| # taz.de -- Kolume Die eine Frage: Der Franz ist Geschichte | |
| > 25 Jahre nach dem WM-Titel von Rom: Was bleibt von Franz Beckenbauer | |
| > außer einem gütigen Opa im Fernsehen? | |
| Bild: Hier noch in Gesellschaft: Franz Beckenbauer und die deutsche Nationalman… | |
| Und mutterseelenallein, meine Damen und Herren, steht auf dem Rasen des | |
| Olympiastadions: Franz Beckenbauer. Vor 25 Jahren war das, nach dem Gewinn | |
| des WM-Titels in Rom. Der jenseits des Trubels allein über den Platz | |
| schlendernde Beckenbauer, Hände in den Hosentaschen, Blick in die Ferne, | |
| ist in die deutsche Medienmythologie eingegangen. | |
| Was für ein Schmarren. Der geht über den Rasen. Nicht übers Wasser. | |
| Dennoch wird weit über die Fußballreligion hinaus mit diesem ikonischen | |
| Bild die Göttergestalt Beckenbauer beschworen, angebetet und verewigt. | |
| Beckenbauer, geboren 1945 (im September!), ist das unbefleckte | |
| Nachkriegsdeutschland, aus den Ruinen des Arbeiterviertels München-Giesing | |
| emporgestiegen on top of the world. | |
| Je wichtiger in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts der Fußball | |
| wurde, desto wichtiger wurde Beckenbauer. Und andersherum. Beckenbauer, | |
| Sportverbände, Medienunternehmen, Sportartikelfirmen: Es war eine | |
| Tetralogie zum Wohle aller Beteiligten und aller Angeschlossenen von DFB | |
| und Fifa über Bild und Fernsehsender, Adidas oder Gazprom, Niersbach oder | |
| Jauch. | |
| Beckenbauer selbst musste gar nichts tun, nicht intrigieren, nicht | |
| antichambrieren: Ihm flog alles zu. Verträge, Posten, Huldigungen, Ehen. | |
| Wer neben ihm stand, bekam auch was ab. Vom Beifall. Vom Geschäft. Weshalb | |
| es auch in all den Jahren praktisch kein Politiker mit Ausnahme Daniel | |
| Cohn-Bendits (“Allianz gegen Franz“) wagte, ein Widerwort zu sprechen, wenn | |
| es angebracht gewesen wäre. | |
| Als Fußballer agierte Beckenbauer ein knappes Jahrzehnt in einer eigenen | |
| Liga: Keiner sonst hatte diese Mischung aus Klasse, Modernität, | |
| Pragmatismus und Glück. Der entscheidende Modernitätsfaktor aber war sein | |
| Manager Robert Schwan, der ihn so positionierte, dass er das kurze | |
| Profi-Leben überdauern konnte. Auch, weil er sich früh an Bild gekettet | |
| hatte, Deutschlands tägliche Fußballzeitung, die ihn in der frühen | |
| Post-Profi-Zeit am medialen Leben erhielt und 1984 als Bundestrainer | |
| installierte. | |
| ## Völlig ironiefrei: der „Kaiser“ | |
| Trotz der Desillusion zweier (verlorener) Weltkriege entstand die Figur | |
| Beckenbauer noch im heroischen Zeitalter, in dem es den Bedarf gab, | |
| herausragende Menschen auf einen Thron zu setzen und ihnen von unten | |
| zuzujubeln. Daher auch die ironiefreie Titulierung „Kaiser“. Das Bedürfnis | |
| der heutigen Zeit ist nicht das Emporheben von Helden, sondern das | |
| Verlachen der Erfolgreichen, um sich selbst dadurch besser zu fühlen. | |
| Insofern hat Lothar Matthäus Pech gehabt, dass er zu spät geboren wurde. | |
| Warum das Gift des Neids Franz Beckenbauer verschont hat, er seine Steuern | |
| entweder nicht (70er Jahre) oder in Österreich zahlen kann und es kein | |
| Schwein kratzt? Warum die Deutschen denken, er könne fliegen, wenn er | |
| schlicht im Hubschrauber sitzt? Warum sie ihm Jahrzehnte gebannt zugehört | |
| haben, obwohl er nie etwas Substanzielleres gesagt hat als „Jo, ist denn | |
| heut scho’ Weihnachten?“ | |
| Weil sie offenbar das Gefühl haben, auch etwas durch ihn abbekommen zu | |
| haben. | |
| Beckenbauer war der erste Paradigmenwechsel des deutschen Fußballs. Er trat | |
| hervor, als der 54er-Weltmeister Sepp Herberger ging (1964). Mittlerweile | |
| hat sich der zweite große Paradigmenwechsel vollzogen. Jürgen Klinsmann | |
| macht ihn 2004 sichtbar, Joachim Löw personifiziert ihn. Beckenbauer ist | |
| heute ein gütiger Opa, den die jungen Moderatorinnen vom Bezahlfernsehen | |
| anschauen, als erzähle er vom Krieg. (Was er ja eben nie tat.) | |
| Mit dem WM-Titel 2014 wurde die Beckenbauer-Ära in Deutschland offiziell | |
| abgeschlossen. | |
| 11 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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