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# taz.de -- Jazz: Der Boss sieht schwarz
> Ein Treffen mit dem mächtigsten Mann im Jazz, George Wein, der 1954 das
> berühmte Newport Jazz Festival erfand.
Bild: George Wein - schwärmt noch heute von der Grande Parade du Jazz in Nizza…
In einer lichtdurchfluteten Wohnung im 27. Stock eines Apartmenthauses an
der New Yorker East Side residiert George Wein über der amerikanischen
Jazzmetropole. 1950 gründete der Pianist in seiner Heimatstadt Boston einen
Jazzclub, 1954 erfand er das Newport Jazz Festival, das er seitdem leitet
und das in zwei Wochen wieder stattfindet. Immer galt Wein als der Boss,
und zwar weit über die USA hinaus - in Berlin macht man sich bis heute
Sorgen, wenn einer seiner Leute sich ankündigt. Hier wurde er Anfang der
Siebzigerjahre vertrieben, nachdem man dem damaligen Jazzfestleiter Berendt
vorgeworden hatte, sich von der amerikanischen Jazzmafia, sprich Wein,
instrumentalisieren zu lassen. Daraufhin angesprochen, fragt er, ob man den
Jazz in Deutschland immer noch hasse. Er weiß, dass sich das längst
geändert hat, ja, fast ins Gegenteil verkehrt hat. Doch ein Publikum wie
das Berliner, das einst für sein respektloses Buhen weltbekannt wurde,
möchte Wein seinen Künstlern jedenfalls nicht zumuten. Duke Ellington habe
damals fassungslos neben ihm gestanden - der große Meister ausgebuht in
Berlin.
Mit 81 Jahren ist George Wein zum ersten Mal in seinem Leben Angestellter.
Der Verkauf seiner Firma Festival Productions garantiert ihm in den
nächsten drei Jahren noch die Leitung und das bewährte Team. In letzter
Zeit sieht es jedoch mau aus in seiner Branche. Die wirtschaftlichen
Bedingungen zwingen ihn, mehr Publikum zu ziehen. Und das sei nicht
einfach, weil man Im Jazz kaum mehr große Namen habe. Mit Miles Davis,
Thelonious Monk, Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan hatte Wein einst
Künstler im Programm, die weltweit ein großes Publikum erreichten. Heute
nennt er nur noch wenige, Keith Jarrett und Herbie Hancock - die anderen
bemühen sich noch, ein eigenes Publikum aufzubauen, doch das sei ein
langwieriger Kampf.
Für europäische und japanische Musiker ist es nach wie vor schwer, in den
USA Fuß zu fassen - es sei denn, sie leben dort und werden Teil der
amerikanischen Szene. Die Versuche, eine deutsche oder französische Band in
die USA einzuladen, würden immer wieder am Desinteresse des Publikums
scheitern. In Europa hat sich in jüngster Zeit viel geändert. Während man
früher auf den europäischen Festivals bis zu 90 Prozent amerikanische
Jazzmusiker und kaum europäische sehen konnte, hat sich dieses Verhältnis
fast umgekehrt. Den Europäern ist es offenbar gelungen, eigene lokale
Publika aufzubauen, und selbst Wein findet, dass das eine sehr gesunde
Sache sei.
Warum John Zorn, Dave Douglas und Marc Ribot darauf angewiesen sind, auf
europäischen Festivals ihr Geld zu verdienen, sei ein offenes Geheimnis.
Seit den Beatles sei doch klar - wer keinen Rock n Roll macht, wird ein
überschaubares Publikum haben, resümiert Wein. Man müsse ständig für den
Jazz kämpfen, und Wein ist sich sicher, dass eines Tages ein neuer Dave
Brubeck mit einem neuen "Take Five" kommen und ein wirklich großes Publikum
ansprechen wird.
Das reine Jazzpublikum sei einfach zu klein, wenn man erfolgreich sein
will, müsse man etwas erfinden, das wesentlich über die treuen Fans
hinausreicht. Das sei die Geschichte von Miles Davis, Brubeck, Ellington,
Gerry Mulligan und sogar von Thelonious Monk, als er "Blue Monk" schrieb.
Früher konnte Wein Festivals aus den Ticketverkäufen finanzieren, doch
heute braucht er Sponsoren. In Europa sei man an staatliche
Kulturunterstützung gewöhnt, doch in den USA kenne man das nicht. Wenn man
also Sponsoren hat, könne man ein sehr engagiertes, vielschichtiges
Programm machen, und wenn man 5.000 Leute damit zieht, habe man ein gutes
Publikum.
Früher erreichte Wein 15.000 bis 20.000 Menschen mit einem reinen
Jazzfestival. Doch das Bild, das er heute zeichnen kann, sei eben nicht
sehr farbenfroh. Es sei ein bisschen so, als wäre man wieder in den späten
Vierzigerjahren angekommen, als Jazz eine reine Clubmusik war. Als George
Shearing und Brubeck ihre ersten Erfolge hatten und damit auch Dizzy
Gillespie und Monk zu einem größeren Publikum verhalfen.
Die Grande Parade du Jazz in Nizza 1974 war eines der schönsten Festivals,
das er je gemacht habe, erinnert Wein. Es kam Publikum aus ganz Europa, und
da er amerikanische Künstler nach Nizza brachte, habe das wieder andere
inspiriert, eigene Festivals zu starten. Binnen kurzer Zeit konnten seine
Künstler bei zehn weiteren Sommerfestivals in Europa auftreten. North Sea,
Umbria - alles fing damals an und die Agenten seien zu ihm nach Hause
gekommen und hätten ihn als den Erfinder gefeiert. Heute könne er sich
nicht mehr vorstellen, ein Jazzfestival in Europa zu machen. North Sea
bucht Popstars, und Montreux hat fast nur noch Pop, das mache er in den USA
ja auch anders. Dabei hätte ein reines Jazzfestival in Europa eine
wirkliche Chance, sagt Wein.
23 Jul 2007
## AUTOREN
Christian Broecking
## TAGS
Antirassismus
Schwerpunkt Rassismus
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