# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Iron Woman reicht nicht aus | |
> Regisseurin Claire Denis diskutiert über den Frauenmangel im Film. Wäre | |
> es nicht mal Zeit für ein Selbstreflektions-Programm der männlichen | |
> Kollegen? | |
Bild: Regisseurin Claire Denis („Beau Travail“, „Lintrus“). | |
Eine Suite im siebten Stock des Majestic-Barrière-Hotels, direkt an der | |
Croisette. Der Blick ist prächtig: Man sieht das Meer, die Jachten und die | |
Kreuzfahrtschiffe, ein paar Palmwipfel, die weißen Zeltdächer der | |
Länderpavillons, die zum Filmmarkt gehören, und, wenn man nach rechts | |
blickt, den Palais des Festivals in seiner brutalistischen Stattlichkeit. | |
Ich befinde mich in der Suite, weil die Kering-Gruppe, zu der unter anderem | |
Gucci gehört und die ein neuer Sponsor des Festivals ist, eine Initiative | |
lanciert hat, die der gerade in Cannes notorischen Unterrepräsentation | |
weiblicher Filmschaffender trotzen möchte. "Women in Motion" heißt diese | |
Initiative, der Gast an diesem Vormittag ist die Regisseurin Claire Denis | |
(„Beau Travail“, „L’intrus“), und außer mir sind noch etwa 35 andere | |
Neugierige gekommen, die meisten von ihnen Frauen. | |
Der Moderator, Todd McCarthy vom Branchenmagazin „Hollywood Reporter“, | |
stellt Denis als eine der „bedeutendsten Stimmen im französischen Kino“ | |
vor, betont, dass sie in Afrika aufgewachsen sei, und freut sich, weil sie | |
zwei Gäste mitgebracht hat, die chinesische Regisseurin Liu Shu und deren | |
Produzentin Liang Ying von der Firma Chinese Shadows, in der, eine | |
Seltenheit in China, nur Frauen arbeiten. | |
Liu Shu und Liang Ying nehmen an dem Programm „Fabrique des cinémas du | |
monde“ teil, bei dem Denis als Patin firmiert. Als McCarthy von ihr wissen | |
möchte, wie es war, als sie merkte, dass es so wenige Regisseurinnen gibt, | |
antwortet sie: „Eine Frau zu sein, hat mich nie von irgend etwas | |
abgehalten.“ Und: Wer Filme drehe, müsse ohnehin schon viele Zweifel | |
überwinden. „Wenn man dann vor allem deshalb zweifelt, weil man eine Frau | |
ist, gelingt einem gar nichts mehr.“ | |
Sie bewundere Künstlerinnen und Autorinnen wie Françoise Sagan. „Sie waren | |
unerschütterlich. Sie kannten keine Gnade.“ Ob sie jemals Schwierigkeiten | |
mit Crew-Mitgliedern erlebt habe, fragt McCarthy. „Vielleicht“, antwortet | |
Denis, damals, als sie Wim Wenders am Set von „Paris Texas“ (1984) | |
assistierte. Am ersten Drehtag, danach nicht mehr. Für sie sei es, „als | |
ginge ich im Regen, ohne nass zu werden.“ | |
Die Rhetorik der Stärke steht im Kontrast zu Denis’ zierlicher Erscheinung, | |
ihrer leisen, rauhen Stimme und auch zu den vielen Statistiken, die den | |
Frauenmangel im Regie- und Kamerafach belegen. Risse bekommt sie gegen Ende | |
des Gesprächs, als Denis erzählt, dass sie manchmal in den Augen ihres | |
Gegenübers doch Zweifel aufblitzen sehe, Zweifel, ob sie als Frau den | |
Herausforderungen des Filmemachens gewachsen sei. „Ich muss Iron Man sein, | |
Iron Woman reicht nicht.“ | |
## „Men in Motion“? | |
Wer wie Denis individuelle Stärke gegen strukturelle Schieflagen setzt, | |
verdient allen Respekt der Welt, zumal, wenn dabei ein so herausragendes | |
Werk entsteht wie in ihrem Fall. Zugleich frage ich mich, wie es wohl ist, | |
in einem Kontext wie diesem darüber zu sprechen, dass man in einem | |
männerdominierten Metier arbeitet, obwohl man doch vermeiden möchte, auf | |
sein Geschlecht festgelegt, reduziert zu werden. Vielleicht ist es nur ein | |
strategisches Akzeptieren einer Rolle, die man dann wieder hinter sich | |
lässt. | |
Und trotzdem läuft eine Gesprächsrunde wie diese auch Gefahr, einer | |
Selbstghettoisierung zuzuarbeiten. Wäre es nicht mal an der Zeit für ein | |
Selbstreflexionsprogramm namens „Men in Motion“, in dem Regisseure sich | |
damit auseinandersetzen, warum sie so oft unter sich bleiben? Zeit für | |
Workshops zum Thema Privilegien, wie man sie abbauen kann und was man | |
gewinnt, wenn man das tut? | |
Für mindestens eine Erkenntnis ist der Termin in der Hotelsuite gut. Liu | |
Shu schwärmt von „Beau travail“: So oft sehe man in Filmen Frauen durch die | |
Augen von Männern, in „Beau Travail“ sei es andersherum, und das bereite | |
großes Vergnügen. Und sie klagt über die Uniformität des chinesischen | |
Fernsehens, darüber, dass es so viele Geschichten voller überkommener | |
Geschlechterrollen gebe. Aufopferungsvolle Mütter, Männer mit sieben | |
Geliebten. Liang Ying, die junge Produzentin, ergänzt, in China habe es nie | |
eine Frauenbewegung gegeben. „Wenn wir von Gleichheit reden, wissen wir gar | |
nicht, was damit gemeint ist.“ | |
18 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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