# taz.de -- Buchmesse: Kreativ verlegen | |
> Die Literatur muss sich mehr und mehr in einem Umfeld aus Gimmicks und | |
> Medieninnovationen behaupten. Die Verlage stellen sich auf die neue | |
> Situation ein. | |
Bild: Zwei Mäzeninnen der Kreativindustrie Buch. | |
Mal sehen, welche kulturbeflissenen Sätze sich Peer Steinbrück in sein | |
Manuskript hat schreiben lassen. Der Bundesfinanzminister (SPD) darf am | |
Dienstag Abend die Frankfurter Buchmesse eröffnen, die bedeutendste | |
Literaturshow und das wichtigste Verlagstreffen weltweit. Das ist so ein | |
Anlass, bei dem man sich als politische Spitzenkraft mal in einem anderen | |
Licht präsentieren kann: Seht, auch ich habe Interesse an der bunten Welt | |
der Literatur! So etwas mögen Politiker. Aber auch der Finanzpolitiker und | |
dröge Rechner in Steinbrück darf sich am Dienstag Abend bestätigt fühlen. | |
Vorbei die Zeiten, da noch der Anschein erweckt wurde, die Gesetze des | |
Marktes würden auf so einer Buchmesse mal eben außer Kraft gesetzt. Dass es | |
noch bis zum 14. Oktober in den Frankfurter Messehallen darum gehen wird, | |
Umsatz zu machen und damit auch die Kassen des Finanzministers zu füllen, | |
ist allen Beteiligten klar. | |
Warum sollte es der Literatur auch anders gehen als längst der Kultur | |
insgesamt? Jedenfalls führen Politiker in ihren Festreden, die sie zur | |
Eröffnung kultureller Großereignisse halten, seit einiger Zeit gerne einen | |
interessanten Spagat vor: Nachdem die Nähe des Redners zur Kultur durch | |
ein, zwei Schlenker hinlänglich belegt wurde, wird auf die Bedeutung der | |
Kultur nicht nur fürs intellektuelle Selbstverständnis, sondern auch für so | |
handfeste Größen wie das Bruttosozialprodukt hingewiesen. | |
Kreativindustrie lautet das Stichwort. Unter Kulturpolitikern ist es seit | |
ein paar Jahren gang und gäbe; auf Kongressen wird es diskutiert. Und | |
inzwischen kommt der Begriff auch in der Praxis an. Schwammig ist er ja - | |
alle kulturellen Waren vom Roman über Computerspiele bis zum | |
Architektur-Entwurf fallen unter dieses Schlagwort. Aber man hat eben | |
festgestellt, dass die Gesamtheit dieser Waren einen wichtigen Beitrag zur | |
Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland beiträgt - und dass kaum | |
jemand nachfragt, wenn man über diese wirtschaftliche Bedeutung die Kultur | |
insgesamt legitimiert. Schließlich liegt ihr Umsatz inzwischen vor der | |
chemischen Industrie und gar nicht mehr so weit hinter der deutschen | |
Vorzeigesparte schlechthin: der Autoindustrie. "Harry Potter" hat endgültig | |
bewiesen, dass man auf Romanfiguren weltumspannende Wirtschaftsimperien | |
gründen kann. Seitdem vermag man auch dem trockensten Wirtschaftsprüfer | |
klarzumachen, dass Kreativität und Geist Ressourcen sind, deren, nun ja, | |
Marktperformance man nicht unterschätzen sollte. | |
Bei der Buchmesse hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Juergen Boos, ihr | |
Direktor, sagt: Die Veranstaltung sei inzwischen auch weltweit "zur | |
bedeutendsten Medienmesse" geworden. In der Tat. Die Bücher bilden nur ein | |
Segment des Geschäfts mit der Literatur. Wer in den kommenden Tagen mit | |
schöngeistigen Vorstellungen vom guten Buch durch die Messehallen wandelt, | |
wird sich an manchen Ecken wie auf einem falschen Planeten vorkommen. | |
Allein 30 Prozent der 380.000 ausgestellten Produkte sind digital. | |
Von der Presseagentur dpa lässt sich Juergen Boos mit den Sätzen | |
zusammenfassen: "Wie ein Schwamm soll die Messe alles aufsaugen, das | |
irgendwie mit dem Medium Buch zu tun hat. Vom Harry-Potter-Zauberstab bis | |
zur Literaturfilm-DVD." Hauptsache, irgendwie kreativ eben und man kann | |
damit Umsatz generieren. Die Aussage, dass Boos zugleich durch Debatten und | |
Initiativen die Messe wieder verstärkt zu einem "gesellschaftspolitischen | |
Forum" machen möchte, bringt der Messe-Chef zwar auch glaubhaft rüber. Aber | |
solch intellektuelles Bemühen wird von dpa nur noch an zweiter Stelle | |
kolportiert. Ob die im vergangenen Jahr gestartete Initiative gegen | |
Analphabetismus wirklich die Debattenlage verändern wird, bleibt auch | |
abzuwarten. | |
Goodbye, bildungsbürgerliches Kulturfundament! Und hallo, | |
kreativindustrielles Umfeld! Damit ist eine Entwicklung endgültig | |
abgeschlossen, die seit Jahren den Strukturwandel der literarischen | |
Öffentlichkeit untergründig prägte - und verunsicherte. | |
Jahrzehntelang hatte sich die Branche darauf verlassen können, dass die | |
Literatur als Königsdisziplin gesellschaftlicher Debatten fungierte. Grass, | |
Böll, Enzensberger, Peter Weiss, Adorno, you name it - auf dem Gebiet der | |
Literatur (und der angrenzenden Philosophie) wurde der Nationalsozialismus | |
gesellschaftlich durchgearbeitet. Literatursoziologen wissen zu ergänzen, | |
dass die Literatur zudem als Leitmedium in der bundesrepublikanischen | |
Aufsteigergesellschaft fungierte; viele Kleinbürgerkinder, die als Erste in | |
ihren Familien studierten, wurden Deutschlehrer. In der DDR war die | |
Literatur sogar bis zuletzt mit oppositioneller Würde aufgeladen. Und jetzt | |
schafft es der Literaturbetrieb nicht einmal mehr, sich bei der Frankfurter | |
Buchmesse, seiner Haus- und Zentralveranstaltung, unangefochten in den | |
Mittelpunkt zu setzen. Vielmehr muss sich die Literatur behaupten in einem | |
Umfeld aus Gimmicks und Medieninnovationen. Es gibt in der Branche | |
niemanden, der behauptet, dass das wirklich leicht sei. | |
Hinter den Kulissen hat es wegen dieser Entwicklung zuletzt viel Abschied | |
und Depression gegeben. Der Suhrkamp Verlag ist gehörig ins Schlingern | |
geraten bei seinen Versuchen, die Aura eines ganz im Dienst an den großen | |
Autoren aufgehenden Hauses in die Gegenwart zu retten. Literaturkritiker, | |
die noch von der klar strukturierten Gruppe-47-Welt geprägt wurden, müssen | |
sich erst mühsam im quirligen Feld der neuen Autorennamen orientieren. Und | |
die ganze Branche hatte ihren McKinsey-Schock. Als sei die deutsche | |
Verlagslandschaft bis dahin ein Hort der Geistigen und des Idealismus | |
gewesen (was sie in Wirklichkeit natürlich nie war), wurde die Gefahr | |
heraufbeschworen, dass grau gekleidete Männer mit Taschenrechnern den | |
literarischen Gehalt auf das, was sich rechnet, herunterstutzen könnten. | |
Inzwischen gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Literaturbranche | |
dabei ist, sich gut auf die neue Lage einzustellen. Die Umrisse einer | |
nachbildungsbürgerlichen Literaturwelt, die sich im Umfeld der | |
Kreativindustrie behaupten kann, zeichnen sich ab. Als Innovation von | |
Bedeutung erweist sich etwa der Deutsche Buchpreis (er wurde gestern Abend | |
verliehen, der Preisträger stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest). | |
Wenn selbst Marcel Reich-Ranicki inzwischen leiser geworden ist, schafft | |
man sich pünktlich zur Messe eben selbst ein Thema, so das Kalkül des | |
Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis ausrichtet. Und das | |
Kalkül geht auf: Ob der Preisträger zu Recht gekürt wurde, welcher Roman zu | |
Unrecht auf der Strecke blieb - darüber lässt sich immer wieder aufs Neue | |
trefflich streiten. | |
Auch wichtig: dass man beim Buchpreis auf Seriosität setzt. Auch, | |
vielleicht sogar gerade in einem kreativindustriellen Umfeld kann man mit | |
reinen Showelementen kaum punkten; beim Konkurrenzpreis namens Corine fällt | |
die Gala-Präsentation im Fernsehen immer unangenehm auf. Es ist eben | |
keineswegs so, dass in einer nachbildungsbürgerlichen Literaturwelt alle | |
Produkte mit demselben nivellierenden Mix aus Show, PR und Fun-Gerede | |
präsentiert werden können. Gerade Ernsthaftigkeit wird für die engere | |
Literaturszene zum Kapital. RomanleserInnen haben offenbar ein feines | |
Gespür für Distinktionen. Zum "Harry Potter" ist der Zauberstab okay, aber | |
bei Katja Lange-Müller, Julia Franck oder Michael Köhlmeier würde ein | |
Fernsehballett nur stören. | |
Auch in der Verlagsszene ist es anders gekommen, als Pessimisten befürchtet | |
haben. Keineswegs haben nun überall die Rechner und Kontrolleure das Sagen. | |
Vielmehr haben sich nach der statischen Verlagslandschaft der alten | |
Bundesrepublik - Suhrkamp unangefochten für avancierte deutschsprachige | |
Literatur, Rowohlt fürs amerikanische Erzählen usw. - fünf, sechs | |
Literaturverlage herauskristallisiert, die in jeder Saison die Gewichte | |
untereinander neu verteilen: Neben Suhrkamp und Rowohlt sind der | |
Fischer-Verlag, Kiepenheuer & Witsch und Hanser zu nennen. Klett-Cotta, | |
Ammann, Steidl, Hoffmann & Campe, Aufbau, Berlin, DVA, Beck und weitere | |
Häuser haben auch literarischen Ehrgeiz. Es würde für jeden dieser Verlage | |
einen großen Imageverlust bedeuten, wenn klar würde, dass die Lektorate | |
nicht unabhängig von den Buchhaltern arbeiten können. Profilieren können | |
sich alle allein durch das Programm - und darin letztendlich auch nur durch | |
literarische Qualität. | |
So wird es in Frankfurt gelegentlich gewöhnungsbedürftige Näheverhältnisse | |
von Büchern, Geschenkideen und neuen Medien zu entdecken geben. | |
Möglicherweise aber auch ein neues Selbstbewusstsein der Literatur: Auch in | |
einem kreativindustriellen Umfeld braucht man nicht jedem Marketingtrend | |
hinterherzulaufen. Der Kern des Unbehagens gegen dieses Umfeld liegt wohl | |
darin, dass man traditionellerweise denkt, Romane würden durch | |
Reklamemaßnahmen entwertet. Aber auch dabei braucht man als Leser ja nicht | |
mitzumachen. | |
9 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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