| # taz.de -- Schießbefehl: Birthler-Behörde in der Kritik | |
| > Nach der falsch bewerteten DDR-Anweisung zweifeln Politiker von CDU und | |
| > Linke an der Kompetenz der Birthler-Behörde. Die Justiz prüft indes | |
| > Ermittlungen. | |
| Bild: DDR-Volkspolizisten errichten am 13. August 1961 Sperren am Potsdamer Pla… | |
| Eigentlich sollte am Montag an den 46. Jahrestag des Mauerbaus gedacht | |
| werden. Stattdessen wurde das Gedenken aber von einem Streit über ein am | |
| Wochenende veröffentlichtes Dokument zum Schießbefehl an der innerdeutschen | |
| Grenze überschattet. Die sechsseitige Dienstanweisung einer Spezialeinheit | |
| der Stasi, die vor kurzem in der Magdeburger Außenstelle der | |
| Stasiaktenbehörde aufgefunden wurde, weist die Mitglieder dieser Einheit | |
| an, im Fall von fahnenflüchtigen DDR-Grenzsoldaten von der Waffe | |
| "konsequent" Gebrauch zu machen. Wörtlich heißt es in dem Dokument vom 1. | |
| Oktober 1973: "Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch | |
| dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was | |
| sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben". | |
| Politiker von CDU und Linkspartei äußerten Kritik an der Chefin der | |
| Stasiunterlagenbehörde, Marianne Birthler. Diese hatte das Dokument in | |
| einer ersten Reaktion als neuen Fund bezeichnet. Tatsächlich hatte der | |
| Potsdamer Zeithistoriker Matthias Judt jedoch schon 1997 in einem von ihm | |
| herausgegebenen Sammelband auf die Dienstanweisung hingewiesen. Offenbar | |
| war der Band unter Experten nur wenig wahrgenommen worden. | |
| Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums verwies in Berlin darauf, dass | |
| der Gesamtkomplex der Mauertoten Gegenstand umfangreicher Aufarbeitung | |
| durch die Justizbehörden gewesen sei. Ob das neue Dokument aber für | |
| individuelle Täter eine Rolle spiele, müssten nun die Staatsanwaltschaften | |
| beurteilen. Die Berliner Staatsanwaltschaft befasst sich bereits mit der | |
| Anweisung zur Liquidierung. "Die Staatsanwaltschaft prüft, ob dieses | |
| Dokument Anlass für weitere Schritte sein könnte", sagte Sprecher Michael | |
| Grunwald am Montag auf Anfrage. Geklärt werden müsse, ob das nun | |
| aufgetauchte Papier Auswirkungen auf bereits durchgeführte | |
| Ermittlungsverfahren habe oder ob gegebenenfalls neue eröffnet werden | |
| müssten. | |
| Birthler bedauerte am Montag ihre voreilige Bewertung. Die Tatsache, dass | |
| "ein gleichartiges Dokument" bereits vor zehn Jahren in einer | |
| wissenschaftlichen Dokumentation veröffentlicht wurde, sei ihr nicht | |
| bekannt gewesen, sagte sie der Berliner Zeitung. Das nehme dem "Dokument | |
| allerdings nichts von seinem brutalen Inhalt". | |
| Unterstützung erfuhr Birthler vom Leipziger Bürgerrechtler und Leiter der | |
| dortigen Stasi-Gedenkstätte "Runde Ecke", Tobias Hollitzer. "Der | |
| Gesamtbestand der personenbezogenen Akten, in denen auch dieser | |
| Schießbefehl in einer IM-Akte gefunden worden ist, ist bis heute gänzlich - | |
| bis auf wenige Ausnahmen - unerschlossen." | |
| Der CDU-Politiker Arnold Vaatz kritisierte die Birthler-Behörde. Das sei | |
| "kein Zeugnis einer sehr, sehr guten Arbeitsweise", sagte der | |
| Unions-Fraktionsvize in der ARD. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, bereits vor | |
| zehn Jahren die Brisanz dieser Nachricht zu erkennen und entsprechend zu | |
| verbreiten. Bodo Ramelow, Vizefraktionschef der Linkspartei, meinte, er | |
| könne nur mit Kopfschütteln registrieren, dass die Behörde der | |
| Öffentlichkeit nun selbst längst bekannte Dokumente als vermeintlich | |
| sensationelle Geheimakten präsentiere, um ihre Arbeit zu rechtfertigen. | |
| Rückendeckung erhielt die Stasiunterlagenbeauftragte von | |
| Bundestagsvizepäsident Wolfgang Thierse und Berlins Bürgermeister Klaus | |
| Wowereit (beide SPD). Er könne der Behörde keinen Vorwurf machen, sagte | |
| Thierse. Der Fund zeige, wie wichtig ihre Arbeit sei, und dass das | |
| SED-Unrecht "noch nicht ein vergangenes, ein erledigtes Thema ist". Ähnlich | |
| äußerte sich Wowereit bei der Gedenkveranstaltung in Berlin. | |
| 13 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Wolfgang Gast | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schießbefehl-Akten: Hättest du geschwiegen | |
| Mit der Veröffentlichung der vermeintlich neuen Erkenntnisse zum | |
| DDR-Schießbefehl hat Birthler der Aufarbeitung der Stasiverbrechen keinen | |
| guten Dienst erwiesen | |
| Kommentar: Fetisch Schießbefehl | |
| Die Öffentlich ist fixiert darauf, den zentralen "Schießbefehl" zu finden. | |
| Dabei ist das eigentlich Beunruhigende, das perfide Zusammenspiel von | |
| Gruppendruck und vorauseilendem Gehorsam. | |
| DDR-Mauerschüsse: Neue Weisung für alte Regel | |
| Zum ersten Mal taucht ein Dokument auf, das detailliert belegt, wie brutal | |
| die DDR-Führung an der Grenze vorging. Trotzdem handelt es sich nicht um | |
| den lang gesuchten Schießbefehl | |
| Aktenfund zu DDR-Flüchtlingen: "Den Verräter liquidieren" | |
| Eine Spezialeinheit der Stasi sollte die Flucht von DDR-Grenzern unter | |
| allen Umständen verhindern. Auch mit der Waffe und ohne Warnung, wie eine | |
| Dienstanweisung zeigt |