# taz.de -- Stadtkongress: New York schaut auf Berlin | |
> Im Rahmen des New York Festival lädt das Haus der Kulturen der Welt zum | |
> Städtevergleich "New York - Berlin". Dabei zeigt sich, dass New York eine | |
> Menge von Berlin lernen kann. | |
Bild: The city that never sleeps: Berlin, Berlin | |
Und das ist der Potsdamer Platz. "Rechter Hand das Sony Center, daneben die | |
Daimer-City", erklärt Mathias Heyden, normalerweise Architekt, heute | |
außerplanmäßig Stadtführer. Die Reaktionen im Reisebus sind mäßig. | |
Hochhäuser gibt es auch in den USA, nur etwas höher und weniger putzig. | |
"Aber was ist das?", fragt einer plötzlich. "Das ist die erste | |
Verkehrsampel in Deutschland, aus den 20er-Jahren", antwortet Heyden. "Ist | |
die echt?" - "Nein, eine Kopie", gesteht Heyden und erntet die ersten | |
Lacher. Das Eis ist gebrochen. Auf Kopien versteht man sich auch in | |
Amerika. | |
Amerikaner auf Sightseeing, das ist nichts Neues an der Spree. Mehr als | |
200.000 Touristen aus den USA kommen jährlich nach Berlin, Tendenz kräftig | |
steigend. Die 15 New Yorker aber, denen Mathias Heyden am Mittwochvormittag | |
die Stadt erklärt, wollen keine Mauer sehen, sondern Menschen, keinen | |
Checkpoint Charlie, sondern Kreuzberg, keinen Kudamm, sondern die O2-Arena | |
an der Spree. Eindrücke, die sie sammeln und danach mit ihren | |
Stadtforscherkollegen aus Berlin austauschen können. Die Stadtrundfahrt von | |
Heyden ist die Ouvertüre zur Konferenz "New York - Berlin: Kulturelle | |
Vielfalt in urbanen Räumen" im Haus der Kulturen der Welt. | |
Ist Berlin mit New York überhaupt vergleichbar? "Aber ja", sagt Nancy | |
Foner. "Beide Städte sind in ihren Ländern unvergleichlich. Berlin ist | |
nicht wie Deutschland, New York etwas anderes als die USA." Zwar sei Berlin | |
für die meisten Amerikaner noch immer die Stadt der Mauer und der Teilung, | |
meint Foner, die an der New York University Soziologie lehrt. "In New York | |
aber ist Berlin die coole Stadt mit unglaublich viel Dynamik." Das hat | |
Forner auch in der eigenen Familie erfahren. "Auch meine Tochter ist nach | |
Berlin gegangen. So wie viele Künstler aus New York." | |
Foner steht am Kreuzberger Mariannenplatz und freut sich über die begrenzte | |
Traufhöhe der Berliner Häuser. "Viel lebenswerter", findet sie, "in | |
Manhattan gibt es zu viele Hochhäuser." Neben ihr steht Susanne Stemmler | |
vom Center for Metropolitan Studies der TU Berlin. Zusammen mit Sven Arold | |
vom Haus der Kulturen der Welt hat sie die Konferenz vorbereitet. Foners | |
Enthusiasmus bestätigt sie. "New York und Berlin sind sich nicht fremd. Man | |
kennt sich und beobachtet sich." | |
Lange Zeit freilich beobachteten die Berliner eher die New Yorker als | |
umgekehrt. Stadtforscher zog es nach Manhattan in die Lower East Side, um | |
vor Ort die Gentrification zu studieren. Die ehemalige Finanzsenatorin | |
Annette Fugmann-Heesing wollte in New York lernen, wie man spart. Und für | |
Klaus Biesenbach war der Sprung von den KunstWerken an der Auguststraße ins | |
Museum of Modern Art die frühe Krönung eines Kuratorenlebens. | |
Neuerdings wollen die New Yorker aber auch von den Berlinern lernen, sagt | |
Susanne Stemmler und nennt die Themen: "Welche Rolle spielen kreative | |
Milieus und kommunale Akteure? Welchen Anteil haben Öffentlichkeit und | |
Aktivisten für die Stadtentwicklung?" All das wird bis Samstag bei der | |
Konferenz verhandelt werden. | |
Vom Mariannenplatz geht es zu Fuß zum Gecekondu am Bethaniendamm. "Was ist | |
ein Gecekondu?" Auf diese Frage hat Mathias Heyden gewartet. "Das ist eine | |
Architektur der Armen und Einwanderer. In der Türkei dürfen Gecekondu, über | |
Nacht gebaute Häuser, nicht abgerissen werden." Dass der zweistöckige | |
Bretterverschlag, den Osmal Kalin 1982 im Schatten der Mauer gebaut hat, | |
heute noch steht, ist allerdings kein Hinweis auf die Übernahme osmanischen | |
Rechts in Berlin. Es ist Ergebnis der Wiedervereinigung. Die Dorfhütte | |
mitten in der Stadt steht genau auf der Grenze zwischen den Bezirken | |
Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte. Das ist einer dieser "Zwischenräume", | |
für die Berlin in New York bekannt ist. | |
"In gewisser Weise", sagt Libertad Guerra, "ist Kreuzberg auch mit der | |
Bronx vergleichbar." Gerade hat die in Puerto Rico geborene Aktivistin | |
erfahren, dass es in Berlin die Bewegung Kanak Attak gibt. "Wir haben vor | |
einiger Zeit Spanic Attack gegründet", freut sei sich, "das ist eine | |
Mischung von Spanish Attack und Panic Attack." In der South Bronx bringt | |
Spanic Attack Bewohner und Künstler zusammen. Mit ihrem "Bronx Salon" hat | |
Guerra gerade ein Konzert von Straßenmusikern in Privatwohnungen | |
organisiert. Berlin, sagt sie, ist eine Stadt, auf die man in New York auch | |
mit großen Augen schaut. Hier sei noch möglich, was in New York nur noch in | |
Quartieren wie der Bronx gehe. "Berlin ist wie New York vor dem großen | |
Aufräumen in den 90er-Jahren." | |
Aber nicht nur amerikanische Künstler entdecken Berlin, sondern auch | |
amerikanisches Kapital. "Oh my God, Jesus!", entfährt es William Aguado, | |
als zur Linken die O2-Arena des US-Investors Anschutz auftaucht. "Das ist | |
ja wie das Yankee Stadium." Ganz so schlimm wie in der Bronx, wo das | |
traditionsreiche alte Baseballstadion für einen gesichtslosen Neubau | |
abgerissen wird, ist es an der Spree aber nicht, erklärt Mathias Heyden. | |
"Hier war früher nur Bahngelände". Aber auch das ist nicht unbedingt ein | |
Trost. "Obwohl die Bahn zu 100 Prozent dem deutschen Staat gehört, verhält | |
sie sich auf dem Immobilienmarkt wie ein privater Investor", sagt Heyden. | |
Keine gute Nachricht für William Agado vom Bronx Council of Arts und die | |
anderen New Yorker, die in Berlin vor allem "public" schätzen - public | |
spaces, public places, public housing. | |
Ganz zu Hause fühlen sich die New Yorker in Friedrichshain. Graffiti, | |
Künstler, neue Kneipen, Gentrification, all das also, was es auch einmal in | |
Greenwich oder Williamsburg gegeben hat. Selbst einen Community Garden | |
haben sie aus dem Boden gestampft. Doch Friedrichshain hat noch mehr zu | |
bieten. "Whats that?", lautet die Frage an Heyden. "Ein Umspannwerk, heute | |
eine der größten Diskotheken in Berlin", antwortet er. "Selbst aus Mailand | |
kommen sie mit dem Billigflieger, bleiben zwei Nächte und fliegen dann | |
wieder zurück." - "Und wo schlafen sie, in der Disco?", will ein etwas | |
älterer Stadtforscher wissen. "They dont sleep, they party", klärt ihn eine | |
jüngere Kollegin auf. Nicht nur New York ist eine Stadt, die niemals | |
schläft. | |
Es sind Momente wie diese, in denen sich Susanne Stemmler freut. Berliner | |
und New Yorker verstehen sich, sie können die Stadt des andern lesen. | |
"Beide Städte", sagt sie, "begegnen sich auf Augenhöhe." Gleichwohl will | |
sie auch den Blick von Berlin auf New York richten. "Diskussionen wie die | |
um Leitkultur und Integration gibt es dort nicht", sagt sie. "Auf ethnische | |
und kulturelle Vielfalt reagieren die New Yorker noch immer entspannter als | |
in Berlin." Allerdings schauen viele Aktivisten in Harlem auch auf | |
Kreuzberg und seine soziale und kulturelle Mischung. In New York will man | |
die Ghettos loswerden, in Berlin sollen sie gar nicht erst entstehen. | |
Zurück am Potsdamer Platz zuckt Marshall Berman die Schultern. Der | |
Professor für Politik und bekennende Marxist soll am Samstag mit Berlins | |
ehemaligem Senatsbaudirektor Hans Stimmann diskutieren. Das Thema: "Times | |
Square und Potsdamer Platz". So ganz recht weiß Berman noch nicht, wie er | |
das mit der Revitalisierung des Times Square Stimmann und den Berlinern | |
erklären soll. "Der Potsdamer Platz hat bei dieser Diskussion überhaupt | |
keine Rolle gespielt", sagt er augenzwinkernd. "Wahrscheinlich deshalb, | |
weil den Potsdamer Platz in New York niemand kennt." | |
19 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Uwe Rada | |
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Friedrichshain-Kreuzberg | |
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