| # taz.de -- Physiotherapeutin übers Klettern: „Kinder nicht auf Bäume heben… | |
| > Wer seinen Körper ausprobiert, wird sicherer. Darum bietet Franziska | |
| > Schmidt Kletterkurse für Kleinkinder an – und begleitet dabei auch die | |
| > Eltern. | |
| Bild: „Mit dem Klettern ist es genau wie mit allem anderen: Man muss erst mal… | |
| Frau Schmidt, in Ihren Kursen klettern die ganz Kleinen. Wie kann man sich | |
| das vorstellen? | |
| Ich arbeite hauptsächlich mit Kindern im Alter zwischen vier Monaten und | |
| drei Jahren. Säuglinge klettern ja noch nicht, aber ab dem Krabbelalter | |
| kann man schon langsam von Klettern sprechen. Wir geben | |
| Entwicklungsbegleitungskurse für Eltern und Kinder, in denen wir Kinder | |
| beim Klettern in altersgemäß eingerichteten Spielräumen begleiten. Es gibt | |
| kleine Kisten, Bretter, Leitern und Spielbögen mit Sprossen in | |
| verschiedensten Höhen an denen Kinder sich ausprobieren können. | |
| Warum ist klettern überhaupt wichtig? | |
| Schon in diesem jungen Alter ist es wichtig, dass Kinder | |
| Bewegungserfahrungen machen. Und das möglichst vielfältig. Sie erfahren | |
| dadurch ihren Körper, testen ihre Grenzen und Fähigkeiten. Das stärkt das | |
| Körpergefühl und das Selbstbewusstsein. Das innere und das äußere | |
| Gleichgewicht stehen dabei in enger Wechselwirkung. | |
| Also früh mit dem Klettern anfangen? | |
| Ja. Nur wenn ich meinen Körper ausprobiere, lerne ich sicher mit ihm | |
| umzugehen. Mit dem Klettern ist es genau wie mit allem andern: Man muss | |
| erst mal klein anfangen. Wenn man Klettern im ersten Lebensjahr nicht | |
| gelernt hat, dann fehlen Erfahrungen. Ich gebe auch Kurse für Erwachsene, | |
| in denen wir auch in der Natur sind. Es ist erschreckend, wie wenig manche | |
| Erwachsene sich selbst zutrauen. Wenn es darum geht, in einem Flussbett von | |
| Stein zu Stein zu springen oder über einen Baumstamm zu klettern, sind | |
| einige sehr unbeholfen oder trauen es sich zunächst gar nicht. | |
| Dürfen Kinder beim Klettern auch negative Erfahrungen machen? Ist das nicht | |
| gefährlich? | |
| Wenn ein Kind mal fällt, ist das eine Erfahrung, die nützlich ist. Es | |
| bekommt einen Schreck, tut sich vielleicht weh, kriegt eine Beule. So lernt | |
| es, dass das Objekt, auf dem es klettert, Grenzen und verschiedene Höhen | |
| hat. Das erfährt es im Fallen. Es ist ein Unterschied, ob man etwas sieht – | |
| oder es mit dem ganzen Körper erfährt. Ein Kleinkind lernt dadurch nicht | |
| nur den dreidimensionalen Raum besser kennen, sondern auch sich selbst | |
| darin zu bewegen. Es lernt das Fallen. | |
| Fallen? Können Kinder das nicht sowieso? | |
| Menschen fallen nicht automatisch richtig. Kinder, die in jungen Jahren | |
| Fallen lernen – weil sie hin und wieder kleinere Unfälle haben, erleiden im | |
| späteren Leben weniger große, gefährlichere Unfälle. Das bestätigen die | |
| Unfallkrankenkassen. Es gibt viele Unfälle, die total unverhältnismäßige | |
| Folgen haben. Da stolpert ein Kind über eine Schwelle und trägt eine | |
| Gehirnerschütterung davon, weil es nicht richtig fallen kann. Unsere | |
| Erfahrung ist allerdings, dass Kleinkinder mit entsprechenden | |
| Bewegungsmöglichkeiten schnell achtsamer werden, wenn die Eltern nicht | |
| panisch auf einen Sturz reagieren. Sondern dem Kind Raum geben, die | |
| Erfahrung zu verarbeiten. | |
| Ihrer Erfahrung nach: Gibt es die sogenannten Helikoptereltern wirklich? | |
| Viele Eltern sind sehr besorgt um ihre Kleinen, das erleben wir ganz | |
| häufig. Eltern sollten ihre Kinder mehr beobachten, um zu lernen, was sie | |
| ihren Kindern zutrauen können und was ihre Kinder überfordert. So gewinnen | |
| sie mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten und können ihnen mehr Raum für | |
| eigene Erfahrungen lassen. Kinder wollen nicht dauernd bespaßt werden und | |
| wir sollten aufhören, ihnen dauernd etwas beibringen zu wollen. | |
| Was sagen Sie diesen Eltern? | |
| Sie könnten die Umgebung für das Kind so gestalten, dass es auch niedrige | |
| Höhen gibt, auf die es klettern kann. Eine Schublade umdrehen, eine | |
| Pappkiste mit einer Decke ausstopfen. Das sind gute Klettermöglichkeiten im | |
| Krabbelalter. Für Eltern ist es schön zu sehen, dass ihr Kind eigentlich | |
| viel mehr kann, als sie ihm zugetraut haben. Dazu gehört auch, Kinder nicht | |
| durch eigene Sorgen zu verängstigen. Wenn das Kind gefallen ist, erst mal | |
| zu gucken, wie es reagiert. Braucht es Trost? Oder will es einfach weiter | |
| spielen? Oft haben Kinder zuerst eine Schrecksekunde und dann spielen sie | |
| einfach weiter. | |
| Sollten Eltern ihre Kinder ermutigen sich immer neuen Herausforderungen zu | |
| stellen? | |
| Nein. Kinder brauchen keine Ermutigung. Sie sind von Natur aus neugierig | |
| und experimentierfreudig. Sie werden nur Dinge tun, bei denen sie sich | |
| sicher fühlen – wenn wir uns nicht einmischen. Auch die Stütze am Po oder | |
| Rücken, die viele Eltern oft geben, ist nicht sinnvoll. Sie vermittelt ein | |
| trügerisches Gefühl von Sicherheit. Kinder denken dann, sie können irgendwo | |
| hoch klettern, machen es das nächste mal ohne Stütze und verletzten sich. | |
| Ich sollte mein Kind niemals auf etwas heben, was es nicht auch selber | |
| erklimmen könnte. Wenn Kinder auf Bäume oder ähnliches gehoben werden | |
| wollen, ist es immer richtig zu sagen: Wenn du es alleine schaffst, ist das | |
| schön. Und wenn nicht, bist du noch nicht alt genug. Dann schaffst du es, | |
| wenn du größer bist. | |
| Was sollen Eltern tun, wenn ein etwas älteres Kind auf einem Baum sitzt und | |
| nicht mehr runter kommt? | |
| Wir können es je nach Situation mit Worten begleiten, zum Beispiel: „Lass | |
| dir Zeit, ich glaube, du kannst das.“ Denn oft fehlt nur die | |
| Aufmerksamkeit. Oder: „Wenn du zu müde bist, kannst du es morgen nochmal | |
| probieren“. Oder auch: „Du bist gut rauf gekommen, runter ist es zu | |
| schwierig. Ich hebe dich jetzt runter.“ | |
| Sie lassen die Kinder in Ihren Kursen barfuß klettern. Warum? | |
| Über die Füße kann man sehr viel wahrnehmen. Man spürt den Untergrund und | |
| wird wacher und aufmerksamer. Außerdem sind die Füße dann aktiver. | |
| Haben Sie schon einmal erlebt, dass Kinder gar nicht klettern wollten? | |
| Noch nie. Bewegung ist ein so elementares natürliches Bedürfnis und auch | |
| der Motor für Lernen und Entwicklung. Wenn da was nicht stimmt, hat das | |
| Kind ein anderes Problem und braucht therapeutische Begleitung. Das zeigt | |
| sich dann aber auch auf anderen Ebenen. | |
| 12 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Kim von Ciriacy | |
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