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# taz.de -- Repressionen in Russland: Tüfteln im totalen Rausch
> Ein erfindungsreicher und prämierter Physiker wird zu drei Jahren Haft
> auf Bewährung verurteilt. Er soll Drogen erworben haben.
Bild: In Russland gehen Mohnbrötchen schon mal als Drogen durch.
Moskau taz | Dmitri Lopatin ist ein leidenschaftlicher Tüftler. Zurzeit
sitzt der 26-Jährige an der Entwicklung eines neuen Sonnenkollektors. Der
Shell-Konzern meldete Interesse an. Auch in Indien ist eine Anlage aus
Sonnenbatterien des Physikers in Planung. Im Juni gehörte Dmitris Projekt
auf der Pariser Erfinder-Ausstellung Hello Tomorrow zu den 100 besten
Innovationen des Jahres. Er war der einzige Vertreter aus Russland unter
den prämierten Erfindern.
Lopatin studierte im südrussischen Krasnodar. Auch heute lebt und forscht
er noch am Rande des Nordkaukasus. Mithilfe eines sensibleren Kollektors,
der auch bei Nebel und bedecktem Himmel Energie speichert, will er die
Gewinnung revolutionieren und Kosten reduzieren. Dazu benötigt er ein
Lösungsmittel: das Gamma-Butyrolacton. Bei einem chinesischen Hersteller
bestellte er online eine Probe.
Als er das Päckchen auf der Post in Krasnodar in Empfang nehmen wollte,
wurde Dmitri schon erwartet. Der FSNK – Russlands Föderaler
Drogenkontrolldienst – hatte ihn ins Visier genommen. Das Butyrolacton ist
eine psychotrope Substanz, die in Russland als Droge gelistet wird.
Auch in Europa unterliegt das Gamma-Butyrolacton als Vorläuferstoff des
Betäubungsmittels GBH einem freiwilligen Monitoring von Händlern und
Herstellern. Drogenhandel legte der FSNK Lopatin zur Last.
## In Handschellen abgeführt
Den Hinweis, dass das Präparat frei zugänglich sei und auf dessen
Rauschmittelkomponente nicht hingewiesen werde, ignorierten die Fahnder.
Auch den Verweis auf die Gesundheitsverträglichkeit der Lösung nicht.
Butyrolacton ist nicht krebsfördernd. In Handschellen wurde Lopatin
abgeführt.
Auch die Staatsanwaltschaft schlug sich auf die Seite der Fahnder. Elf
Jahre Gefängnis beantragte sie. Das Gericht jedoch, gewöhnlich nur eine
Verlängerung der Staatsanwaltschaft, zog nicht mit. Es verurteilte den
Erfinder zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung: wegen Erwerbs nicht wegen
Drogenhandels. Vorher hatte Lopatin ein „Geständnis“ unterschreiben müsse…
Dass er den Stoff auch bestellt hatte. Es war ein Deal. Lopatin wollte die
Arbeit an den Kollektoren fortsetzen.
Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. Drei Jahre auf Bewährung sind für
Strafverfolger keine angemessene Buße. Sie schlagen auch in der Statistik
des FSNK nicht zu Buche. Darum geht es jedoch dem Kontrolldienst, der auf
seine Nützlichkeit verweisen möchte. Dafür sind ihm fast alle Mittel recht.
Schließlich lenkte die Staatsanwaltschaft ein. Es blieb bei drei Jahren auf
Bewährung, Dmitri ist nun vorbestraft und darf das Land nicht verlassen.
Dass staatliche Stellen die Erfindung als einen Erfolg darstellten, der die
Anstrengungen belege, die rohstoffabhängige russische Wirtschaft zu
diversifizieren, schlug nicht zu Buche. Auch die Förderung durch den
Russischen Fonds für Grundlagenforschung half dem Tüftler nichts.
## Verdächtige Mohnbrötchen
Lopatins Alptraum ist kein Einzelfall. Unbescholtene Bürger wandern ständig
wegen vermeintlichen Drogenhandels ins Gefängnis. Wie die vierköpfige
Familie eines Bäckers in Woronesch, die wegen Drogenhandels acht Jahre Haft
bekam. Fahnder waren der Samenduftspur des Schlafmohns auf den Mohnbrötchen
gefolgt.
Chef des FSNK ist Viktor Iwanow, ein Bekannter Wladimir Putins aus St.
Petersburg. Kürzlich machte er wieder auf sich aufmerksam. Russland sei
2014 mit der Droge Spice überschwemmt worden, die Eigenschaften eines
Kampfstoffes aufwiese, behauptete er und vermutete „spezielle Dienste“
dahinter. Zuvor hatte er den USA und Großbritannien unterstellt, Spice für
die Organisation von „Farbrevolutionen“ wie in der Ukraine einzusetzen.
30 Jul 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Wladimir Putin
Drogen
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