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# taz.de -- Schießbefehl-Akten: Hättest du geschwiegen
> Mit der Veröffentlichung der vermeintlich neuen Erkenntnisse zum
> DDR-Schießbefehl hat Birthler der Aufarbeitung der Stasiverbrechen keinen
> guten Dienst erwiesen
Bild: Der Schuß ging nach hinten los.
Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, wollte die
Gunst der Stunde nicht verstreichen lassen. Das in Magdeburg präsentierte
Stasidokument schien ihr mit seiner Forderung, gegen Flüchtende
rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, der endlich gefundene
Beweis für die Existenz eines Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze zu
sein. Wenige Stunden nach ihrer Erklärung "dieser Befehl ist so unverhüllt
und deutlich, wie er bis jetzt noch nicht vorgelegen hat" war das Dementi
fällig. Kein allgemeiner Schießbefehl, sondern eine Anweisung an eine in
die Grenztruppen infiltrierte Stasi-Spezialeinheit, gegen flüchtende
Kameraden der Truppe vorzugehen. Vor allem: nichts bestürzend Neues. Schon
vor zehn Jahren war ein Dokument des selben Inhalts veröffentlicht worden -
immerhin in hoher Auflage - herausgegeben von der Behörde, deren Chefin
Marianne Birthler ist. So weit die Rekapitulation des peinlichen Vorfalls.
Sieht man die Sache nur von der psychologischen Seite, so kann Birthler mit
einigem Verständnis für ihren Fehler rechnen. Schon seit Jahren beklagt
sie, dass in der Öffentlichkeit und im kollektiven Bewusstsein der
Deutschen die autoritären bis terroristischen Züge des realsozialistischen
Regimes in der DDR zunehmend undeutlich werden. Gleichzeitig mache sich
eine Pop-Erinnerungskultur breit, die die damalige Wirklichkeit verkitschte
und verharmlose. Daher mag Birthler sich von der punktgerecht zum 13.
August, dem Tag des Mauerbaus, erfolgten Enthüllung eine Art pädagogischen
Schock versprochen haben. Schließlich ist sie keine Historikerin, sondern
macht ihren Job aus politischem Antrieb.
Aber Birthlers Absicht lag nicht nur ein faktischer Irrtum, sondern eine
tiefergehende Fehlannahme zugrunde. Wenn sie im Interview betont, "das
Dokument ist deswegen so wichtig, weil der Schießbefehl von den damals
politisch Verantwortlichen noch nach wie vor bestritten wird", so verfehlt
sie die Herrschaftspraxis in der DDR. Sie ignoriert darüber hinaus die
Einsichten, die die juristische Verfolgung von Todesschützen an der Mauer
in den 90er-Jahren gebracht hat. Im Ergebnis jener Verfahren kann
festgehalten werden, dass das Grenzgesetz der DDR von 1982 in Verbindung
mit den konkreten "Vergatterungen" der Grenztruppen (darunter vieler
Wehrpflichtiger) keinen Zweifel erlaubt, dass gezielte Schüsse gegen
"Grenzverletzer", notfalls mit Todeswirkung gefordert wurden. Todesschützen
erhielten Prämien und Orden, wurden befördert, es sind keine Fälle bekannt,
wo staatlicherseits gegen sie ermittelt worden wäre. Das ganze Verfahren
konnte nur im Rahmen einer eindeutigen Befehlskette funktionieren. Deshalb
wurden von den Gerichten auch die höchsten für die Grenzsicherung
verantwortlichen Parteifunktionäre als Mittäter verurteilt. Indem Birthler
die Bedeutung des Magdeburger Dokuments als "Schießbefehl" herausstellte,
suggerierte sie geradezu, ein solcher Befehl schließe endlich die
Beweislücke, widerlege endlich diejenigen SED-Führer, die die Existenz
eines solchen Befehls leugnen. Aber selbst wenn man diesen "Schießbefehl"
endlich fände, würde er nur bestätigen, was ohnehin klar ist.
Birthlers fehlgeschlagener Coup hat vor allem im rechten politischen Milieu
Kritiker auf den Plan gerufen, denen die Abwicklung der Birthler-Behörde
plötzlich gar nicht schnell genug gehen kann. Jetzt wird 2011 als Stichtag
für die Überführung der Akten der Birthler-Behörde ins Bundesarchiv
angenommen. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag des Staatsministers
Neumann (CDU) von Bedeutung, der den wissenschaftlichen Bereich der
Birthler-Behörde der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
zuschlagen möchte. Diesem Plan gegenüber wendet der Potsdamer Historiker
Martin Sabrow ein, dass ein solcher Entscheid "die Eigenständigkeit der
Zeitgeschichtsschreibung gegenüber staatlicher Geschichtspolitik und
öffentlicher Geschichtskultur in Frage stellt". Während die
Forschungsarbeit der Birthler-Behörde als objektiv und zeitgeschichtlichen
Standards entsprechend angesehen wird, sind bei einer Übertragung dieser
Forschungskapazitäten auf die "Stiftung Aufarbeitung", einem Verein mit
dezidiert geschichtspolitischer Ausrichtung, Zweifel angebracht. Dies umso
mehr, wenn nach den Plänen des Staatsministers der künftige
"Geschichtsverbund DDR-Unrecht" einer Leitlinie folgen sollte, die
einseitig die manifeste politische Unterdrückung in der DDR ins Zentrum
rückt und die Alltagsgeschichte wie die vielfältigen Formen der
Sozialintegration der DDR-Bevölkerung vernachlässigt.
14 Aug 2007
## AUTOREN
Christian Semler
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