# taz.de -- Sporthistoriker über jüdischen Sport: „Antileninistisch und ant… | |
> Der jüdische Sport in Polen war vor 1939 fast dreimal so stark wie in | |
> Deutschland. Was ihn auszeichnete, hat Sporthistoriker Diethelm Blecking | |
> erforscht. | |
Bild: Jüdischer Sport in Polen: Erzeihung zum „nayen mentshn“. | |
Herr Blecking, mitten in die European Maccabi Games, mit denen jüdischer | |
Sport in Deutschland gefeiert wird, platzieren Sie ein Symposium, das einen | |
anderen Akzent setzt: auf jüdischen Sport, der nichts mit Makkabi zu tun | |
hat. Was soll daran wichtig sein? | |
Blecking: Ich denke, dass ein jüdisches Sportfest wie die European Maccabi | |
Games nicht ohne die Reflektion des Sports in einem Land auskommen darf, in | |
dem der jüdische Sport so stark war wie nirgends sonst, quantitativ dreimal | |
so stark wie in Deutschland: nämlich Polen bis zum deutschen Überfall 1939. | |
Der jüdische Sport dort wies darüber hinaus universale gesellschaftliche | |
Perspektiven auf, die weit über das Jüdische hinaus wiesen. | |
Das müssen Sie genauer erklären? | |
Jüdischer Sport in Polen war in großen Teilen Arbeitersport, weil die | |
Sozialstruktur der Juden dort proletarisch war. Es gab den „Algemejnen | |
Jidyszen Arbeter Bund“, abgekürzt spricht man vom Bund, und innerhalb | |
dieser bedeutenden Organisation gab es „Morgnsthern“, wo Sport betrieben | |
wurde. Die Vereine waren stark, auch quantitativ: Allein im Warschauer | |
Morgnsthern waren im Jahre 1939 1.800 Sportler aktiv. | |
Was war das Besonderen an Morgnsthern? | |
Die „Bundisten“ wollten den „nayen mentshn"“ entwickeln, das war ein | |
klassisch sozialistisches Programm, das vor allem Kinder und Frauen stärken | |
wollte und auch stärkte. Das war nicht nur plakativ, wie es im deutschen | |
Arbeitersport verbreitet war, sondern wurde praktisch angegangen: In Wilna | |
waren im Morgnsthern 100 Frauen aktiv und 50 Männer, auch in Warschau waren | |
in der Turnabteilung mehr Frauen als Männer. Es war ein | |
proletarisch-internationalistisches Projekt, das – und das ist mir | |
besonders wichtig – immer antileninistisch und antiautoritär ausgerichtet | |
war. | |
In der Makkabi-Sportbewegung wurde von Max Nordau das Ziel des | |
„Muskeljuden“ ausgerufen – ein Konzept, das sich gegen das antisemitische | |
Stereotyp vom schwächlichen, durchgeistigten Juden wandte. Wie | |
unterscheidet sich der „Muskeljude“ vom „nayen mentshn“? | |
Das sind grundlegend verschiedene Konzepte. Gegen den „Muskeljuden“ wurde | |
beim Bund und bei Morgnsthern polemisiert, die Makkabi-Sportler galten in | |
der klassenkämperisch aufgeladenen Sprache als „Sklaven“ des Kapitalismus. | |
Der Morgnsthern war nicht religiös, und um die Makkabi-Leute zu ärgern, | |
legte Morgnsthern seine Wettkämpfe etwa bewusst auf den Schabbat. | |
Warum verstand sich Morgnsthern denn als jüdisch, wenn es in der Praxis mit | |
dem Judentum nichts zu tun haben wollte? | |
Man verstand sich als kulturell-jüdisch, das heißt: jiddisch-sprechend und | |
proletarisch. Das war in Polen durchaus ein Alleinstellungsmerkmal – eine | |
Art doppelte Identifikationsmöglichkeit. | |
Warum gab es in Deutschland, anders als in Polen, keinen jüdischen | |
Arbeitersport, zumindest nicht im nennenswerten Umfang? | |
Das liegt an der bürgerlichen Sozialstruktur des deutschen Judentums. Ein | |
massenhaftes jüdisches Proletariat hat es hier – anders als in Polen – | |
nicht gegeben. | |
Mittlerweile gelten „jüdischer Sport“ und „Makkabi“ als Synonyme. Die … | |
Arbeitersportbewegung „Hapoel“ existiert fast nur als Name, der inhaltliche | |
Anspruch ist fast völlig vergessen, warum? | |
Das ist einem finalisierenden Blick auf die Geschichte des polnischen | |
Judentums geschuldet. Wer nur auf das Ende von Bund und Morgnsthern schaut, | |
ein Ende durch Vernichtung, kann die Bedeutung dieser Bewegung gar nicht | |
einordnen. Das machen leider viele Historiker. Die Ziele von Bund und | |
Morgnsthern waren auf „Tsukunft“ gerichtet, auf ein besseres Leben in | |
Polen. Anders als die zionistischen Makkabi-Sportler setzten diese nicht | |
auf Auswanderung, sondern sie wollten kulturelle Autonomie in Polen. Mit | |
dem Holocaust ist diese Perspektive jüdischen Lebens, die gerade im Sport | |
stark vertreten war, verschwunden. | |
Symposium, 29. Juli, 19 Uhr, Berlin, Oranienburger Str. 28-30, Centrum | |
Judaicum: „Nicht nur die ‚Schindler-Juden‘ spielten Fußball - Von | |
Arbeitersportlern, Muskeljuden und Bundisten. Die Blüte des jüdischen | |
Sports in Polen vor der Shoah“ | |
28 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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