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# taz.de -- Tarantino-Film: Der doppelte Spaß
> In Quentin Tarantinos neuem Film "Death Proof" gibt es: tolle Frauen,
> postfeministisch-rasanten Spaß ohne Jungs und allerhand Filmzitate.
> Sofort ansehen!
Bild: Von den Tarantino-Frauen können kleine Pornorapper noch viel lernen
Wollte man Quentin Tarantinos neuen Film "Death Proof" in einem einzigen
Satz zusammenfassen, man landete unweigerlich bei dem Titel eines Songs,
den Cindy Lauper 1983 in die Ohren aller Teenager pflanzte. "Girls just
want to have fun." Mädchen wollen Spaß. Okay, dieser Song ist viel zu
uncool, um jemals in einem Tarantino-Soundtrack aufzutauchen. Doch so viel
steht fest: Tarantino hat ein Riesenvergnügen daran, seinen Heldinnen beim
Spaßhaben zuzuschauen. Und indem er ihnen zuschaut, bereitet er uns ein
nicht minder großes Vergnügen.
Etwa dann, wenn Abernathy (Rosario Dawson), Kim (Tracy Thoms) und Zoë (Zoë
Bell) in einem weißen Dodge Challenger, Baujahr 1970, durch das trockene
Hinterland von Lebanon, Tennesse, brausen. Für die beiden Stuntfrauen Kim
und Zoë ist dieser Wagen ein libidinös besetztes Objekt, weil sie ihn aus
einem ihrer Lieblingsfilme, "Vanishing Point" von Richard C. Sarafian,
kennen. Voraus geht einer dieser für Tarantino typischen Dialoge, in denen
popkulturelles Wissen ausgebreitet wird. "Was ist ,Vanishing Point'?" fragt
Abernathy. Kim antwortet: "Die meisten Frauen kennen ,Vanishing Point'
nicht. Die mögen ,Pretty in Pink'." Wer woran Spaß hat, das hat etwas mit
Gender zu tun, ist aber zugleich nicht naturgegeben, sondern verrückbar.
Zumindest in Tarantinos Universum. Anderswo, in "Vanishing Point" etwa, dem
Film aus dem Jahr 1971, eher nicht. Dort will ein schweigsamer
Vietnam-Veteran und Rennfahrer namens Kowalski (Barry Newman) einen weißen
Dodge Challenger von Denver nach San Franciso überstellen, in kürzester
Zeit und mit viel Speed im Blut. Die Bundespolizei von Colorado, Nevada,
Utah und Kalifornien heftet sich bald an seine Fersen; toll daran sind vor
allem die Panoramatotalen der Wüsten- und Berglandschaften, die der weiße
Wagen durchmisst; toll ist die Lakonie des Endes und dass man nie so recht
weiß, warum Kowalski tut, was er tut. Ein bisschen albern freilich sind die
Softcoreszenen - etwa die nackte, blonde Motorradfahrerin, die sich
Kowalski in einem hide out in der Wüste anbietet. Wenn Kim und Zoë diesen
Film schätzen, müssen sie zugleich mit einem Widerspruch klarkommen: Der
Film bietet ihnen die Position der nackten Blondine an, obwohl sie nach
Kowalskis Position verlangen. Es ist dies ein Widerspruch, der "Death
Proof" wie ein leistungsstarker Motor antreibt.
Mit dem Dodge Challenger wollen Kim und Zoë "Schiffsmast" spielen - besser
gesagt: Zoë will, Kim nicht. Deshalb verhandeln sie zunächst einmal lange
darüber, was Kim im Austausch dafür erhält, dass sie den Wagen mit großem
Tempo steuert, während Zoë auf der Motorhaube liegt und sich nur an zwei an
den Seitenfenstern befestigten Gürteln festhält. Das Ergebnis: Kim bekommt
Rücken- und Fußmassagen, wann immer ihr danach ist. "Und nach dem Duschen
cremst du mir den Po ein."
Spaß ist nicht so ohne weiteres zu haben; man nimmt ihn sich nicht einfach.
Spaß ist Verhandlungssache, Spaß bedeutet, gegenläufige Wünsche und Gelüste
in Einklang zu bringen. Deshalb dauert es in "Death Proof" immer eine
Weile, bis Tarantinos Heldinnen den Spaß ausleben, bis Zoë bei voller Fahrt
aus dem Beifahrerfenster klettert, sich kurz aufs Dach setzt und dann über
die Windschutzscheibe nach vorne gleitet, um sich der Lust an Gefahr und
Geschwindigkeit hinzugeben. Als es endlich soweit ist, weiß man gar nicht,
was schöner ist: Zoës unbändige Freude über ihren eigenen Leichtsinn, über
ihren Körper im Fahrtwind und den Rausch der Geschwindigkeit? Oder doch der
Gegenschuss ins Wageninnere, die Nahaufnahme von Abernathys Gesicht, die
halbe Minute, in der ihr Entsetzen in leichtes Befremden, dann Erstaunen
und schließlich in Begeisterung über den Wahnsinn ihrer Freundin übergeht?
Ungeschoren lässt Tarantino seine Heldinnen jedoch nicht davonkommen. Kaum
liegt Zoë auf der Kühlerhaube, lässt der Regisseur Stuntman Mike auftreten
(Kurt Russel), den Mann, über den es vorher einmal heißt, die Narbe in
seinem Gesicht rühre "vom Sturz aus einer Zeitmaschine". Mike ist der große
Spielverderber. Denn Mike hat ein anderes Verständnis von Spaß - keines von
Wortwitz, Flow, Verhandlung und Genuss, sondern eines, bei dem andere
draufgehen müssen. Mike will über Spaß nicht reden, er will ihn sich
nehmen. Er verfolgt die jungen Frauen; nicht zufällig sieht man ihn ein
paar Mal, wie er sie mit Hilfe optischer Apparate, einer
Spiegelreflexkamera, eines Fernglases, ausspäht. Genausowenig ist es
Zufall, dass er, vor der großen Verfolgungsjagd, auf der Kühlerhaube seines
Wagens sitzt, die Kühlerfigur wie eine Erektion zwischen den Beinen. Wie
Tarantino den Sadismus von Stuntman Mike erst sexuell auflädt und ihn dann
gegen das Genießen von Zoë, Kim und Abernathy ins Rennen schickt, das
ergibt einen Showdown, der die Bezeichnung spektakulär verdient.
Dieser Showdown ist zugleich die Reprise einer Sequenz, die in der Mitte
des Filmes vorkommt - so wie insgesamt die zweite Hälfte von "Death Proof"
eine Reprise der ersten Hälfte ist. In dieser anderen Autoszene fährt eine
andere Frauenposse - DJ Jungle Julia (Sydney Tamiia Poitier) und ihre drei
Freundinnen - in einer regennassen, warmen Nacht zu einem Haus am See. Alle
sind ein bisschen breit, die Nacht war lang in Austin, Texas. Sie haben
getrunken,geredet, gekifft und getanzt. Jetzt sitzt Julia auf dem
Beifahrersitz, im Radio läuft auf ihren Wunsch ein Song von Dave Dee, Dozy,
Beaky, Mick & Tich, sie breitet ihre Pop-Expertise aus, so wie später Kim
und Zoë ihre Filmexpertise ausbreiten. Sie erzählt, wie sich Pete Townsend
der Band anschließen wollte, dass die dann Dave Dee, Beaky, Mick, Tich &
Pete geheißen hätte, wobei sie "Mich" statt Mick sagt. Dieser "Mich and
Tich"-Reim hallt noch lange nach. Jungle Julias nackter Fuß lehnt lässig
aus dem Fenster heraus und wippt im Takt des Songs "Hold Tight", Arlene
(Vanessa Ferlito), die auf der Rückbank sitzt, bewegt ihren Kopf im
Rhythmus der Musik, die Augen sind geschlossen.
Vier Frauen, eine Posse, keine Jungs und ein schöner, gemeinsamer Flow.
Doch im nassen Glas der Heckscheibe bricht sich rotes Licht wie ein Vorbote
dessen, was da kommen wird. Denn auch diesmal bringt Tarantino Stuntman
Mike ins Spiel. Eine unfaire Konfrontation, ein rotes Auto gegen ein
schwarzes Auto, vier Frauen gegen einen Mann, 200 Stundenkilometer gegen
die nächtliche Versunkenheit - es ist eine Zäsur, die die Bezeichnung
spektakulär verdient.
In den USA lief "Death Proof" nicht in der knapp zweistündigen Fassung, die
hier in die Kinos kommt, sondern in einer 90-minütigen Fassung im
Doppelpack mit Robert Rodriguez' Zombiefilm "Planet Terror". Tarantino und
Rodriguez arbeiten seit dem Omnibusfilm "Four Rooms" (1995) gern zusammen;
ihr double feature nannten sie "Grindhouse", nach den heruntergekommenen
Kinos, die in den 60er und 70er Jahren billige Unterhaltungsfilme spielten.
Zwischen die beiden Hauptfilme montierten sie einige Trailer für fiktive
Filme, gedreht von befreundeten Regisseuren wie Eli Roth, der eine
kannibalistische Erntedankfest-Fantasie beisteuerte, oder Rob Zombie, der
mit "Werewolf Women of the SS" das Untergenre der Nazi-Exploitation
aufleben ließ.
"Grindhouse" ist B-Movie-Konzeptkunst, eine Hommage an das Trash- und
Mitternachtskino vergangener Zeiten, und es ist, zumindest im Fall von
"Death Proof", eine Hommage an die konkreten Seherfahrungen der 70er Jahre,
an die schrammeligen Kopien mit den grünen und den schwarzen Fäden, den
Kratzern, den Ton- und Bildsprüngen, den Filzstiftmarkierungen des Cutters
auf dem Filmmaterial.
In der kurzen Fassung von "Death Proof" führt die künstliche Versehrtheit
des Filmmaterials zu einer tollen, wenn auch ziemlich hinterhältigen
Pointe. Julia und ihre Freundinnen sitzen auf der Terrasse des Texas Chili
Parlor, Stuntman Mike möchte, dass Arlene für ihn einen Lap Dance aufführt.
Arlene sträubt sich. "Are you afraid of my scar?" fragt Mike, "I'm afraid
of your car", entgegnet Arlene. Mich, Tich, scar, car.
Als er ihr droht, sie in seinem Notizbuch unter "chicken shit",
"Angsthase", einzutragen, willigt sie ein, und ähnlich wie Mike fiebert man
als Zuschauer dem Spektakel entgegen, das nun kommen wird. Doch das nächste
Bild ist schwarz, mit Ausnahme eines Schriftzugs: "Reel is missing"; der
Akt fehlt, der Lap Dance wurde von der vermeintlich kaputten Kopie
verschluckt. In der langen Fassung schwingt Arlene Hüften und Hintern zu
"Down in Mexico" von The Coasters. Das ist schön, keine Frage, und dennoch
ist eine enttäuschte Erwartung manchmal aufregender als eine erfüllte.
Nerds können sich derweil an der Vielzahl von Anspielungen, Zitaten und
Reminiszenzen vergnügen, die Tarantino ihnen mit jeder Einstellung
vorsetzt. Mal liegt Jungle Julia auf dem Sofa wie Brigitte Bardot, mal
tritt Abernathy jemandem ins Gesicht wie Tura Satana in "Faster, Pussycat!
Kill! Kill!", mal sieht man das Cover der Filmzeitschrift Film Comment mit
Kirsten Dunst als Marie Antoinette, mal stammt eine Kühlerfigur aus Sam
Peckinpahs Film "Convoy". Außerdem verweist Tarantino unentwegt auf sein
eigenes Oeuvre - etwa indem er mit Zoë Bell die Stuntfrau auftreten lässt,
die in "Kill Bill" Uma Thurman doubelte. So betrachtet, ist "Death Proof"
reine Selbstrefernz, Vergnügen für Sammler und Narzissten, die ihr Wissen
abgefragt und bestätigt sehen wollen. Wäre das alles, "Death Proof" wäre
langweiliges, postmodernes Kino. Nichts Neues unter der Sonne.
Aber aller Selbstbezüglichkeit und aller Nostalgie zum Trotz gibt es eben
doch ein Außen. Tarantino zitiert das Exploitation-Kino nicht nur, er
schreibt es fort. Und hier beginnt es, richtig aufregend zu werden. Denn
Exploitation, das war doch dieser Spaß für junge Männer, die schnelle
Autos, scharfe Frauen, nackte Haut, offenes Fleisch, Schießereien und
Prügeleien sehen wollten. Das waren Filme, in denen nackte Blondinen auf
einem Motorrad drapiert waren wie in "Vanishing Point"; Filme, die
bisweilen so misogyn waren, dass einem noch heute beim Betrachten ganz
mulmig wird, Filme, die auf ihre Frauenfiguren mit eben dem sadistischen
Vergnügen blickten, mit dem Stuntman Mike auf Arlene, auf Jungle Julia, auf
Kim, Abernathy und Zoë schaut.
Es waren aber auch Filme, die in ihrer Ungehobeltheit und ihrer Drastik
Macht- und Geschlechterverhältnisse schärfer zum Ausdruck brachten, als
dies im A-Kino je möglich gewesen wäre. Die deshalb ehrlicher waren. Und
die außerdem an ihren Rändern (und nicht nur dort) die Misogynie umdrehten,
indem sie aggressive, vermessene, ungezähmte Heldinnen ins Spiel brachten.
Wer "Foxie Brown" oder "Faster, Pussycat! Kill! Kill!" gesehen hat, weiß
das. Zwar müssen sowohl Pam Grier als auch Tura Satana einiges einstecken,
in Erinnerung bleiben aber vor allem ihre Coolness, ihre Tat- und ihre
Schlagkraft.
Über die B-Film-Produktionen einer Stephanie Rothman ist damit noch gar
nichts gesagt - Rothman drehte Anfang der 70er für Roger Cormans New World
Productions Exploitation-Filme wie "The Student Nurses" oder "Terminal
Island". Sie hielt sich an die Vorgaben, indem sie nackte Haut und Gewalt
in Szene setzte. Zugleich ließ sie ihre Figuren über Abtreibung und women's
lib debattieren. Wenn in "Terminal Island" eine Vergewaltigung mit Hilfe
eines Bienenschwarms gerächt wird, gehört dies bestimmt zum lustigsten, was
das Untergenre des rape revenge hergibt.
Was Tarantino nun in "Death Proof" leistet, ist, dass er diese Seite der
Exploitation - die der starken, sich selbst genügenden Frauen, die weder
schnelle Autos noch einen Faustkampf fürchten und dabei eine verdammt gute
Figur machen - mit großer Hingabe in Szene setzt. Mehr noch, er lässt sie
über die andere, die sadistische und misogyne Seite der Exploitation, wie
sie in "Death Proof" von Stuntman Mike verkörpert wird, triumphieren.
Tarantino lässt zwei unterschiedliche Modelle von Spaß miteinander
wetteifern, und auch wenn er Stuntman Mikes Sadismus viel Raum lässt, so
obsiegen am Ende doch die, die ihren Spaß im Reden und in der Verhandlung
herstellen. Schlichten Oppositionen wie männlich-sadistisch versus
weiblich-konsensuell verfällt er deshalb trotzdem nicht, das wird
spätestens in den letzten Einstellungen seines Filmes überdeutlich. Wie
gesagt, wer woran Spaß hat, das hat mit Gender zu tun - doch unverrückbar
sind diese Positionen längst nicht.
Heißt das etwas für die Welt jenseits der Kinoleinwand? Vielleicht so viel:
Wer sich einst in die aufgeregten Debatten über Sexualität auf
US-amerikanischen Campus einschaltete, weil er fürchtete, das Aushandeln
verderbe den Spaß, der sieht in "Death Proof", wie der Spaß im Aushandeln
beginnt. Wer dem Feminismus vorhielt, er wolle die Lust einer zwar nicht
bürgerlichen, aber nicht minder prüden Moral unterordnen, der wird in
"Death Proof" über die Bandbreite postfeministischen Spaßes staunen. Und
wer es ganz gegenwärtig möchte: Einem Porno-Rapper wie King Orgasmus One
kann man nur wünschen, er möge sich "Death Proof" so oft anzusehen, bis er
sich das mit der "Geilheit von einem selber" noch einmal überlegt.
In einem Interview hat Tarantino gesagt, er sei unter Frauen groß geworden
und habe möglicherweise deshalb ein so großes Talent, interessante
Frauenfiguren zu entwerfen. Das bringt ihn in die Nähe anderer, für ihre
Frauenfiguren berühmten Regisseure, in die Nähe von Pedro Almodóvar, Rainer
Werner Fassbinder oder Douglas Sirk. Sie alle geben uns, den Zuschauern wie
den Zuschauerinnen, den Spaß zurück, den uns so viele dümmere Regisseure
verderben wollen. Und dafür gebührt ihnen ein riesengroßes Dankeschön.
"Death Proof", Regie: Quentin Tarantino, mit Rosario Dawson, Kurt Russell,
Zoë Bell, Tracy Thoms u. a., USA 2007, 113 Min.
18 Jul 2007
## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
## TAGS
Trash
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