# taz.de -- Erdbeeren: Viel zu frühe Früchtchen | |
> Jetzt im Supermarkt: Früherdbeeren aus Spanien, oft illegal angebaut. | |
> Weil Verbraucher frisches Obst wollen, veröden in Südspanien ganze | |
> Landstriche. | |
Bild: Lecker grüne Erdbeeren... | |
DOÑANA Vicente Conde ist zufrieden. Die Lkw-Ladefläche ist voll. | |
Kistenstapel voller schön gewachsener, roter Erdbeeren reihen sich | |
aneinander. "Der Erlös ist gut", freut sich der Besitzer von zehn Hektar | |
Erdbeerfeldern unweit des südspanischen Nationalparks Doñana. Es ist | |
Februar, und der Markt in Mittel- und Nordeuropa lechzt regelrecht nach den | |
frühen Früchten, die in Spanien unter Folienzelten wachsen. | |
10.000 Euro lassen sich mit einem Hektar verdienen, "kein schlechtes | |
Geschäft", sagt Vicente Conde. Sein Familienunternehmen Fresconde ernährt | |
ihn nun schon seit zwölf Jahren. Aber das Ganze hat einen kleinen | |
Schönheitsfehler. Fresconde gehört zu den Erdbeerproduzenten, die spanische | |
und internationale Umweltschutzorganisationen, allen voran der World Wide | |
Fund for Nature (WWF), als "doppelt illegal" bezeichnen. Das heißt, sowohl | |
das Land, auf dem die Beeren wachsen, als auch das Wasser, mit dem sie | |
gegossen werden, nutzt der Bauer widerrechtlich. | |
Vor mehr als zwanzig Jahren hat Vicente Condes Vater ein Stück Wald von der | |
Gemeinde Lucena gepachtet - zur Bewirtschaftung. Aber statt Pinienkerne aus | |
den Zapfen zu klauben, rodete die Familie kurzerhand die zehn Hektar, | |
bohrte vier Grundwasserbrunnen - alles ohne Genehmigung - und begann mit | |
dem Erdbeeranbau. Noch heute ist sich Vicente Conde keiner Schuld bewusst. | |
"Das haben hier doch alle so gemacht", sagt der Mann Anfang vierzig. Damals | |
schaute die Gemeinde- und Regionalverwaltung einfach weg. Andalusien war | |
arm. Erdbeeren brachten endlich Arbeit und bescheidenen Wohlstand. Heute | |
werden in der Region 300.000 Tonnen produziert, die Hälfte davon für den | |
Export. | |
Fresconde ist kein Einzelfall. Überall rund um das weitverzweigte | |
Mündungsdelta des einzigen schiffbaren Flusses Spaniens, des Guadalquivir, | |
fressen sich die illegalen Obstplantagen in die Gemeindewälder. Die Region | |
sieht aus wie ein Mosaik aus in der Sonne glänzenden Folienzelten und den | |
Resten des einst zusammenhängenden mediterranen Pinienwaldstücks. Von den | |
6.000 Hektar Erdbeerfeldern befinden sich 2.000 auf Gelände, das nie für | |
Landwirtschaft ausgewiesen wurde. Beim Wasserverbrauch sieht es noch | |
schlimmer aus: Zwischen 50 und 70 Prozent stammen aus illegalen | |
Grundwasserbrunnen. | |
Sie aufzuspüren und zu schließen ist die Arbeit von Javier Serrano. Der | |
Wasserkommissar des Beckens des Guadalquivir sagt: "Allein in und rund um | |
die Erdbeerplantagen gibt es 1.700 illegale Brunnen." Auf einer Karte hat | |
er sie alle fein säuberlich eingezeichnet. Viele der Bohrlöcher liegen | |
irgendwo im Wald. Von einer Plantage verläuft ein Stromkabel bis zur Pumpe, | |
über Plastikrohre fließt das Wasser auf die Felder. Die Umweltsünde ist für | |
alle sichtbar, wirklich eingegriffen hat bisher aber niemand. "In vielen | |
Fällen haben die Gemeindeverwaltungen die Leute zum Bohren animiert", | |
erklärt Serrano, nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Seit zwei | |
Jahren nun verfolgt seine Behörde dieses Treiben. "200 Anzeigen haben wir | |
bisher erstattet, 20 Brunnen wurden nach der richterlichen Anordnung mit | |
Beton zugeschüttet." Die Bauern hassen ihn dafür. | |
Die Auswirkungen des Raubbaus an der Natur sind längst überall zu sehen. | |
Kleine Wasserläufe, die das gesamte Delta durchziehen, trocknen immer | |
häufiger aus. Die Vegetation, die einst die Ufer gestützt hat, ist | |
eingegangen, die Folge: Bodenerosion. Überall liegen Plastikfolien herum, | |
der Wind hat sie aus den Plantagen herübergeweht. Vor Jahren sah es noch | |
schlimmer aus. Mittlerweile wird der Großteil der jährlich 4.500 Tonnen | |
Plastik eingesammelt und recycelt. | |
Am meisten aber leidet der Nationalpark Doñana unter dem unkontrollierten | |
Erdbeeranbau und seinen Folgen. "Der Rocina-Fluss führt heute nur noch halb | |
so viel Wasser wie vor 30 Jahren", erklärt Guido Schmidt. Der | |
Deutsch-Spanier ist der Wasserspezialist der spanischen Niederlassung des | |
WWF. Der Rocina ist zwar nicht der größte der vier Flüsse, die das | |
Mündungsdelta im Doñana speisen. Doch im Gegensatz zu den anderen führt er | |
fast das ganze Jahr über Wasser und reguliert so den Wasserstand des | |
100.000 Hektar großen Feuchtgebietes, das alljährlich sechs Millionen | |
Zugvögeln als Rastplatz auf ihren Flügen dient. | |
"Der Rocina trocknet immer früher aus", beschwert sich Schmidt. Früher | |
versiegte der Fluss jedes Jahr gegen September, und im Oktober begann es | |
dann wieder zu regnen. Aber in den letzten fünf Jahren ist schon im Juni | |
Schluss gewesen. Die Lagunen werden immer kleiner, Teile des Feuchtgebietes | |
versteppen, und durch das Abholzen des Waldes nimmt die Bodenerosion weiter | |
zu. Die Flüsse schwemmen immer mehr Sand in das weit verzweigte System aus | |
Bächen und Lagunen - das Land wächst und verdrängt das Wasser. | |
Schmidt besucht Erdbeerbauer José Caceres. Er ist Besitzer von Guaperal, | |
einer Pilotplantage, auf der der WWF Forschungen zur Einschränkung des | |
Wasserverbrauchs unterstützt. Caceres hat seine 30 Hektar vor 20 Jahren | |
legal gepachtet, seine Brunnen wurden mit Genehmigung gebohrt und werden | |
heute von mehreren Landwirten unter Aufsicht der Behörden gemeinsam | |
betrieben. | |
"Wir investieren immer wieder in neue Technologie", erklärt Caceres stolz. | |
In einigen Tunnelzelten haben die Ingenieure Sonden angebracht, die messen, | |
wie viel Wasser und Düngemittel aus der Tröpfchenbewässerung nicht von den | |
Erdbeerpflanzen aufgenommen werden. Die Daten werden an einen Rechner | |
gefunkt, der sofort die Parameter neu einstellt. Das überflüssige Wasser | |
mit den darin gelösten Düngemitteln wird in einem Drainagesystem | |
aufgefangen und erneut der Bewässerung zugeführt. | |
Erste Schätzungen zeigen, dass es so möglich ist, den Düngemitteleinsatz um | |
bis zu 15 Prozent und den Wasserverbrauch um 25 Prozent zu senken. Allein | |
auf der Farm von Caceres wären das 30.000 Kubikmeter im Jahr. Ein Hektar | |
herkömmlichen Erdbeeranbaus braucht jährlich 4.000 Kubikmeter Wasser, "mit | |
der neuen Technik werden es nur noch 3.000", hofft Caceres. "Insgesamt | |
könnten wir so pro Jahr 18.000 Euro sparen." Die Investition in die neue | |
Technologie macht sich nicht nur für die Natur bezahlt. | |
Zugleich versucht der WWF die Supermarktketten in Europa zu bewegen, nur | |
"doppelt legale Erdbeeren" einzukaufen, also Früchte, die unter | |
nachhaltigen Gesichtspunkten angebaut sind. Einen ersten, wenn auch kleinen | |
Erfolg kann der WWF verbuchen: Die holländische Supermarktkette Albert | |
Heijn hat zugesichert, künftig nur noch legale Erdbeeren zu verkaufen. Die | |
Kisten werden zusammen mit dem WWF mit einem Logo versehen, eine kleine | |
Informationsbroschüre wird beigelegt. Noch in dieser Saison sollen | |
Supermarktketten in anderen Ländern folgen. | |
Mit der Kampagne soll erreicht werden, dass die illegalen Plantagen | |
verschwinden, um sie anschließend wieder aufforsten zu können. Ein erster | |
Schritt soll ein System aus so genannten grünen Korridoren sein. Diese | |
naturbelassenen Gebiete entlang der wichtigsten Wasserläufe soll es den | |
bedrohten Tierarten im Doñana - etwa Luchs und Otter - ermöglichen, sich | |
ungehindert durch ihr Revier zu bewegen. Aber damit das klappen kann, | |
müssen 1.400 Hektar illegaler Plantagen verschwinden. Dem WWF schwebt eine | |
Verlegung der Felder in andere, weniger sensible Gebiete vor. Die Behörden | |
vor Ort seien zwar interessiert, sagt Schmidt, "aber ohne öffentlichen | |
Druck werden sie den Plan kaum umsetzen". Die ökonomischen Interessen vor | |
Ort sind einfach zu stark. | |
Naturschützer Schmidt ist ungeduldig. "Es bleibt nur wenig Zeit für ein | |
Umdenken im Geschäft mit der Früherdbeere", sagt er. "Wenn wir nicht bald | |
einschreiten, gibt es in wenigen Jahrzehnten im Doñana gar nichts mehr - | |
weder Erdbeerplantagen noch Feuchtgebiete." | |
12 Feb 2007 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Spanien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sorge um Doñana-Park in Südspanien: Gefahr fürs Weltnaturerbe | |
Der Bau eines Gaslagers bedroht den Doñana-Nationalpark im Süden Spaniens. | |
Er ist ein wichtiger Haltepunkt für Zugvögel. |