um Einschüchterung“, sagt Bela Biro, ein Roma und früherer
Stahlarbeiter, als er im Frühjahr mit anderen Ackerland am Rande der Stadt
bearbeitete. „Wir trauen uns nicht, uns auch nur für fünf Minuten
hinzusetzen. Sie sagen uns, dass wir das nicht dürfen, auch wenn uns Blut
aus der Nase läuft.“
Janiczak sagt, er folge nur geltenden Gesetzen. „Wir wollen nichts anderes
als Ordnung und Beschäftigungsregeln durchsetzen und diese Leute zum
Arbeiten erziehen“, sagt der Bürgermeister. Was den Menschen aus seiner
Sicht in Wahrheit Sorge bereite, sei, „dass sie wirklich arbeiten müssen
anstatt nur am Arbeitsplatz zu erscheinen“.
Und was die Überwachungskameras betreffe: Die gebe es „an jedem
Arbeitsplatz in der entwickelten, zivilisierten Welt“. Die Menschen im
öffentlichen Beschäftigungsprogramm, erklärt Janiczak, sollten sich „besser
daran gewöhnen, beobachtet zu werden“.
29 Jul 2015
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