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# taz.de -- Hans Bunge über den Fotografen Ernst Scheel: „Er gestattete sich…
> Eine Hamburger Ausstellung zeigt neue Facetten des Architekturfotografen
> Ernst Scheel, dessen Nachkriegswerk bis 2012 als verschollen galt.
> Kurator Hans Bunge hat es gesichtet.
Bild: Soll den Architekten zu Veränderungen animiert haben: Auschnitt aus Sche…
taz: Herr Bunge, wie bedeutend war der Architekturfotograf Ernst Scheel für
Hamburg?
Hans Bunge: Ernst Scheel hat ausschließlich in Hamburg und Norddeutschland
fotografiert, insofern ist die jetzt präsentierte Ausstellung schon von
regionalem Belang. Aber Scheel ist keine Hamburgensie, er ist von
internationalem Rang wie die viel berühmteren Man Ray oder Alfred
Renger-Patzsch. Er war einer der großen Fotografen des „Neuen Sehens“ der
1920er-Jahre. Das ist eine der Entdeckungen dieser Ausstellung, die
insofern wirklich neue Erkenntnisse bringt.
Inwiefern?
Der Begriff ist ja abgeleitet von der „Neuen Sachlichkeit“, die sich eher
auf die Malerei bezieht – etwa bei Otto Dix und George Grosz. Ungefähr um
dieselbe Zeit – Mitte der 1920er-Jahre – begannen sich auch Fotografen
künstlerisch zu emanzipieren. Sie haben nicht mehr Malerei nachgeahmt oder
die Realität abfotografiert, sondern eine eigenständige Formensprache
gefunden. Da war die Architektur des Neuen Bauens als Motiv natürlich
optimal.
Auch für Scheel?
Ja. Scheel war in Hamburg der Fotograf des Neuen Bauens, aber eben nicht
nur das: Ein Foto zeigt etwa den Turmschacht des Kieler Ehrenmals Laboe.
Das hat er sowohl von unten als auch von oben fotografiert – als würde man
in diesen Schacht springen, stürzen, dort verschlungen werden. Oder der
Gasbehälter in Hamburg-Tiefstack: Da hat er sich auf den Rücken gelegt und
von innen den Deckel fotografiert, durch den Licht einfällt, so dass eine
weit über das Dokumentarische hinausgehende Wirkung fast wie in einer
Kathedrale entsteht, mit dieser filigranen Teleskoptreppe, die wie eine
Himmelsleiter ins Helle führt. So ein Bild wird autonom.
Ein Schritt zur Abstraktion.
Das auch. Viele von Scheels Treppenhaus-Fotos – etwa aus dem Haus seines
Haupt-Auftraggebers Karl Schneider – lösen sich vom Gegenstand und gehen
diesen Schritt.
Wer war Karl Schneider?
Ein Hamburger Architekt des Neuen Bauens, der zum Beispiel den zentralen
Block der Jarrestadt entworfen hat. Er hat Scheel entdeckt und zu seinem
Exklusiv-Fotografen gemacht.
Hat Scheel die soziale Komponente des Schneider’schen Bauens erfasst?
Ja. Auf einem Foto eines Innenhofs der Jarrestadt etwa hat er systematisch
die damals weiß gestrichenen Balkonbrüstungen vor- und hintereinander
gestaffelt, um den Bau nicht als Addition von Einzelwohnungen zu zeigen,
sondern als gemeinschaftlichen Ort des Lebens. Auf diesen Fotos zeigt die
Architektur genau das Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf die Bewohner
übertragen werden sollte.
Ein sozialistischer Ansatz.
Ja, und er zeigt: Scheel war nicht nur Fotograf des bürgerlichen Wohnens –
er hat auch Villen und Landhäuser fotografiert. Aber solche sozialen
Projekte haben es ihm besonders angetan.
Wo stand Scheel politisch?
Eher links. Er hat etwa für den Fackelreiter-Verlag, der pazifistische
Literatur edierte, Buchumschläge gestaltet. Die Nazis haben diese Bücher
später verbrannt. Scheel hat mir einmal gesagt, er habe sich mit einem
kleinen Zirkel Menschen nach 1933 in seinem Atelier getroffen, die
„natürlich links“ gewesen seien. 1937/38 ist er als angeblicher Anführer
der illegalen kommunistischen Jugend Hamburgs von der Gestapo verhaftet und
vier Wochen lang im Gefängnis Fuhlsbüttel festgehalten worden.
Aber er hat auch für das Nazi-Regime fotografiert.
Ja, er hatte natürlich auch Auftraggeber, die für das NS-Regime entworfen
haben. Einer von ihnen war Konstanty Gutschow, der „Architekt des
Elbufers“. Dessen Modell für das von Hitler gewünschte Gauforum in Altona
hat Scheel fotografiert; schon 1935 hatte er Gutschows Kakteenhäuser auf
der Niederdeutschen Gartenschau in Hamburg dokumentiert. Das heißt aber
nicht, dass er dem NS-Regime nahe stand. Es waren Auftragsarbeiten wie
andere auch. Er musste Geld verdienen.
Hat er noch mehr Gebäude des NS-Regimes fotografiert?
Er hat Bauten der Zeit nach 1933 fotografiert, er hat aber vor allem die
Folgen der geplanten großräumigen Abrisspolitik der Nazis dokumentiert,
indem er die klassizistischen Bauten der Palmaille wenigstens im Foto
bewahrte.
Wenn er eher links stand, hätte er solche Aufträge doch verweigern können.
Dann hätte er entweder emigrieren oder in den Untergrund gehen müssen – das
stand für Scheel nicht zur Diskussion.
Ging Scheels Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg weiter?
Er hat seit 1946 weiter fotografiert und das Grindelhochhaus-Projekt in
Hamburg begleitet. Da gibt es die Baugrube im winterlichen Schräglicht, die
Stahlskelett-Konstruktion, die fertigen Bauten – alles Bilder, von deren
Existenz man bis 2012 nichts wusste.
Warum nicht?
Weil Scheel im Krieg alles durch Bombenschäden verloren hat und mir in den
1980er-Jahren sagte, er habe nur noch drei Fotos. Ich habe auf dem
Flohmarkt noch Bestände gefunden und gemeinsam mit ihm begonnen, sein Werk
zu rekonstruieren. Die größte Überraschung war allerdings, dass mir seine
Tochter 2012 mitteilte, sie habe im Keller ihrer Mutter Kisten mit 8.000
Papierbildern und 5.000 Glasnegativen gefunden. Die habe ich identifiziert,
ausgewertet und zahlreiche Fotos aus den 50er-und 60er-Jahren gefunden. Das
war eine Arbeit von zwei Jahren.
Verändert dieser Fund den Blick auf Scheel?
Allerdings. Was diese Ausstellung und die jetzt erschienene Monographie
zeigen, ist ein Scheel, der nach dem Zweiten Weltkrieg an seine Bildkraft
der 1920er-Jahre anknüpft.
Ein Beispiel?
Da gibt es etwa die Fotos des Hamburger Audimax-Rohbaus bei Nacht. Scheel
hat dafür vier Scheinwerfer aufgebaut und eine sehr raffinierte Lichtregie
geführt, um die innen liegende Skulptur des Audimax zu zeigen. Den
Architekten Bernhard Hermkes sollen diese Fotos sogar zu Veränderungen
animiert haben. Das zeigt die Kongenialität zwischen dem Architekten und
dem Fotografen. Diesen Scheel hat man bisher nicht gekannt. Bis dahin hatte
sein Nachkriegswerk als eher belanglos gegolten. Dabei ist es von hohem
künstlerisch Rang - bei den Architekturfotos wie bei seinen freien
Arbeiten.
Frei, inwiefern?
Es sind Arbeiten, die ohne Auftraggeber entstanden sind, zum Beispiel das
Foto eines scheinbar willkürlich hingeworfenen Bretterhaufens an einer
Baugrube vom Ende der 1960er-Jahre. So ein Foto ist weder für den
Architekten noch für die Bauleute gedacht. Das ist ein freies Motiv von
hoher grafischer Qualität. Das gestattete er sich.
## „Der ganze Ernst Scheel. Eine Wiederentdeckung“: bis 5. Juli, Freie
Akademie der Künste, Klosterwall, Hamburg
## „Ernst Scheel. Fotograf 1903–1986“, hg. von Hans Bunge, Hartmut Frank
und Ullrich Schwarz, Dölling und Galitz Verlag 2015, 290 S., 39,90 Euro
19 May 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Neues Bauen
NS-Architektur
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