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# taz.de -- Porträt: Mit Schaber und Stahlwolle gegen Nazis
> Sie selbst nennt sich scherzhaft "Politputze": Irmela Mensah-Schramm
> entfernt seit über 20 Jahren rechte Schmierereien. Passanten bedrohen
> sie, Freunde sind genervt. Trotzdem macht sie weiter
Bild: Irmela Mensah-Schramm lässt sich das Sprayen gegen Rechts nicht verbieten
Eine Kleinstadtidylle am Rand von Berlin. Niedrige Häuser säumen die
ruhigen Straßen von Mahlow, nur wenige Menschen sind unterwegs. Eine ältere
Dame mit einem Stoffbeutel in der Hand bleibt vor einem Halteverbotsschild
stehen. Auf dem Schild klebt ein Sticker mit der Aufschrift "National
befreite Zonen schaffen". Die Frau zieht einen Schaber aus ihrer Tasche,
auf der mit Filzstift "Gegen Nazis" geschrieben steht, kratzt den Aufkleber
ab und schaut sich nach dem nächsten um.
Irmela Mensah-Schramm hat einen Putzzwang der besonderen Art: Seit mehr als
zwanzig Jahren entfernt sie rechte Aufkleber und Schmierereien von
Hauswänden und Straßenschildern, Bahnhöfen und Zügen. Zwei-, dreimal pro
Woche geht die 61-Jährige auf Tour, und die kann schon mal den ganzen Tag
dauern. Mensah-Schramm wird angefeindet, bedroht, angezeigt. Und macht
trotzdem weiter.
Über ihre Putzerfolge führt die lebhafte Frau Buch. In ihrem Notizheft
steht, dass sie bereits rund 20.000 Aufkleber und Schmierereien entfernt
hat - Schmierereien mit rechtsextremem, schwulenfeindlichem, rassistischem
oder antisemitischem Inhalt. "Meine Botschaft an die Nazis ist: Ich bin mit
euch nicht einverstanden. An die Gleichgültigen: Man kann etwas machen. Und
an die Opfer: Ihr habt meine Solidarität", sagt die gelernte
heilpädagogische Lehrkraft, die seit 2005 in Rente ist. Ihre Werkzeuge sind
Nagellackentferner, Spachtel, Stahlwolle und Putzmittel. Wenn sich etwas
nicht wegwischen oder abkratzen lässt, übermalt Irmela Mensah-Schramm das
Ärgernis mit Farbe oder Sprühlack. Andere Graffiti entfernt sie nicht, die
mag sie sogar.
Ausführlich schildert sie ihre Erlebnisse bei ihrer Suche nach "Nazidreck"
und ordnet immer wieder energisch die grauen, halblangen Haare. "Ich nenne
mich selbst Politputze", sagt sie und lacht. In Mahlow untersucht sie
konzentriert Stromkästen, Hauswände und Telefonzellen, schrubbt und schabt.
Sie kann Naziaufkleber aus der Ferne von linken Demoaufrufen oder
Konzertwerbung unterscheiden. Ein alter Mann mit Hund an der Leine bleibt
kurz stehen und schaut zu. Sein Blick ist nicht freundlich, sondern
prüfend.
Das sei sehr oft so, wenn sie unterwegs ist, erzählt die gebürtige
Stuttgarterin. Ihre Touren führen sie nach Rudow, Treptow, Pankow oder
Wilmersdorf. "Dort ist es in Berlin am schlimmsten", sagt sie. "Aber ich
bin auch in anderen Stadtteilen und im Zentrum unterwegs. Man findet fast
überall was." Im Winter ist sie schon bei minus zwanzig Grad losgezogen,
die Farbe im Eimer gefror ihr in der klirrenden Kälte. Auch im Juni hielten
sie fünfunddreißig Grad Hitze nicht im Haus. Kurz vor dem
Kreislaufzusammenbruch sei sie in ein Café geflüchtet, erzählt sie. "Die
Eiswürfel aus der Cola habe ich mir in mein Hemd gesteckt." Ihr
Putzwerkzeug lässt sie nie zu Hause, sogar im Urlaub hat sie es dabei: "Ich
bin immer im Einsatz. Da muss man dranbleiben, nicht nur sporadisch
unterwegs sein."
Das mit dem Dranbleiben meint sie ernst. Zwei Tage nach einer schweren
Operation hat sie im Krankenhaus ein Hakenkreuz auf der Toilette
weggeputzt. In Rudow brach sie sich einmal den Arm, als sie versuchte,
einen hoch angebrachten Aufkleber zu entfernen. "Auf Tour gegangen bin ich
trotzdem", erzählt sie - und wirkt stolz dabei.
Häufige Anfeindungen
Doch ihre Touren sind alles andere als ungefährlich. "Sie sind schlimmer
als die Nazis", sagte ein Anwohner zu ihr, ein anderer nannte sie eine
"Terroristin". Solche Anfeindungen seien keine Seltenheit: "Es ist ein
ständiger Kleinkrieg, ich werde dauernd genötigt, mich zu rechtfertigen."
Wenn sie in der S-Bahn ein Hakenkreuz auf dem Sitzplatz wegwischen will,
komme es oft vor, dass die Leute nicht aufstehen. "Ich sage dann ganz laut:
'Warum behindern Sie mich, ein Hakenkreuz wegzuputzen?' Dann stehen die
meisten auf." In Rudow bedrohte sie ein Mann mit einem Motorrad: Er raste
immer wieder auf sie zu. Sie schlug ihn in die Flucht, indem sie sein
Kennzeichen fotografierte. Sie erstattete Anzeige, aber das
Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. "Zeckenoma wir kriegen dich" fand
sie eines Tages auf eine Wand in Rudow gesprüht. Hat sie keine Angst? "In
der Situation selbst nicht. Die kommt erst danach."
Einmal habe ihr ein Mitarbeiter des Wachschutzes der Deutschen Bahn den
Spachtel entrissen und sie dabei an der Hand verletzt, berichtet Irmela
Mensah-Schramm. Sie erhielt eine Anzeige wegen Sachbeschädigung und
Hausfriedensbruch, allerdings wurde auch dieses Verfahren wieder
eingestellt - wie bisher alle Ermittlungen: "Ich wurde schon oft
angezeigt", erzählt sie. Beim Abkratzen von einem Aufkleber geht schon mal
eine Glasscheibe oder ein Firmenschild kaputt, und das schwarze Hakenkreuz
an der Hauswand übermalt oder übersprüht sie farbig, nicht weiß. "Bei Weiß
schimmert das durch", erklärt sie. Dass das als Sachbeschädigung gilt, ist
ihr klar. Aber die Nazis hätten angefangen, und sonst "hängt das Zeug
ewig". "Was beim Putzen kaputtgeht, kann man reparieren. Die verletzte
Menschenwürde nicht."
Begonnen hat die in der Berliner Friedens- und Antiatombewegung aktive Frau
schon Mitte der 80er-Jahre, als sie einen Hakenkreuz-Aufkleber an einer
Bushaltestelle wegkratzte. "Ich war geschockt. Ich fragte mich: Warum hat
den keiner vor mir weggemacht?" Dadurch sei ihr klar geworden, dass man
sich auch durch Nichtstun mitschuldig mache. Zunächst putzte sie nur in
Westberlin, nach der Wende erweiterte sie ihr Revier auf das Umland. Ab und
zu fährt sie auch in andere Bundesländer.
Die Parolen und Aufkleber fotografiert sie vor dem Putzen. Seit mehr als
zehn Jahren zeigt sie die Bilder in der Ausstellung "Hass vernichtet". Dazu
bietet sie auch antirassistische Workshops für die Schüler an. Die
Ausstellung wird oft in Schulen gezeigt, hat es aber auch schon mal ins
Brüsseler Europaparlament geschafft. Zurzeit läuft sie in der Marienkirche
in Angermünde.
Dass sie 1994 die Bundesverdienstmedaille erhielt, zeigt, dass
Mensah-Schramm nicht nur Feinde, sondern auch Bewunderer hat. Die Medaille
gab sie allerdings wieder zurück, als ein ehemaliges SS-Mitglied mit der
gleichen Auszeichnung geehrt wurde. 2005 bekam sie den mit 10.000 Euro
dotierten Erich-Kästner-Preis - ein Jahr zuvor hatte ihn Hans-Dietrich
Genscher erhalten. In ihrer Rede las sie Morddrohungen vor, die sie auf dem
Anrufbeantworter hatte. Bei der Weltausstellung in Hannover stand eine
Gipsfigur von ihr im deutschen Pavillon, "sechs Meter hoch, und sie stand
neben Einstein", erzählt sie stolz.
Keiner gibt Geld
Auf finanzielle Unterstützung von der Stadt oder vom Bund hoffte sie aber
bisher vergebens. "Nur Absagen, nichts als Absagen" habe es auf ihre Briefe
gegeben. Das macht sie wütend. Denn ihre monatlichen Material- und
Fahrtkosten betragen rund 300 Euro. "Es gibt Monate, da spare ich am
Essen." Auch sei es sehr schwer, ihre Ausstellung unterzubringen: "Ich
erlebe von vielen Institutionen eine gnadenlose Scheinheiligkeit und
Symbolpolitik", sagt sie. "Ich bin wohl unangenehm, aber Helden sind
unangenehm, oder?"
Unangenehm sei sie auch manchen aus dem Freundeskreis. "Dort haben sich
schon einige verabschiedet, und der Familie geht das ganz offensichtlich
auf den Wecker." Man sage ihr oft, sie solle sich mal ein schönes Leben
machen, erzählt sie. "Aber das kann ich nicht, solange überall Hassparolen
an den Wänden stehen." Ihr Mann, mit dem sie seit sieben Jahren verheiratet
ist, findet ihr Engagement "in Ordnung, hat aber zu große Angst, um
mitzukommen". Wirklich verstanden fühlt sie sich nur von wenigen. Eine
davon ist Marianne Wündrich-Brosien von der Friedensinitiative Zehlendorf,
in der sich auch Mensah-Schramm engagiert. "Ich finde Irmelas Arbeit sehr
wichtig und wertvoll", sagt sie, "auch wenn sie damit oft über ihre
psychischen, gesundheitlichen und finanziellen Grenzen geht."
Doch die "Politputze" scheint unermüdlich. Frust, sagt sie, verstärke bei
ihr nur den Antrieb. Auch gebe es positive Reaktionen, an die sie in
verzweifelten Momenten denken kann. "Ein Ausstellungsbesucher sagte mir
einmal, es brauche mehr Menschen wie mich. Da wird mir dann ganz anders",
sagt sie. Ans Aufhören denkt sie also nicht. Außer, es gäbe nichts mehr
wegzuwischen. Das wird wohl in absehbarer Zeit nicht geschehen. Also kämpft
Irmela Mensah-Schramm ihren Kampf weiter: ehrenhaft, aber auch allein und
rücksichtslos gegen sich selbst.
28 Jul 2007
## AUTOREN
Regina Finsterhölzl
## TAGS
Aktivismus
Prozess
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