# taz.de -- Radikaler CDU-Vorstoß zur Sterbehilfe: Verbieten und bestrafen | |
> Drei Arbeitsgruppen diskutieren im Bundestag über neue Regeln für die | |
> Sterbehilfe. Zwei CDU-Politiker fordern nun einen Paradigmenwechsel. | |
Bild: Krasser als die anderen Abgeordneten: Patrick Sensburg will die Hilfe zum… | |
BERLIN taz | In der Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe | |
in Deutschland gibt es nun einen ersten konkreten Gesetzentwurf. Verfasst | |
haben ihn die CDU-Politiker Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger, und was | |
sie fordern, kommt einem Paradigmenwechsel in der Suizidhilfe gleich: | |
Bislang ist die Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland legal, wie auch der | |
Suizid selbst. Doch nach dem Willen der beiden soll „mit Freiheitsstrafe | |
bis zu fünf Jahren bestraft“ werden soll künftig, wer anderen Menschen | |
dabei hilft, sich selbst zu töten. Auch der bloße „Versuch“ dieser Beihil… | |
soll strafbar sein. | |
Dörflinger und Sensburg begründen ihren radikalen Vorstoß mit einer – | |
empirisch freilich nicht belegten – Unterstellung: „Hinter dem Begriff der | |
Beihilfe zur Selbsttötung verbirgt sich ein gesellschaftsweit wachsendes | |
Unwerturteil hinsichtlich bestimmter Formen menschlichen Lebens“, behaupten | |
die Abgeordneten in ihrem Entwurf, um dessen Zustimmung sie am Donnerstag | |
per Mail bei allen Mitgliedern des Bundestags warben. Weiter schreiben sie: | |
„Der Gehilfe einer Selbsttötung billigt dabei nicht nur die | |
Wertentscheidung des Suizidenten, sondern er strebt selbst den | |
Tötungserfolg an.“ | |
Ausnahmen von der Strafbarkeit soll es nach dem Entwurf nicht geben – weder | |
für Angehörige noch für Ärzte. „Eine mit Ausnahmen für Angehörige und �… | |
ausgestattete gesetzliche Regelung der Mitwirkung am Suizid würde eine | |
Gefahr für das Leben schwer kranker und suizidgefährdeter Menschen | |
darstellen“, heißt es in dem Papier. „Wenn lebenserhaltende Therapie und | |
Tod als gleichwertige Alternativen gesehen werden, wird der Patient, der | |
sich für die Lebenserhaltung entscheidet, den Angehörigen und der | |
Gesellschaft gegenüber dafür begründungspflichtig“, glauben sie. | |
Damit ist ihr Gesetzentwurf restriktiver als alles, was bisher im Bundestag | |
diskutiert wurde. | |
## Fraktionsübergreifende Arbeit im Bundestag | |
Der Bundestag will noch in diesem Jahr über ein neues Strafgesetz zur | |
Sterbehilfe entscheiden. Auslöser der Debatte waren zunächst | |
Sterbehilfevereine wie der des Hamburger Ex-Justizsenators Roger Kusch, die | |
ihren Mitgliedern Unterstützung beim Suizid anbieten. | |
In Deutschland ist der Suizid bislang straffrei. Derzeit wird auch niemand | |
dafür bestraft, dass er anderen hilft, sich das Leben zu nehmen. Das heißt: | |
Solange die Tatherrschaft bei der Person bleibt, die sterben möchte, ist | |
Hilfe zulässig. | |
Im Bundestag haben sich mehrere fraktionsübergreifende Gruppen gebildet, | |
die ihre Anträge voraussichtlich in der letzten Sitzungswoche vor der | |
Sommerpause zur ersten Lesung in den Bundestag einbringen wollen. Eine | |
Gruppe um die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese strebt ein komplettes Verbot | |
organisierter – sogenannter geschäftsmäßiger – Hilfe beim Suizid an, will | |
aber keine Neuregelung für Ärzte. | |
Eine zweite Gruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und den | |
CDU-Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze wünscht ebenfalls ein | |
strafrechtliches Verbot, will aber Angehörigen und Ärzten die Hilfe beim | |
Suizid ausdrücklich erlauben. Dies ist den Medizinern bislang durch das | |
Standesrecht in mehreren Bundesländern verboten. | |
Eine dritte Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast spricht sich für | |
eine weitere Zulässigkeit der Sterbehilfeorganisationen unter festgelegten | |
Bedingungen aus. Bei der abschließenden Abstimmung im November soll, wie | |
bei bioethischen Debatten üblich, kein Fraktionszwang gelten. | |
## Juristen und Ärzte sind für Entkriminalisierung | |
Unterdessen haben sich im April rund 140 Strafrechtswissenschaftler um die | |
Juraprofessoren Eric Hilgendorf und Henning Rosenau in einer Resolution | |
gegen die Strafbarkeit des assistierten Suizids „aus verfassungsrechtlichen | |
und medizinethischen Gründen“ ausgesprochen. „Mit der Strafbarkeit des | |
assistierten Suizids würde die in den letzten Jahren erreichte weitgehende | |
Entkriminalisierung des sensiblen Themas Sterbehilfe konterkariert“, warnen | |
die Juristen. | |
Das geltende Polizei- und Strafrecht stelle „hinlänglich“ Mittel zur | |
Verfügung, um gegen Aktivitäten vorzugehen, bei denen die | |
Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht hinreichend geprüft werde. Die | |
Autoren halten es für „verfehlt“, durch eine Ausweitung des Strafrechts | |
„auch solche Tätigkeitsfelder in einen Graubereich möglicher Strafbarkeit | |
zu ziehen, die - wie das Arzt-Patienten-Verhältnis - auf Vertrauen | |
gründen“. | |
Ähnlich hatten sich Anfang Mai auch 180 Mediziner aus ganz Deutschland im | |
Vorfeld des diesjährigen Ärztetags in einem Brandbrief an ihren Präsidenten | |
Frank Ulrich Montgomery geäußert. Montgomerys Credo, wonach es Ärzten | |
standesrechtlich verboten ist, schwerstkranke Menschen in den Tod begleiten | |
zu dürfen, sei nicht mit dem ärztlichen Berufsethos vereinbar, so die | |
Verfasser des Briefs. Mit seiner paternalistischen Haltung schade | |
Montgomery dem Ansehen des Arztberufs, kritisierten die Mediziner. Und: „Es | |
ist nicht nur ethisch vertretbar, sondern hilfreich und human, einen | |
schwerstleidenden Patienten nicht im Stich zu lassen.“ Wer sich | |
„wohlinformiert“ dazu entschlossen habe, dem eigenen Leben ein Ende setzen | |
zu wollen, verdiene Hilfe. | |
22 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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