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# taz.de -- Türkei: Die Welt blickt gespannt auf Gül
> Ein Sieg für die Demokratie: Der moderat islamische Abdullah Gül ist
> neuer Präsident. Doch der Konflikt mit dem Militär ist längst nicht
> erledigt.
Bild: Im dritten Gang gewählt: Der neue türkische Präsident Gül
Fünf Monate lang hatte Abdullah Gül auf diesen Tag gewartet, gestern wurde
der Mann aus dem zentralanatolischen Kayseri, der Mann mit der verhüllten
Ehefrau, der charmante Plauderer und erfolgreiche Außenminister, zum elften
Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Im dritten Wahlgang genügten die
Stimmen seiner Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP).
Dabei war er anfangs nicht allzu erpicht auf dieses Amt gewesen. Als er im
April von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dafür nominiert wurde,
schien es, als solle er lediglich den Platzhalter für Erdogan abgeben, so
wie er einst kurzzeitig das Amt des Ministerpräsidenten übernommen hatte.
Als dann das Militär drohte, einen Parteigänger der islamisch-konservativen
AKP notfalls mit einem Putsch zu verhindern, schien der Plan erledigt. Es
folgten Massendemonstrationen gegen Gül, schließlich erklärte das
Verfassungsgericht dessen Wahl zum Staatspräsidenten für ungültig.
Der Umschwung kam erst mit der vorgezogenen Parlamentswahl vom 22. Juli.
Die 47 Prozent, die die AKP erhielt, interpretierte Gül auch als Votum in
der Präsidentenfrage. Bis dahin hatte er eher als Parteisoldat die
Auseinandersetzung geführt. Er hatte sich dem Kalkül Erdogans gefügt und
wäre wohl dazu bereit gewesen, zugunsten Kompromisskandidaten dem Militär
und dem kemalistischen Teil der Gesellschaft nachzugeben.
Mit der Wahl aber sah er seine Ambitionen legitimiert. Nun weigerte er
sich, für einen Ausgleichskandidaten Platz zu machen, und warb stattdessen
innerhalb der eigenen Partei und bei der Opposition für sich. Er versprach,
dass er als Präsident über den Parteien stehen und sich religiös neutral
verhalten werde. Verschiedenen Umfragen zufolge glaubt ihm eine Mehrheit
der Bevölkerung das und würde ihn auch in einer direkten Wahl zum
Präsidenten küren.
Nach dem überwältigenden Wahlsieg der AKP scheute sich das Militär, die
offene Konfrontation fortzusetzen. Wochenlang weigerte sich
Generalstabschef Yasar Büyükanit, sich zu Güls erneuter Kandidatur zu
äußern, und beließ es bei nebulösen Missfallensbekundungen. Erst am
Vorabend der Wahl, am späten Montagnachmittag, meldete sich der Generalstab
noch einmal zu Wort, und zwar, wie schon bei der Putschdrohung im April, im
Internet.
Zwar war der unmittelbare Anlass nicht die Präsidentschaftswahl, sondern
der Nationalfeiertag am 30. August, doch kam die Grußbotschaft nicht nur
etwas verfrüht, sondern war eher kämpferisch denn feierlich formuliert. Das
Militär werde, ließ Büyükanit wissen, auch künftig die Republik gegen
Separatisten und Islamisten verteidigen. Tag für Tag würden Pläne bekannt,
die darauf abzielten, die "nationale Einheit und die demokratische und
laizistische Ordnung" zu zerstören. Es gebe "Zentren des Bösen", die
systematisch versuchten, die laizistische Struktur der Türkei zu
untergraben. Die Armee werde das nicht zulassen.
Dass die Wahl Güls dennoch einen Tag später planmäßig vonstatten ging,
zeigt, dass die AKP sich nach den Wahlen stark genug fühlt, solche Hinweise
der Militärführung zu ignorieren. Tatsächlich hätte Gül wohl nur noch durch
einen echten Putsch gestoppt werden können, für dessen Folgen wohl auch der
Generalstabschef nicht die Verantwortung übernehmen wollte.
Umso stärker wird Abdullah Gül als Präsident unter Beobachtung stehen. Der
promovierte Wirtschaftswissenschaftler, der seine politische Karriere in
der Milli-Görüs-Bewegung begann, der Mitte der Neunzigerjahre als Sprecher
der islamistischen Regierung unter Necmettin Erbakan fungierte, der sich
später zum Reformisten wandelte und sich zusammen mit Erdogan von Erbakan
löste und der als Außenminister die Türkei zu Beitrittsverhandlungen mit
der EU führte, muss nun beweisen, dass er tatsächlich ein Präsident für
alle Türken sein kann. Allem voran gehört dazu zu zeigen, dass das
islamische Kopftuch seiner Ehefrau Hayrünnisa nicht mehr als ihr
persönliches Accessoire ist.
Selbst wenn der türkische Präsident keine exekutiven Vollmachten besitzt,
kann er doch politischen Einfluss nehmen, so wie Güls kemalistischer
Vorgänger Ahmet Necdet Sezer Gül von diesen Möglichkeiten immer wieder
Gebrauch gemacht hat. Gül könnte den Weg für das Kopftuch an den
Universitäten freimachen, er könnte in den kommenden Jahren die höchsten
Richterstellen konsequent mit Anhängern der AKP besetzen und er könnte
sogar im kommenden Jahr, wenn die Amtszeit von Generalstabschef Büyükanit
abläuft, versuchen, einen seiner Partei genehmen Nachfolger mit der Führung
der Armee zu beauftragen.
Er könnte aber auch zeigen, dass er als Präsident mehr ist als der
Befehlsempfänger von Ministerpräsident Erdogan und der Vollstrecker der
Erwartungen der AKP. Dann müsste er dazu bereit sein, sich mit seinem
politischen Freund und langjährigen Weggefährten Tayyip Erdogan anzulegen,
und beweisen, dass er wirklich den Islam und die Demokratie miteinander
versöhnen will. Nicht nur die Türkei, die islamische Welt genauso wie
Europa und die USA werden ihm gespannt dabei zusehen.
29 Aug 2007
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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