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# taz.de -- Publizist Ramadan: „Islam und Rechtsstaat sind vereinbar“
> Ein deutscher Muslim, der die Verfassung nicht kennt und als seine
> begreift, wird seiner Pflicht als Muslim nicht gerecht, so der
> Islamgelehrte Tariq Ramadan.
Bild: „Scharia bedeutet der Weg zur Quelle“: Muslime in Pakistan beim Gebet
taz: Herr Ramadan, für die einen sind Sie ein islamischer Reformer, andere
halten Sie für einen Fundamentalisten im Schafspelz. Wie sehen Sie sich
selbst?
Tariq Ramadan: Ich komme aus der reformerischen Tradition. Aber für manche
ist jeder praktizierende Muslim bereits ein Fundamentalist.
Was wollen Sie am Islam denn reformieren?
Es gibt religiöse Prinzipien, die zeitlos gültig sind: etwa die Art, wie
wir beten, oder dass wir den Fastenmonat Ramadan begehen. Aber bei Fragen
der sozialen Organisation oder des Umgangs mit Andersgläubigen kann man die
Lage im Medina des 7. Jahrhunderts nicht einfach als Modell auf das 21.
Jahrhundert übertragen. Das ist ein Traum, der sich in einen Albtraum
verwandeln kann, wenn man die Komplexität der heutigen Welt ignoriert.
Ist es das, was in Ländern wie Saudi-Arabien oder dem Iran passiert?
Ich bin beiden Ländern gegenüber sehr kritisch eingestellt, aber man muss
die Unterschiede sehen. Die Saudis haben meiner Meinung nach ein sehr
oberflächliches Verständnis der islamischen Gesetze und ihrer Umsetzung. In
Wirklichkeit geht es darum, die wirtschaftlichen Interessen der
Herrscherfamilie zu schützen. Die Opfer dieses Systems sind dabei die
Armen, die Gastarbeiter aus Pakistan. Im Iran hingegen gab es die
Revolution. Dort ringen seit 20 Jahren konservative und reformerische
Kräfte.
In beiden Ländern bildet die Scharia die Grundlage aller Gesetze. Was
halten Sie davon?
Ich glaube, dass es möglich ist, sich auf den Islam zu beziehen und
zugleich zu universalistischen Prinzipien wie Rechtsstaat, den
Menschenrechten oder der Gewaltenteilung zu bekennen. Man muss sich nur
fragen wie. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Erdogan in der Türkei
und der iranischen Republik, auch wenn beide aus einer islamischen
Tradition kommen.
In der Türkei spielt die Scharia keine Rolle, in Ländern wie Ägypten oder
Marokko prägt sie zumindest Teile des Familienrechts. Finden Sie das gut?
In den meisten islamischen Ländern finden wir eine sehr enge Auslegung des
islamischen Rechts. Deswegen stand ich in Marokko auf der Seite jener, die
sich nach intensiven Debatten auf eine Reform des Familiengesetzes geeinigt
haben. Es gab da eine Kommission, in der Rechtsgelehrte,
Frauenrechtlerinnen und andere Vertreter der Zivilgesellschaft
zusammensaßen. Aber man kann einem islamischen Land nicht einfach vom
Westen aus ein neues System überstülpen nach dem Motto: Wir besitzen die
Aufklärung, und ihr seid rückschrittlich. Das funktioniert nicht.
Atatürk hat das in der Türkei getan.
Ja, aber die Veränderung muss von innen kommen. Es geht darum, durch die
Lektüre des Korans zu zeigen, dass häusliche Gewalt nicht islamisch ist.
Dass weibliche Beschneidung nicht islamisch ist oder Scheidung ein Recht,
das Frauen gleichermaßen zusteht. All diese Rechte lassen sich aus dem
Koran ableiten. Deswegen habe ich mich in meinem letzten Buch auf das Leben
des Propheten bezogen und gesagt: Lasst uns sehen, was er getan hat. Das
kann uns helfen, einen besseren Umgang mit heutigen Fragen zu finden.
Was verstehen Sie unter der Scharia? Ist sie eine moralische Richtschnur
oder Grundlage für weltliche Gesetze?
Die Scharia ist für mich ein zentraler Begriff. Scharia bedeutet, wörtlich
übersetzt, der Weg zur Quelle. Es ist angewandte Ethik.
Sollte sie eine private oder eine öffentliche Rolle spielen?
Für mich ist jede Art von Recht, das Werte wie Gerechtigkeit oder
Gleichheit fördert, ein Teil meiner Scharia. In der deutschen Verfassung
wird vor dem Gesetz nicht zwischen Männern und Frauen oder Christen und
Muslimen unterschieden. Es geht nicht um die Frage, von wem die Gesetze
stammen. Wenn ein Gesetz der Gerechtigkeit dient, dann ist es meins. Ein
deutscher Muslim, der die deutsche Verfassung nicht kennt, wird deshalb
seiner Pflicht als Muslim nicht gerecht.
Predigen Sie einen „Euro-Islam“?
Der Begriff ist eine Erfindung von Bassam Tibi. Ich rede lieber von
europäischen Muslimen, wie ich einer bin. Wenn Bassam Tibi vom „Euro-Islam“
spricht, dann klingt das so, als müsste man dafür Abstriche an der Geltung
des Korans machen. Aus diesem Grund können ihm die meisten Muslime nicht
folgen.
Sehen Sie denn keine Konflikte zwischen islamischen und europäischen
Werten?
Wenn ich mir die deutsche Verfassung anschaue, dann sehe ich darin keinen
Widerspruch zu meinen Überzeugungen. Aber manche Europäer sind dabei, ihre
Gesetze neu zu interpretieren, weil sie die neue Sichtbarkeit der Muslime
stört. Ich komme gerade aus der Schweiz, wo eine der größten Parteien, die
UDC, sich mit der Forderung nach einem Minarettverbot hervortut. Sie kennen
ja die Kopftuchdebatte in Frankreich. Das ist eine neue Lesart des
europäischen Erbes, die andere ausschließen möchte. Ich kann die Ängste
verstehen. Aber ich kann Diskriminierungen nicht gutheißen.
Auch in einem muslimischen Land wie der Türkei gibt es Streit um das
Kopftuch.
Für mich ist es unvereinbar mit dem Islam, eine Frau zu irgendetwas zu
zwingen. Das ist meine Haltung zum Kopftuchzwang in Saudi-Arabien und im
Iran. Aber es widerspricht auch den Menschenrechten, Frauen dazu zu
zwingen, es abzunehmen. Alle Welt wundert sich doch, was gerade an der
Spitze des türkischen Staates passiert: Es ist doch lächerlich, dass ein
Präsident nicht mit seiner Ehefrau zu einem Empfang gehen kann, weil diese
ein Kopftuch trägt.
Was unterscheidet Sie von einem Gelehrten wie Nasr Hamid Abu Zaid, der für
eine hermeneutische Interpretation des Korans eintritt?
Er meint, man solle den Koran lesen wie jeden anderen Text, und legt nicht
so viel Nachdruck auf die ethische und spirituelle Rolle der Religion. Im
Grunde rührt er damit an einem Pfeiler unserer Religion. Ich denke, dass
wir uns nicht nur an die Welt anpassen, sondern diese auch verändern
müssen. Als jemand, der eine bestimmte Überzeugung und Ethik vertritt,
möchte ich, dass diese Welt ein besserer Ort wird. Deshalb fühle ich mich
Hans Küngs Idee einer globalen Ethik näher.
Wie begegnen Sie als Gläubiger den Zumutungen einer liberalen Gesellschaft
wie Pornografie oder Blasphemie?
Das ist der Preis der Freiheit. Jeder Versuch, so etwas zu bekämpfen, würde
als Zensur aufgefasst werden. Der einzige Weg zu persönlicher Freiheit ist
Bildung und Wissen. Das ist eine geistig-spirituelle Herausforderung.
Verstehen Sie, warum sich junge Deutsche einer Terrorzelle anschließen, um
im Namen des Islams zu töten?
Ihr Verständnis des Islams baut darauf auf, Nichtmuslime zu bekämpfen und
vermeintliche Unterdrücker zu töten. Man muss diese Ideologien bekämpfen.
Wir tun dies, indem wir sagen: Diese Überzeugungen und diese Taten sind
nicht islamisch. Natürlich gibt es Ungerechtigkeiten: Der Krieg im Irak war
illegal, die Rechte der Palästinenser werden nicht respektiert. Widerstand
dagegen ist legitim. Aber Widerstand heiligt nicht alle Mittel. Sie müssen
ethisch vertretbar sein.
12 Sep 2007
## AUTOREN
Daniel Bax
Cigdem Akyol
## TAGS
Muslime in Deutschland
Schwerpunkt Iran
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