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# taz.de -- Fahrradfahren auf der Autospur: Anwalt klagt sich auf die Straße
> Ein Berliner Anwalt hat ein ganz spezielles Feindbild gefunden: die
> Radwegbenutzungspflicht. Er klagt die Schilder einzeln weg.
Bild: Andreas Volkmann will lieber auf der Straße fahren.
Berlin dpa | Glasscherben, Hundeleinen, unachtsame Touristen –
Fahrradfahren in der Stadt treibt den Puls schnell hoch. Wer in der
Berliner Innenstadt viel Fahrrad fährt, ärgert sich über zugeparkte
Radwege, Kopfsteinpflaster und Baumwurzeln, die den Asphalt durchbrechen.
Aber über das runde, blaue Schild mit dem weißen Fahrrad darauf? Warum
sollten sich ausgerechnet Radfahrer über ein Schild ärgern, das ihnen im
umkämpften Hauptstadtverkehr eine eigene Spur beschert? Den 47 Jahre alten
Anwalt Andreas Volkmann versetzt das Schild so sehr in Rage, dass er
regelmäßig dagegen klagt. Und das seit 1998.
Rote Outdoor-Jacke, neongelbes Schutz-Band am Hosenbein, schwarzer
Fahrradhelm – Volkmann trägt die Insignien überzeugter
Stadtverkehrs-Radfahrer. „Ich fahre gern schnell“, sagt er. „Dieses
Gegurke“ mit dem Hollandrad, das sei nichts seins. „Ich schmeiß‘ mich ge…
in den Verkehr.“ Einen Führerschein hat er gar nicht erst gemacht.
Die Straßenverkehrsordnung listet das runde, blaue Schild als Zeichen Nr.
237 auf. Es verbietet Autos oder Motorradfahrern, auf dem Radweg zu fahren.
Umgekehrt gebietet es aber auch: “[1][Der Radverkehr darf nicht die
Fahrbahn, sondern muss den Radweg benutzen].“
Seit der Fahrradnovelle von 1997 dürfen die blauen Schilder nur noch
aufgehängt werden, wenn „aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse
eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer
Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt“ – die Stelle, an der das
Schild steht, muss also besonders gefährlich sein. [2][So hat es das
Bundesverwaltungsgericht 2009 auf höchster Ebene bestätigt].
Und da Volkmann nicht nur Radfahrer, sondern auch durch und durch Jurist
ist, prüft er nun bei jedem blauen Schild, dem er begegnet, ob es diese
Voraussetzungen erfüllt. Ist er der Ansicht, dass das nicht der Fall ist,
erhebt er bei der Verkehrslenkung Widerspruch. Im Zweifel zieht er vor
Gericht. Seit 1998 zählt Volkmann 82 Widersprüche und 47 Klagen. In zwei
Drittel der Verfahren war er nach eigenen Angaben erfolgreich.
Volkmann klagt im eigenen Namen, Mandanten gewinnt er mit dem Thema nicht.
„Wer bezahlt denn einen Anwalt dafür, dass er gegen ein Radschild vorgeht“,
sagt er selbst. Das sei nur etwas für Freaks, für Paradiesvögel. Ob ihn das
selbst auch zum Freak mache? Volkmann zuckt mit den Achseln, verzieht den
Mund. „Ja, sicher, klar.“
Von Dritten habe er gehört, dass die Mitarbeiter der Verkehrslenkung ihn
für einen Spinner halten. Das ehre ihn, sagt er. Für einen Spinner halten
sie ihn dort aber gar nicht. Seine Fans sind sie allerdings auch nicht
unbedingt. Volkmann treibe die Verwaltung an, sagt die Sprecherin des
Ressorts für Stadtentwicklung in Berlin, Petra Rohland. Die Urteile
verschöben aber auch Prioritäten. Eine Änderung an einer anderen Kreuzung,
die vielleicht wichtiger sei, müsse dann hintanstehen.
Telefoniert haben die Kontrahenten noch nie miteinander. Die Kommunikation
laufe ausschließlich schriftlich, sagt Volkmann. Damit er vor Gericht auch
etwas vorlegen könne. Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) gefällt
diese Strategie nicht: Besser sei es, direkt mit der Verkehrsbehörde zu
sprechen, heißt es bei der Pressestelle. Denn selbst durch ein gewonnenes
Gerichtsverfahren, entstehe kein Meter guter Radweg.
Aber auch Volkmann sagt, er wolle etwas erreichen. Ob ihm das mit seinen
Klagen gelungen ist? „Nicht so richtig“, räumt er selbst ein.
Behördenintern habe er dem Radverkehr vielleicht etwas mehr Bedeutung
verschafft. Die Verwaltung gibt sich in der Tat Radfahrer-freundlich: “Uns
ist es auch wichtig, mehr Radwege auf die Straße zu bringen“, sagt
Sprecherin Rohland. Der Chef der Verkehrslenkung fahre mit dem Rad ins
Büro. Und auch unter den Mitarbeitern gebe es viele passionierte Radler.
Er suche nicht bewusst nach Schildern, erläutert Volkmann. Vielmehr finde
er sie eher zufällig. So hat er die Schilder, gegen die er aktuell klagt,
bei einem Ausflug ins Grüne in Berlin-Köpenick entdeckt. Die
Rechtsstreitigkeiten erfüllten ihn mit Leidenschaft und solange das der
Fall ist, will er weitermachen. Volkmann tritt kräftig in die Pedale,
rauscht über die nächste Ampel und verschwindet im Stadtverkehr. Auf der
Autospur.
3 Jun 2015
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[2] http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=181110U3C42.09.0
## AUTOREN
Claudia Kornmeier
## TAGS
Critical Mass
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Verkehr
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