# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Hertha und der Toilettengang | |
> Geheimfavoriten andersrum: Die Berliner Fußballprofis verabschieden sich | |
> wieder einmal aus der Bundesliga und keiner bekommt es mit. | |
Bild: Auch die Spieler vermeiden es, genauer hinzusehen | |
Die Spannung im Raum ist kaum zum Aushalten. So viele Teams waren schon | |
lange nicht mehr in den Abstiegskampf verwickelt. Und in der | |
Multikultifußballstadt Berlin drängen sich in einen dunklen Kneipenraum in | |
Prenzlauer Berg Fans unterschiedlichster Couleur zusammen. HSV-Anhänger | |
sitzen mit durchfurchten Gesichtern vor den Flachbildschirmen, | |
Exil-Freiburger stöhnen auf, weil der FC Bayern sich offenbar doch etwas | |
anstrengen will. Ein paar 96-Fans freuen sich über den Führungstreffer in | |
Augsburg. Ja, und selbst Wahl-Paderborner gibt es hier, die einer Chance | |
nach der anderen hinterhertrauern. Das Karussell der Gefühle dreht sich | |
immer schneller. Doch dann ist endlich Hertha bei der Konferenzschaltung | |
dran. | |
Die Lage beruhigt sich. Handys werden gezückt, einige gehen Bier holen, | |
andere auf die Toilette. Einer, der weiter auf den Bildschirm schaut und | |
den Regen wahrnimmt, fragt: „Ist das Spiel in Berlin? Mist, ich wollte in | |
der Pause draußen eine rauchen.“ Dass Hertha mitmischt im Abstiegskampf, | |
den gerade hier alle so leidenschaftlich verfolgen, wird einfach ignoriert. | |
Um die Integration der Hertha-Fans ist es wahrlich nicht gut bestellt in | |
Berlin. Sie ziehen sich in der Hauptstadt in ihre Ghettos zurück – in ihre | |
Hertha-Klausen. Sportbars mit rustikalem Mobiliar und ranzigen Vorhängen. | |
Wer den Berliner Mikrokosmos kennt, weiß darum. | |
Jahrelang hat sich der um Aufmerksamkeit buhlende Klub darüber gegrämt. Nun | |
scheint die Unscheinbarkeit aber zum Programm geworden zu sein. Es ist | |
erstaunlich, wie es dem Verein zuletzt gelungen ist, sich trotz seiner | |
Pleitenserie außerhalb des Radars des Abstiegskampfes zu bewegen. Die | |
Krisenberichterstattung konnte man auf diese Weise zwar lokal begrenzen, | |
die Entwicklung birgt aber auch Gefahren. Der Verein ist dabei, den Begriff | |
des Geheimfavoriten mit neuem Leben zu füllen. Ansonsten gelten ja immer | |
die Teams als Geheimfavoriten, von denen alle sprechen. Vor der WM in | |
Brasilien etwa die kolumbianische Nationalmannschaft. | |
## Trügerische Sicherheit | |
Die Berliner muss man unterdessen im Abstiegskampf favorisieren. Sie haben | |
das Zeug dazu, wirklich klammheimlich die erste Liga zu verlassen. Dazu | |
muss nichts Außergewöhnliches passieren. Hannover und Freiburg trennen sich | |
nächsten Samstag einvernehmlich unentschieden, der aufstrebende VfB | |
Stuttgart gewinnt mit zwei Toren Abstand in Paderborn und Hertha verliert | |
ebenso hoch in Hoffenheim. Ein Relegationsplatz wäre die Folge. Und in | |
derartige Entscheidungsspiele würden die Berliner völlig unvorbereitet | |
hineinstolpern. Spieler und Trainer vermittelten bis zuletzt eine | |
trügerische Sicherheit. Pal Dardai witzelte am Samstag, man werden mit | |
Messern zwischen den Zähnen nach Hoffenheim zum letzten Spieltag reisen und | |
sich der Abstiegsgefahr erwehren. | |
Außerhalb der Hertha-Ghettos in Berlin wird sich die Abwesenheit des | |
Vereins in der Eliteliga kaum bemerkbar machen. Sie spielen sowieso schon | |
außerhalb der Konkurrenz. Wobei ein Problem stellt sich doch in einer | |
herthafreien Bundesliga: Wann geht man künftig am besten auf Toilette? | |
17 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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