# taz.de -- Deutscher Film: Die Starre der Reptilien | |
> Viel Licht, viel Melancholie: Thomas Arslans neuer Film "Ferien" beweist | |
> Gefühl für den Schauplatz, sperrt seine Figuren aber in allzu enge | |
> Bildrahmen. | |
Bild: Sommerpause: Karoline Eichhorn und Anja Schneider | |
Hochsommer in der Uckermark. Ein Haus steht isoliert im Wald. Der Garten | |
ist groß und an den Rändern verwachsen, die Baumkronen sind dicht und grün. | |
Es gibt ein paar Holzmöbel, eine Sitzgruppe, eine Bank im hüfthohen Gras. | |
Eine Wäscheleine spannt sich zwischen Obstbäumen. In der Nähe liegt ein | |
See, die Kamera schaut auf das Wasser und das Schilf, nach dem Schnitt auf | |
das leicht abschüssige Ufer. Tagsüber scheint fast immer die Sonne. Nachts | |
bleibt die Kamera manchmal im Garten, von draußen schaut sie auf das hell | |
erleuchtete Esszimmer und auf die schattenhaften Gestalten darin. Sie ist | |
dann wie eine Fremde, der der Zutritt verwehrt ist. | |
Der Schauplatz von Thomas Arslans neuem Spielfilm "Ferien" ruft idyllische | |
Assoziationen hervor: Bilder von Sommerfrische, von Frühstück unterm | |
Obstbaum, von Müßiggang am Wasser und in der Wiese, von langen, lauschigen | |
Abenden. Doch der Berliner Regisseur hat etwas anderes im Sinn. "Ferien" | |
führt die vier Generationen einer Familie zusammen; wo Familie ist, | |
verschleißt Idylle rasch. Als wäre das Haus ein Spiegel hierfür, sagt Anna | |
(Angela Winkler) schon in einer der ersten Szenen: "Das Haus verödet | |
langsam." Später bekräftigt sie: "Dieses Haus - ich kann es einfach nicht | |
mehr sehen." | |
Anna wohnt mit ihrem Mann Robert (Wigand Witting) und dem fast erwachsenen | |
Sohn Max (Amir Hadzic) schon lange in der Uckermark; zu Besuch kommen ihre | |
Töchter aus erster Ehe, Sophie (Anja Schneider) und Laura (Karoline | |
Eichhorn), beide dürften Mitte 30 sein. Laura bringt ihren Mann Paul (Uwe | |
Bohm) und ihre beiden Kinder mit. Später zieht noch die namenlos bleibende | |
Mutter Annas ein (Gudrun Ritter). Konflikte und Spannungen werden | |
angedeutet. Zwischen Anna und Laura herrscht eine verhaltene Aggressivität, | |
zwischen den jeweiligen Eheleuten merkwürdige Distanziertheit. Anna und | |
Robert treffen sich selten im selben Bild; Laura und Paul haben sich nicht | |
viel zu sagen. Wenn Paul beim Zubettgehen Witze über eine neue Bauchfalte | |
Lauras macht, findet Laura das nicht zum Lachen. "Ich bin wahnsinnig müde", | |
sagt sie und dreht sich zur Seite. Es dauert nicht lange, und Paul muss | |
sich ein neues Schlafquartier suchen. Er wird das im Verlauf von "Ferien" | |
ein paar Mal tun: eine traurige Gestalt, das Bettzeug unter den Arm | |
geklemmt, der Körper schon nicht mehr in Form. Fast allen Figuren eignet | |
eine reptiliengleiche Starre. "Warum schläfst du eigentlich den ganzen | |
Tag", will Laura einmal von Anna wissen, nachdem die auf einem Gartenstuhl | |
eingenickt ist. "Ich habe nicht geschlafen, ich habe mich ausgeruht", | |
antwortet Anna. "Wovon denn?", kontert Laura. | |
Die Bilder und die Montage sind dabei von ausgesuchter, kristalliner | |
Strenge. Thomas Arslan hat jene Kino-Erneuerung mitbegründet, die heute, | |
der Einfachheit halber, unter dem Label Berliner Schule firmiert. Schon | |
seine frühen Arbeiten - "Geschwister - Kardesler" (1996) und "Dealer" | |
(1998) zum Beispiel - hatten eine Gabe, die "Ferien" nun vervollkommnet. | |
Arslans Filme geben auf, was ihnen an Erklärung und Erzählung überflüssig | |
erscheint; sie konzentrieren sich auf die Komposition der Bilder, und in | |
dieser freiwilligen Beschränkung gelingt ihnen etwas Herausragendes: Sie | |
lehren zu sehen. Indem man sich in die durchkomponierten, statischen | |
Einstellungen vertieft, erhält man ein Bewusstsein davon, was die | |
Fundamente von Film sind. Man begreift, warum es wichtig ist, wie Figuren | |
im Bild aufgestellt sind, welches Gesicht im Profil, welches frontal zu | |
sehen ist, man verfolgt, wie ein und derselbe Schauplatz wiederkehrt, aus | |
einer je anderen Perspektive gefilmt, oder wie ein und dasselbe Bild | |
aussieht, wenn es mal von Figuren oder Gegenständen bevölkert ist, mal | |
nicht. In "Ferien" sieht man einen Holztisch, daran Laura und deren | |
Großmutter, später denselben Holztisch, diesmal verwaist. Man sieht eine | |
Wäscheleine mit trocknenden Tüchern, später eine kaum wahrnehmbare | |
Wäscheleine ohne Wäsche, wie ein dünnes Flirren im Nichts, eine | |
Tischtennisplatte, an der die Kinder spielen, und später dieselbe | |
Tischtennisplatte, über der, fast unsichtbar, ein Mückenschwarm surrt. | |
Was in der klaren, lichten Folge dieser Bilder entsteht, ist ein | |
ausgeprägtes Gefühl für den Schauplatz. Man gewinnt eine Art Grundriss im | |
Kopf. Denn wenn man ein bestimmtes Möbelstück onscreen erblickt, weiß man | |
nach einer Weile, wie es sich zu anderen Möbelstücken und Räumen verhält, | |
die gerade nicht im Bild sind; im besten Fall sieht man eine Einstellung | |
und hat den imaginären Gegenschuss dazu vor Augen. Die klaren Setzungen, | |
die Ruhe der Kamera, die Entschiedenheit, mit der sich jedes Bild an der | |
richtigen Stelle weiß: All dies ist bewundernswert. Hinzu kommt, wie | |
präzise die Bilder kadriert sind. Michael Wiesweg, der Kameramann, schafft | |
oft einen zweiten Rahmen im Bild, indem er etwa von außen durch ein Fenster | |
schaut. So sind die Figuren doppelt umschlossen, vom Bildkader und vom | |
Fensterrahmen. | |
Doch die Hochachtung für die Form hat eine Kehrseite. Die Strenge steht im | |
Kontrast zu den zunächst nur verhalten ausgespielten, später evident | |
werdenden emotionalen Verwirrungen der Figuren. In einer nächtlichen Szene | |
etwa berichtet Laura mehr, als dass sie Paul gesteht: "Ich hab jemanden | |
kennengelernt." Laura und Paul sitzen im Wohnzimmer, in einer halbnahen | |
Einstellung, Paul links, im Profil, Laura rechts, frontal dem Publikum | |
zugewandt, auf dem Couchtisch zwischen ihren beiden Sesseln steht eine | |
Lampe, die sich ihrer auffälligen, geometrischen Musterung wegen ins | |
Bildzentrum drängt. Der Dialog ist, vielleicht absichtlich, ein bisschen | |
hölzern gestaltet. Die Verwirrung Lauras und die Verletzung Pauls finden | |
nirgends eine Entsprechung - weder in der Starre noch in den gedämpften | |
Farben noch in der Dauer des Bildes. | |
Nun steht es in den Filmen, die der Berliner Schule zugerechnet werden, aus | |
gutem Grund nicht hoch im Kurs, wenn Gefühle ausgespielt werden. Denn das | |
Gefühl ist oft die billigste Währung beim Kinomachen: ein bisschen Musik | |
hier, eine Träne da, in der Luft rudernde Arme, Schreie, Gesichtsausdrücke | |
ohne jedes Geheimnis - das sind leicht zu habende Effekte, und Arslan tut | |
gut daran, darauf zu verzichten. Zugleich aber bedeutet es eine Zumutung, | |
die Figuren im engen Rahmen und der langen Dauer dieser einen nächtlichen | |
Szene stillzustellen, obwohl für sie gerade ihr ganzes gemeinsames Leben | |
auf dem Spiel steht. Laura und Paul haben nicht mehr Raum als den, der | |
zwischen ihnen und dem Bildrand liegt, und dieser Raum ist so knapp | |
bemessen, dass ihnen, im Gefängnis der Form, nur eine merkwürdige | |
Reglosigkeit bleibt. Man ist versucht, sich vorzustellen, was passierte, | |
ließen Laura und Paul ihren Gefühlen freien Lauf. Dann knallten diese | |
Gefühle sofort an den Bildrand; von dort fielen sie mit solcher Wucht auf | |
die Figuren zurück, dass diese doppelt gebrochen wären, einmal von dem, was | |
sie sich gerade zufügen, zum anderen vom unnachgiebigen Rahmen. | |
So drängt sich die Frage auf, ob Arslan diese Zumutung bewusst setzt. Ist | |
der Kontrast produktiv? Oder eine Art von Hilflosigkeit? Ein Diktat der | |
strengen Form, an dem "Ferien" festhält, koste es, was es wolle? Und könnte | |
es sein, dass jede Form ihre spezifische Zeit und ihren spezifischen | |
Kontext hat? Arslans Konzentration auf eine moderne, klare, lichte | |
Filmsprache war sinnvoll, solange es galt, diese im deutschen Kino | |
verschüttete Art, Filme zu drehen, wieder ins Recht zu setzen, als es galt, | |
den von Til Schweiger, Doris Dörrie und Bernd Eichinger vernebelten Blick | |
scharf zu stellen. Ob sie zehn Jahre später immer noch so zwingend ist, wie | |
"Ferien" glauben macht, ist fraglich. Wenn es darum geht, ein ästhetisches | |
Programm zu erfüllen, macht Arslan sicherlich alles richtig. Wenn es aber | |
darum geht, der Bandbreite von Emotionen, ihrer Filigranität, ihrer | |
Widersprüchlichkeit gerecht zu werden, schlägt die Strenge plötzlich in | |
Unsicherheit um; sie wirkt wie ein Mittel, mit dem sich Arslan die | |
schmerzhafte Fülle des Geschehens vom Leib hält. | |
Dass man seine Formen vervielfältigen kann, ohne deshalb die | |
kinematographische Moderne zu verraten, haben in letzter Zeit einige Filme | |
verstanden - etwa Suwa Nobuhiros in Paris gedrehter Film "Ein perfektes | |
Paar", der in langen, die Schärfe und die Ausleuchtung bewusst | |
vernachlässigenden Einstellungen die Krise eines Paares in seinem | |
fünfzehnten Jahr ausbreitet. Für das Ungestillte im Leben findet Valeska | |
Grisebachs "Sehnsucht" eine berückende Bildfolge, als sie den Protagonisten | |
im Dorfgasthof zu Robbie Williams "Feel" tanzen lässt: "Cause I got so | |
much, life running through my veins, going to waste". Der Song behauptet | |
eine Einzigartigkeit von Gefühl, macht das Gefühl aber zugleich zum | |
eingängigen Produkt für die Massen. Genau in dieser Spannung bewegt sich | |
Grisebachs Anordnung - zwischen dem singulären Lebenshunger, in dessen | |
Folge die geregelte Existenz von drei Menschen aus den Fugen gerät, und | |
dem, was daran Überlieferung, Allgemeingut, Ware wird. Die Tanzszene endet | |
mit einem harten Schnitt, der Protagonist wacht in einem fremden | |
Schlafzimmer auf, sein Lebenshunger ist gerade erst geweckt. | |
Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, Grisebach gegen Arslan | |
auszuspielen, sondern um einen Wunsch: dass die Filmemacher, die der | |
Berliner Schule zugerechnet werden, sich in die Lage versetzen, ihr | |
Repertoire zu erweitern. Dass sie nicht erstarren, nicht dogmatisch werden, | |
kaum haben sie es zur (von ihnen selbst ja eher ungeliebten) "Schule" | |
gebracht. Das gilt für die Formen wie für die Figuren. Den Protagonisten | |
von "Ferien" möchte man manchmal zurufen: Wovon müsst ihr ihr euch nur | |
immerzu ausruhen? Warum habt ihr diese Starre der Reptilien? Warum begreift | |
ihr euer Leben nicht als etwas, was sich gestalten lässt, warum erscheint | |
es euch wie ein zähe Masse, in der ihr hilflos rudert? | |
Auf dieser mikroskopischen Ebene tritt etwas zutage, was über die Figuren | |
in "Ferien" und über das Private ihrer Konflikte und Probleme hinausweist. | |
Denn vielleicht ist es an der Zeit, die starren, selbstbezüglichen, von | |
Melancholie getränkten Lebensentwürfe nicht nur in der Fiktion | |
auszubreiten, sondern sie in Frage zu stellen: Woher rührt diese | |
Melancholie? Wer weiß, vielleicht gibt es ja Alternativen; vielleicht lässt | |
sich der Krise der Handlungsfähigkeit, der Arslans Figuren verfallen, | |
weniger deskriptiv als vielmehr analytisch beikommen. | |
All das ändert nichts daran, dass "Ferien" ein durch und durch sehenswerter | |
Film ist. Er wäre es umso mehr, ginge er das Wagnis ein, loszulassen. | |
13 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Artenschutz | |
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