# taz.de -- Montagsinterview Schauspielerin Carsta Zimmermann: "Mein Herz häng… | |
> Carsta Zimmermann spielt seit 1994 beim Hexenkessel Hoftheater. Sechs Mal | |
> die Woche, fast immer Shakespeare. Zum Glück reicht der Verdienst | |
> wenigstens für die Miete. | |
Bild: Auch im Märchen geht es bisweilen heiß her… | |
taz: Frau Zimmermann, Sie spielen seit 1994 Shakespeare. Sind Sie ihn nicht | |
langsam leid? | |
Carsta Zimmermann: Das kann man gar nicht. Shakespeare hat alle Bereiche | |
des Lebens abgedeckt. Macht, Liebe, Tod - da ist alles drin, pures Leben. | |
Warum haben Sie sich damals für Shakespeare entschieden? | |
Das war Zufall. Regisseur Roger Jahnke kam mit einer anderen Theatergruppe | |
in unser besetztes Haus an der Schönhauser Allee. Es gab dort einen | |
märchenhaften Hinterhof, den er zum Spielen nutzen wollte. Und er wollte | |
unbedingt "Romeo und Julia" machen. | |
Shakespeare und linke Hausbesetzer - wie verträgt sich das? | |
In unserem Haus wohnten Menschen, die sich mit Kunst und Kultur | |
beschäftigten: Regisseure, Maler, Keramiker. Jeder konnte sich | |
ausprobieren. Wir machten im Hof Märchenabende, Lagerfeuer, Techno, | |
Lichtshows, es brannten Pappmaché-Elefanten. | |
Und dann "Romeo und Julia" | |
Aus der ursprünglichen Idee, nur die schönen Szenen aus "Romeo und Julia" | |
zu zeigen, wurde nichts. Stattdessen schlug Zimmermann vor, das | |
"Wintermärchen" zu spielen. Mit drei Schauspielern war die Truppe schon | |
etwas reduziert. Und das Konzept, viele Rollen auf wenige Leute zu | |
verteilen, hatte schon Shakespeare angewandt. | |
Mit Zimmermann meinen Sie den Regisseur Jan, Ihren Bruder? | |
Ja, aber das ist nicht das Vordergründige. Man muss Berufliches vom | |
Privaten trennen können. Wir arrangieren uns gut im Dienste der Kunst. | |
Auf der Bühne improvisieren Sie viel. Kommt es da nicht manchmal zu | |
Konflikten mit Ihrem Bruder? | |
Manchmal ja. Aber einen wesentlichen Punkt habe ich mit meinem Bruder | |
gemein: Wir lieben es, Pointen zuzuspitzen. Am Ende siegt die fürs Publikum | |
beste Variante. Da spielt es keine Rolle, ob sie von ihm oder von mir | |
kommt. | |
Sie haben jahrelang mit ihm in dem besetzten Haus gelebt. Ging das gut? | |
Es war nicht absehbar, dass sich unsere Wege so kreuzen würden. Ich kam von | |
Thüringen nach Berlin, wollte hier studieren, fand keine Wohnung. In dem | |
Haus war was frei, und so bin ich eingezogen. Es war kurz nach der Wende, | |
zu der Zeit gab es viel kreatives Potenzial. | |
Wie entstand das Hexenkessel-Hoftheater? | |
Unser Haus hieß Hexenkessel. Oben wohnten die Kostümbildnerin und der | |
Regisseur, drunter der technische Leiter und die Schauspielerin. Und fast | |
alle im Haus arbeiteten mit: Vor einer Vorstellung hat man zum Beispiel | |
schnell die Kasse gemacht, dann gings rauf auf die Bühne. | |
Was ist aus dem Haus geworden? | |
Es wurde 1998 verkauft. Die Inszenierung, die wir schon fertig hatten, | |
konnten wir nicht mehr aufführen. Wir sind dann in den Monbijoupark | |
gegangen, haben ein paar Bohlen zum Sitzen aufgestellt und sind dort | |
aufgetreten. | |
Vom Hinterhof sind Sie inzwischen sehr weit weg. Aus dem Hoftheater | |
entstand die Hexenkessel & Strand GmbH. Die ist mit Strandbars, Kneipen und | |
verschiedenen Spielstätten eine wahre Kulturindustrie geworden. | |
Industrie hat den falschen Zungenschlag. Das Hexenkessel Hoftheater wird | |
durch die Strandbar Mitte finanziert, 2002 übrigens die erste Strandbar | |
Europas. Alles andere haben wir proportional mit Hilfe von Leuten | |
erweitert, die unsere Idee verstehen. | |
Auch das Café Altes Europa in der Gipsstraße gehört zur GmbH. Wie passt ein | |
ganz normaler Gastronomiebetrieb zu Ihrer Idee? | |
Wenn es regnet, kommt auch niemand zur Strandbar Mitte. Aber unsere Leute | |
wollen trotzdem bezahlt werden. Das Alte Europa finanziert genauso das | |
Theater, das als Open-Air-Betrieb sehr vom Wetter abhängt. | |
Gibt es beim Geschäftsgebaren Parallelen zum Theaterimpresario Falk Walter, | |
der mit der Arena anfing und über Bade-und Partyschiffe bis in den | |
Admiralspalast expandierte? | |
Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er scheint auch ein kreativer Mensch | |
zu sein. Ich kann nur für uns reden: Wir wollen neue Möglichkeiten finden, | |
Theater und Kultur zu machen. | |
Wie viele Mitarbeiter gehören dazu? | |
Ich weiß nicht, zeitweise sind es wohl bis zu 300 Leute. Wir arbeiten mit | |
Leuten, die die Idee des Hexenkessels verstehen. Es zählt die | |
Ensembleleistung. | |
Aber leben können Sie vom Hexenkessel schon? | |
Wenn ich im April anfange, um bis September für den Hexenkessel zu | |
arbeiten, habe ich natürlich kaum Möglichkeit, woanders zu arbeiten. | |
Außerdem kann man das, was wir arbeiten, gar nicht in Geld ausdrücken: So | |
viel kann man gar nicht verdienen. | |
Wie viel verdienen Sie in einem Sommermonat? | |
Wenn wir wettermäßig durchkommen, kann ich meine Miete im Sommer bezahlen. | |
Aber in der Probezeit davor und der Nachbereitungszeit danach muss ich halt | |
sehen, wie ich mit meinem Handwerk anderweitig unterkomme. | |
Wie gelingt Ihnen das? | |
Ich gebe Unterricht, spiele Improvisationstheater oder mache schöne | |
Projekte. Aber mein Herz hängt am Hexenkessel. Dafür halte ich mir den | |
Sommer frei. | |
Sind Sie jetzt da, wo Sie hinwollten? | |
Nein, noch nicht. Aber ich habe, was kaum einer hat: den schönsten | |
Arbeitsplatz der Welt und Menschen als Kollegen, die meinem Herzen nahe | |
sind. Nach 15 Jahren kennen wir uns in allen Lebenslagen. Allein in so | |
einer großen familiären Situation zu arbeiten ist mein großes Glück. | |
Also sind Sie doch angekommen? | |
Es schwirren noch tausend Dinge im Kopf rum, ob das jetzt Tanz, | |
Kindertheater oder Clownerie ist, da könnt ich stundenlang sprudeln. Was | |
ich will und möchte, hängt nicht nur mit dem Hexenkessel zusammen. | |
Womit dann? | |
Ich wollte ganz und gar nicht schon immer Schauspielerin werden. Mein Vater | |
war Regisseur und Schauspieler in Nordhausen, das ein gutgehendes | |
Dreispartentheater hatte. Ich bin zweigleisig gefahren, war zunächst | |
Erzieherin für geistig Behinderte, aber auch Tischlerin. Das Theater lief | |
immer parallel. | |
Schauspielerin, aber auch Tischlerin, mit einem Standbein in der Pädagogik. | |
Sie brauchten Absicherung? | |
Ich hatte immer ein Bein am Boden, aber das ist eine Typfrage, mit Geld | |
hatte das nie was zu tun. Arbeit muss getan werden. Geld war nie primäres | |
Thema. | |
Ruhm und Anerkennung? | |
Ich muss nicht im Rampenlicht einer großen Bühne stehen. Ich stelle mich | |
auch gerne ins Kaufhaus, setze mir eine rote Nase auf und helfe den Leuten | |
als Clown beim Umziehen. Es ist mir ein Bedürfnis, den Leuten Freude zu | |
machen. Das hebt das Karma. | |
Waren Sie schon immer so? | |
Wenn es irgendwo die Möglichkeit gab, einen Scherz zu machen, habe ich es | |
gemacht. Meine Mutter wollte mich mit neun schon zur Clownsschule schicken. | |
Also spielen Sie sich selbst? | |
Das Komödiantische verliere ich auch im echten Leben nicht, das bin ich. | |
Ich bin froh, für meine spezielle Art das passende Umfeld zu haben. | |
Von dem Shakespeareschen Mannsweib, als das Sie oft besetzt werden, haben | |
Sie zumindest in natura wenig. | |
Ich habe eben eine markante Energie, die weibliche oder männliche Attribute | |
einer Figur einfach überschwemmt und unwichtig macht. Ich fülle die Rolle | |
mit dem, was die Person hergibt. | |
Würde es Sie reizen, mal so eine richtig verletzliche Frau zu spielen? | |
Tragische Rollen traue ich mir durchaus zu. Es ist jedoch eine konzeptuelle | |
Entscheidung des Hexenkessel-Theaters. | |
Ist das eine künstlerische Selbstbeschränkung auf das Leichte? | |
Nein, wir haben ja auch schon eine Tragödie wie "Richard III." gespielt. | |
Ich selbst spiele alles: tragische Frauen, lustige, starke und schwache | |
Frauen, Mütter - alles, was mein Ausdrucksrepertoire als Schauspielerin | |
hergibt. Es geht mir nicht um eine Glanzrolle. Wenn mir die Gruppe und die | |
Art und Weise des Herangehens gefällt, dann spiele ich mit. Ich bin ein | |
Ensembletierchen. | |
Trotzdem sind Sie so etwas wie der Star des Ensembles. Ihre Kollegen haben | |
Ihnen den Titel "Publikumsliebling" verliehen. | |
Na ja. Vielleicht weil ich nach dem Stück immer als singende Litfaßsäule | |
die nächsten Termine ankündige. Ansonsten kann ich mich in einem Konzept | |
als "Star" nicht wiederfinden: Das Ensemble ist der Star. | |
Besonders erfindungsreich sind Sie bei Ihren Aufführungen, wenn es gilt, | |
auf Störungen von außen zu reagieren. | |
An unserem Spielort am Ufer der Spree sind wir den Gegebenheiten absolut | |
ausgeliefert: Da bellen Hunde, springen Autos nicht an, von den | |
Partyschiffen der Spree schreit einer: "Ausziehen!" Da kann man gar nichts | |
anderes machen, als damit umzugehen. | |
Wie machen Sie das? | |
Wir spielten einmal bei der Love Parade, da fuhren im Minutentakt die | |
Techno-Dampfer vorbei. Wir hatten ein abgesprochenes Wort: Wenn einer "im | |
Übrigen" sagte, standen alle still und winkten, bis der Dampfer vorbei war. | |
Dann ging es weiter. Das war genau die richtige Methode, das Publikum | |
winkte mit, wir waren eine Gemeinschaft. | |
Haben Sie schon mal eine Aufführung wegen der äußeren Bedingungen | |
abgebrochen? | |
Noch nie. Das, was wir tun, ist so wasserdicht, dass wir auch bei Regen | |
spielen - zumindest, wenn das Publikum es will. Zur Not werden nachts die | |
Kostüme trocken geföhnt. Den Satz "So kann ich nicht arbeiten" gibt es bei | |
uns nicht. | |
Wie bekommen diese rauen Bedingungen Ihrer ohnehin rauen Stimme? | |
Sie wird bis zum Ende des Sommers eine Oktave tiefer. Sechs Tage die Woche | |
bis zu drei Stücke pro Abend, bei Wind und Wetter, drei Monate - da bleiben | |
Zipperlein nicht aus. Aber da gibt es Kniffe. Meine Mutter züchtet für mich | |
Salbei und Thymian in ihrem Garten, das ergibt den besten Tee der Welt. | |
Wenn der nicht hilft, muss ich mal eine ganze Woche schweigen. | |
Fällt es Ihnen schwer? | |
Wenn ich muss, halte ich durch. Da hilft mir meine Erfahrung in der | |
Behindertenarbeit: Ich kann die Gebärdensprache. Und es ist ja auch mal | |
entspannend, die anderen reden zu lassen. | |
5 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Felix Lee | |
## TAGS | |
Berlin-Mitte | |
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