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# taz.de -- Zum 750. Geburtstag Dante Alighieris: Drauf wie Dante
> Romantiker, Nationaldichter, Kapitalismuskritiker – als was musste Dante
> Alighieri nicht schon alles herhalten. Nun wäre er 750 Jahre alt
> geworden.
Bild: Einsam und linksaußen: Dante. Gravur von C.H.Jeens, 1888.
Damals in den 1980er Jahren war Dante begraben in Zeit-Kulturaufmachern,
ruhte in Tropenholzregalen, lag in Suhrkamp eingelegt in lichtdurchfluteten
Salons auf Kaffeetischchen: fremde Welten, in die ich vorstieß, eingeladen
von Klassenkameraden, die ihre einsame Kindheit in Gründerzeitvillen
fristen mussten.
Wenn man heute nach Dante fragt, kommt von den angedachten Spezialisten
Melancholie zurück. Ein Artikel zum 750. Geburtstag von Dante Alighieri,
also zur „Göttlichen Komödie“? Nein, schreibt der liebste, das habe keinen
Sinn, in hundert Jahren werde sich niemand mehr erinnern können, wer das
gewesen sei, dieser Dante, der ganze europäische Kanon sei dann schon auf
dem Müllhaufen des Untwitterbaren gelandet.
Das ist auf jeden Fall von einer ganz eigenen Traurigkeit, besser als das
öde Professoren-Trotzdem derjenigen, die behaupten, Dante und all die
anderen Kerle seien uns ja so wahnsinnig nah, man müsse sich nur versenken,
anstrengen – „Dante lesen ist Arbeit“ –, dann werde das schon.
Nichts wird. Bei Dante ist es verschärft schon mal so, dass Übersetzungen
nichts bringen. Es gibt wunderschöne Versuche von Stefan George und in
ihrer absolut Irrheit annerkennenswerte Unternehmungen wie das
Dante-Deutsch-Ding von Rudolf Borchardt; aber wer Dante tatsächlich lesen
will, muss Italienisch lernen.
Hab ich dann halt gemacht.
## Die verzweifelte Wut
Und bin trotzdem über das Inferno, die Hölle, nicht hinausgekommen, denn es
ist nun mal so: Je höher es hinaufgeht im Leben, des geschwätziger wurde es
schon immer.
Natürlich gibt es Ausnahmen, „Stellen“. So lange, wie ich Dante lese, bin
ich erwachsen und so lange bin ich pleite und schiebe und laviere und
antichambriere, bei Banken und Verwandten, aaaah „come sa di sale / lo pane
altrui, e come è duro calle / lo scendere e ‚l salir per l’altrui scale“
(Paradies, XVII, 58–60).
So, jetzt mal alle zusammen auf Deutsch: „Erfahren wirst du, wie gesalzen
schmecket / Das fremde Brot und wie so herb der Pfad ist, / Den man auf
fremden Stiegen auf – und absteigt“. Sehen Sie, es funktioniert nicht – u…
das ist die landläufig als unübertroffen geltende, alte Übersetzung von
Philaletes, vulgo König von Sachsen, die sogar Karl Marx zitiert.
Aber auch das schon geschmeidigere „Du musst empfinden wie sehr schmeckt
nach galle / Das brot der fremden und wie schwere gänge / Aufstieg und
abstieg sind in fremder halle“ von Stefan George – da rührt sich doch arg
wenig, nichts jedenfalls, was vergleichbar wäre mit der verzweifelten Wut
des „lo pane altrui“, bei man praktisch hört, wie Dante, der wie alle
Großen auch die größtmögliche Meinung von sich hatte, voller Verzweiflung
über sein Schicksal des armen Verbannten die harte, von einem anderen
(altrui – dieses ui!) ihm hingeschmissene Brotkante mit seinen Zahnstummeln
bearbeitet.
## Wer will schon Paradies?
Bleiben wir also unter uns, in der Hölle, ins Paradies will eh niemand
mehr. Dante, das ist wichtig, schrieb keine Allegorie. Dante war ein
Prophet, er sah das Weltende kommen. Er war in der Hölle, er schreibt nach
Diktat seiner Vision.
Deshalb ist die „Comedìa“ das „Heilige Gedicht“ (poema sacro). Und Kom…
heißt sie einfach deswegen, weil sie im Gegensatz zur Tragödie gut ausgeht.
So habe ich’s zumindest vor zwanzig Jahren gelernt, in einem Hörsaal der
Universität Venedig, wo der berühmt-einschüchternde Dantist Giorgio Padoan
die Worte aus von dunklem Toscano-Tabak verseuchten Lungen hervorgrollen
ließ. Und wie duckte ich mich, der gefühlt einzige Deutsche zwischen all
den fröhlichen jungen Menschen aus der lieblichen italienischen Provinz,
als Padoan die Verse ins Auditorium donnerte, die Dante überm Höllentor
geschrieben sah (“Durch mich geht man hinein zur stadt der trauer / Durch
mich geht man in der Verlornen zelle / Durch mich geht man zum leiden
ewiger dauer. (…) / Lasst jede hoffnung die ihr mich durchschreitet“,
George)!
Und wie er fragte, was der Vision von Dante entspräche? Und dass es einen
Ort gebe, an dem ihm die Höllenverse zwingend wie nie aufgegangen seien.
Und dass das in Auschwitz gewesen sei.
## Nachfahre der Mörder
Nie mehr danach habe ich so gefühlt, was historische Verantwortung ist,
jenseits der alljährlich wiederholten Phrasen. Ich schwitzte, mein Gesicht
verzog sich zur Grimasse, so ertappt fühlte ich mich als Nachfahre der
Mörder hier sitzen dürfend, auf dem Platz von Ermordeten.
Dass die Hölle – Teil eines Heilsplanes – und vor allem: Endort von
Menschen, die Todsünden, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit und so,
begangen haben, als Chiffre für Auschwitz nicht taugt, hat zum Beispiel
Martin Walser in seinem Aufsatz „Unser Auschwitz“ überzeugend dargelegt.
Aber darum ging es in diesem Hörsaal nicht. Es ging um die unmittelbare
Gewaltwirkung dieser Verse auf das eigene Leben, so wie der Dichter
Mandelstamm den Anfang der Komödie zitiert „Nel mezzo del cammin di nostra
vita – in der Mitte des Lebenswegs wurde ich im dunklen sowjetischen Wald
von Räubern angehalten, die sich meine Richter nannten.“ Keine acht Jahre
später, 1938, hatte ihn Räuber Stalin zur Strecke gebracht.
## Dichter der Midlife-Crisis
Dante ist 35, als er in den dunklen Wald der Lebenskrise gerät. Das weiß
man, weil er sagt, als ich auf halbem Weg war unseres Lebens – und Unser
Leben währet siebenzig Jahr. Steht in der Bibel, und was da steht, ist für
Dante wahr. Dante ist politisch-religiöser Fundamentalist, er ist in der
Midlife-Crisis und er ist voller Hass. Seine Heimatstadt Florenz hat ihn
zum Tod verurteilt, als Verbannter zieht er von Städtchen zu Städtchen. Als
ihm Vergil, der ihn durch das Jenseits führt, Landsleuten vorstellt, sagt
Dante, aber hey, Meister, die leben doch noch. Ja, sagt Vergil, ihre Körper
sind noch oben, aber als leere Hüllen – hier siehst du schon, wie ihre
schwarzen Seelen schmoren.
Und so gibt es viele unglaubliche Stellen, frischeste Dialoge, komische,
tief sarkastische; Szenen, die wirken, als geschehe das Unglaubliche gerade
jetzt nebenan: „Die Welt diese Hölle mit Himmel“, sagt der deutsche Dichter
Richard Leising einige Jahrhunderte später. Und der große Romanist Erich
Auerbach spricht von Dante als Dichter der irdischen Welt.
Aber nicht als Sympath: Padoan betont die äußerst gering ausgeprägte
charakterliche Biegsamkeit Dantes, seine maßlose Wut auf alle, die ihm
Böses getan. Als der deutsche Kaiser unterwegs nach Rom ist, fordert Dante
ihn auf, Florenz auf dem Durchzug mal eben zu zerstören. Und als der
Herrscher der Welt das nicht macht, schreibt Dante ihm einen Brief, auf
Latein: „Pudeat!“ Schäm dich! Zum Kaiser! So ist Dante drauf.
Bei Padoan steht übrigens auch, dass Dantes Geburtsdatum keineswegs so
unbestimmt ist, wie die aktuellen Gratulanten es bei Wikipedia abschreiben:
dass nämlich Dante im Zeichen Zwilling geboren sei, zwischen dem 14. Mai
und dem 13. Juni 1265. Padoan zitiert den größten Dante-Fan aller Zeiten,
Giovanni Boccaccio, der wiederum einen gewissen Piero zitiert, der am
Sterbebett des Meisters von diesem selbst erfahren hat: Dante ist im Mai
geboren. Dieser Artikel kommt also zu spät – aber das weiß ja niemand.
## Die Sache mit Beatrice
Was über Jahrhunderte das Beliebteste war an Dante, die Sache mit Beatrice,
hat mir nie etwas gesagt. Irgendwie soll diese fulminante Liebe zur selten
gesehenen und früh verstorbenen Frau – die Dante selbstverständlich nicht
daran hinderte, eine andere Frau zu heiraten, Kinder zu zeugen und auch
sonst seinen Spaß zu haben –, irgendwie soll diese Liebe ihn erlösen. Und
das ist ja nun doch für uns Heutige in jeder Hinsicht problematisch. Aber
ich will da nicht ungehörig verallgemeinern.
Dante ist schon für so manches zurechtgestutzt worden, als Romantiker und
als Nationaldichter natürlich, als Oberlehrer, nicht zuletzt aber auch als
einer der ersten Kritiker des gerade flügge werdenden Kapitalismus. „Über
Erde und Meer spannst du deine Flügel, Florenz, ja und bis in die Hölle ist
dein Ruhm schon vorgedrungen“, ätzt er in Canto XXVI. Dante sieht die
Lösung für die in die Hände der Habsucht gefallene Menschheit aber
ausgerechnet in einem universalen Reich – und das ist im 14. Jahrhundert
der Handelsrepubliken und sich ausformenden Nationalstaaten dann der ganz
falsche Dampfer: einer der zahlreichen Belege, dass Künstler nichts von
Politik verstehen müssen, um große Kunst hinzustellen. Oder sagen wir:
Dante verstand sehr viel von Politik – nur war die Menschheit eben gerade
mal wieder noch nicht so weit?
Mandelstamm schreibt: „Großartig ist der poetische Hunger der alten
Italiener, ihr raubtierhafter, jugendlicher Appetit auf Harmonie, ihr
sinnliches Verlangen nach dem Reim“. Mandelstamm lernt Italienisch, „und
was mich verblüffte, das war die Infantilität der italienischen Phonetik,
ihre herrliche Kindlichkeit, die Nähe zum Kindergelalle, gleichsam ein
uralter Dadaismus“.
Also anfangen, Dante zu lesen. Als Trallala, als „belle"-"stelle“: Und wäre
ein so immer wieder intensiv nebenbei, ein, wie es bei Mandelstamm heißt,
„umkreister“ Riesentext von mehr als 14.000 Versen – wäre der dann nicht
doch und gerade auch ab und an: twitterbar?
10 Jun 2015
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
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