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# taz.de -- Internationaler Literaturpreis: Die Zeit verschiebt sich immer mit
> Amos Oz und Mirjam Pressler bekamen den Internationalen Literaturpreis in
> Berlin. Er zeichnet auch die ÜbersetzerInnen aus.
Bild: Gewannen mit „Judas“: Amos Oz und Mirjam Pressler am 8. Juli im Haus …
Was soll das sein: internationale Literatur? Das ist eine Frage, um die man
nicht herumkommt, wenn man einen „Internationalen Literaturpreis“ verleiht.
Der wurde nun zum siebten Mal vergeben, verantwortet vom Berliner Haus der
Kulturen der Welt im Auftrag der Hamburger Stiftung Elementarteilchen.
Ach, das hätte so nett sein können! Auf der fußballstadiongroßen
Dachterrasse des Gebäudes sind zwei Bühnen samt Zuschauerrängen aufgebaut
worden, und man kann hier wunderbar in den Himmel über Berlin gucken. Über
den jagen aber an diesem Mittwochabend dunkle Wolken, schon während der
Begrüßungsansprache von Bernd Scherer, dem Chef des Hauses, gerät das
Publikum ins Frösteln. Der weitere Verlauf der Veranstaltung wird ins Haus
verlagert.
Fieberhafte Betriebsamkeit. Die Technik samt Simultandolmetschanlage für
Englisch und Französisch wird wieder aufgebaut. Dann kommt Jurymitglied
Iris Radisch von der Zeit zum Zuge, die die Aufgabe übernimmt, die
einleitende Frage nach der Internationalität der Literatur zu stellen. Was
ist die konkrete Perspektive der AutorInnen beim Schreiben? Gibt es in der
Literatur eine internationale Sichtweise?
Wenig überraschend erklären die Anwesenden einmütig: nein. Eigentlich sei
doch alle große Literatur zunächst einmal provinziell, erklärt Amos Oz. Die
Kroatin Daša Drndić sagt, wenn sie beim Schreiben aus dem Fenster sehe, so
stünden dort vier Müllcontainer, in denen arme Leute nach Verwertbarem
suchten. Auch die Ungarin Krisztina Tóth erklärt, sie habe über arme
Menschen schreiben wollen, über arme Juden insbesondere, da die ungarische
Literatur ansonsten stets das Bild von reichen Juden verbreite.
Alle Redebeiträge sind interessant, können aber nicht vertieft werden, da
es gilt, alle mal zu Wort kommen zu lassen – nämlich auch die
ÜbersetzerInnen, die mit auf dem Podium sitzen. Denn das wirklich Besondere
an diesem Internationalen Literaturpreis ist, dass er nicht nur die
AutorInnen auszeichnet, sondern auch die ÜbersetzerInnen. Darin kommt der
Gedanke der Internationalität natürlich am allerschönsten zum Ausdruck.
## Linguistische Betrachtung des Hebräischen
Und an der Frage nach der Übersetzbarkeit der Zeiten im Hebräischen, das
linguistisch betrachtet keine Vorzeitigkeit kennt, entspinnt sich
tatsächlich doch noch eine kleine Diskussion zum Thema Zeitempfinden in der
Literatur und im Leben, zu der alle etwas beisteuern können.
Den Preis bekommen Amos Oz und Mirjam Pressler für „Judas“. Die anderen
AutorInnen, die es auf die Shortlist geschafft hatte, dürfen immerhin alle
vorlesen. Außer den schon Genannten sind auch NoViolet Bulawayo und Patrick
Chamoiseau dabei, aber alle kann man sich nicht anhören, da die
Veranstaltungen parallel laufen.
In den Lesungen beweisen manche ÜbersetzerInnen Entertainerqualitäten –
allen voran Krisztina Tóths Übersetzer György Buda, der nicht nur mit
seinem gemütlich austriazierenden Zungenschlag punkten kann.
Brigitte Göbert und Blanka Stipetić, die Übersetzerinnen von Daša Drndić,
lesen abwechselnd aus Drndić’ „Sonnenschein“, wahrscheinlich so ähnlich,
wie sie den Roman auch übersetzt haben. Wie genau das so vor sich ging,
wollen sie aber nicht sagen, obwohl der Moderator Jörg Plath doch ganz
kluge Fragen stellt. Lustigerweise spiegelt sich in dieser freundlichen
Bockigkeit auch die Haltung der Autorin selbst, Daša Drndić, die den ganzen
Abend über zwar gesprächsbereit und eloquent ist, aber auch unverblümt
erklärt, dass sie gar keine große Lust mehr habe, über diesen Roman zu
sprechen. Es sei mittlerweile neun Jahre her, dass sie ihn geschrieben
habe.
Damit widerspricht sie zwar ihrem Diktum vom früheren Abend, es gebe keine
Vergangenheit, sondern nur den Flow. Aber sie zeigt damit auch, dass
Internationalität in der Literatur eben nicht nur mit einer geografischen
und kulturellen Verschiebung der Perspektive einhergeht. Auch die Zeit
verschiebt sich immer mit.
9 Jul 2015
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Roman
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Internationaler Literaturpreis Berlin: Das Wilde lesen
Ende Juni wird der Internationale Literaturpreis Berlin verliehen. Die
Bücher auf der Shortlist sind bis dahin gute Leseempfehlungen.
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